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Bärenleite Singend den Winter ausgetrieben

Am Sonnabend wurde in Lindstedt und vier weiteren Orten die traditionelle Bärenleite, ein alter Brauch, gefeiert.

Von Conny Kaiser 13.02.2017, 01:00

Lindstedt/Seethen l „Himmel und Hölle“: So lautet in diesem Jahr das Motto der Bärenleite. Die Mitglieder des Lindstedter Männergesangvereines haben sich in entsprechende Kostüme geworfen und ziehen nun, mit der Hilfe eines regionalen Busunternehmens, durch jene Dörfer, in denen die Ihren zu Hause sind. Neben Lindstedt sind das auch Lindstedterhorst, Algenstedt, Lotsche und Seethen. Und überall, wo die lustige Gesellschaft auftaucht, wird sie vom Spiel der Bismarker Blasmusikanten begleitet, denen – wie immer – der mit zahlreichen Orden behangene Zeremonienmeister Arno Otte aus Lindstedt voranschreitet.

An den Häusern der einzelnen Chormitgliedern – aktuell sind es 16 – wird Station gemacht. Dort gibt es dann nicht nur Hochprozentiges, sondern auch Schnittchen und warme Speisen. Schließlich liegen die Temperaturen an diesem Tag deutlich unter dem Gefrierpunkt. Da heizt so eine altmärkische Hochzeitssuppe oder eine deftige Soljanka den Körper ordentlich durch. Doch bevor zugegriffen werden darf, muss erst einmal gesungen werden. Auf jedem Grundstück wird ein anderes Lied angestimmt, das vom musikalischen Leiter des Männergesangvereines, Wolfgang Preiß, dirigiert wird. Er ist der Einzige, der nicht im Kostüm erschienen ist. „Das mache ich nie“, sagt er mit Vehemenz in der Stimme. Den Spaß der Bärenleite macht er aber dennoch jedes Jahr gern mit.

Sie geht auf einen heidnischen Brauch zurück, auf den sich die Vorfahren der heutigen Sänger vor weit mehr als einem Jahrhundert – den Lindstedter Männergesangverein gibt es bereits seit 182 Jahren – besannen. Seither wird, meist im Februar oder März, der Winter aus den Dörfern getrieben. Und zwar in Form eines Bären. Der wird in diesem Jahr von Stephan Mertens gespielt, der sich nicht nur die eigene Schwester Laura Madleen greift, um ihr mit Lippenstift rote Herzchen auf die Wangen zu malen. Schließlich soll ja etwas von dem Bären in Erinnerung bleiben. Dass er allerdings nirgendwo lange verweilen kann, das hat er dem Bärenführer alias Erhard Wischeropp zu verdanken, der ihn permanent mit Trillerpfeife und Peitsche vor sich her treibt.

Es gibt da allerdings noch ein anderes Tier, quasi den Gegenspieler des Bären, nämlich das Kamel. Es symbolisiert den Sommer. Und weil so ein Kamel im Gegensatz zu Meister Petz bekanntlich nicht auf zwei Beinen laufen kann, wird es gleich von mehreren jungen Männern gespielt. Unter dem hellbraunen Fell verbergen sich diesmal abwechselnd Michael Lange, Paul Lemke und Justus Schramm. Sie sind zwar im Gegensatz zum Kamelführer Heiko Rudolf keine aktiven Mitglieder, unterstützen den Lindstedter Männergesangverein aber gern bei seiner skurrilen Aktion.

Das gilt auch für Marvin Neuber. Der steuert, verkleidet mit Sido-Maske, den Rasentraktor mit der Aufschrift „Bärenleite 2017“, auf dessen Anhänger eine Hexe, zum Glück keine aus Fleisch und Blut, über einem Feuer gart. Das Gefährt hat allerdings nicht nur eine Hingucker-Funktion, sondern dient, in Ermangelung einer Eierfrau, auch noch dazu, Eier und Speck einzusammeln. Schließlich wollen es sich die Sänger und ihre Mitläufer nach dem Umzug noch in der Lindstedter Schulspeisung beim Eierback-Essen gemütlich machen. Dafür, dass nicht nur etwas durch die Kehlen, sondern auch in die Vereinskasse gespült wird, sorgt am Sonnabend ein ganz besonderer Mönch: Wolfram Okon, der beim Männergesangverein für die Finanzen zuständig ist, hat ein Jeanstäschchen über die Kutte gebunden, in das alles hineinkommt, was den Herrschaften da auf dem Weg zwischen Himmel und Hölle an Münzen und Scheinen zugesteckt wird.