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ÄrztedefizitBarfußmediziner mit Tasche in Hand

Die medizinische Versorgung auf dem Land war Thema einer Gesprächsrunde mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Letzlingen.

Von Cornelia Ahlfeld 18.02.2018, 08:00

Letzlingen l Bürokratie, Reglementierungen, viele Patienten und kaum ärztlicher Nachwuchs für Hausarztpraxen – die Sicherung der medizinischen Versorgung auf dem Land wird in den nächsten Jahren mit großen Herausforderungen verbunden sein. Um diese zu meistern, hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalts ein Modell entwickelt: Filialpraxen unter der Regie der KV. Die dort arbeitenden Hausärzte sind Angestellte der KV – für einen bestimmten Zeitraum. Das soll Freiräume für die Ärzte schaffen, denn sämtliche Büroarbeiten, wie Abrechnung, übernimmt die KV. Die erste Filialpraxis wurde in Letzlingen gegründet. Und das war auch ein Grund, dass Letzlingen zum Besuchsprogramm des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gehörte.

Dieses Modell war Thema einer Gesprächsrunde mit Steinmeier und geladenen Gästen aus dem medizinischen Bereich zur medizinischen Versorgung auf dem Lande. Zu den Teilnehmern gehörte auch Dr. Annett Lüders, Hausärztin in Letzlingen. Sie war vor zehn Jahren die Ärztin, die im Heidedorf die erste Filialpraxis der KV übernahm.

Dr. Burkhard John, Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen-Anhalt, ging zunächst auf die Hintergründe ein. Die Zahl der Hausärzte ginge zurück, die Patientenzahlen steigen. Aus diesem Grund habe die KV vor zehn Jahren Versorgungsassistentinnen mit besonderer Qualifikation in den Praxen angegliedert. Die seien zur richtigen Entlastung der Hausärzte geworden. „Wir konnten damit die Versorgung verbessern“, betonte John. Ein weiteres Problem sei die Nachwuchsgewinnung. „Es ist schwierig, junge Ärzte zu bekommen“, so John, denn viele würden sich vor der Selbstständigkeit fürchten. Die KV habe dann das Modell der Filialpraxen entwickelt, um vor allem auch junge Ärzte aufs Land zu locken. „Die jungen Ärzte können quasi die Selbstständigkeit testen“, erläuterte John. Vor zehn Jahren wurde die erste Praxis in Letzlingen gründet. Mittlerweile habe sich das Modell erfolgreich bewährt. Wobei der Schwerpunkt in der Altmark liege. Denn hier würden die Hausärzte monatlich 1300 Patienten betreuen. Das wären im Vergleich zu anderen Bundesländern 20 Prozent mehr Patienten.

Annett Lüders war quasi die Frau der ersten Stunde in Sachen Filialpraxis. „Mein Traum war es schon immer, Hausärztin zu werden“, sagte Lüders, die auch ihre familiären Wurzeln in Letzlingen hat. In Magdeburg studiert, wollte sie wieder in die Nähe ihres Heimatortes, arbeitete zunächst in einer Reha-Klinik. Sie nahm das Angebot der KV, die Letzlinger Hausarztpraxis zunächst als Angestellte der KV zu übernehmen, an und habe es bisher nicht bereut. Vor einigen Jahren habe sie die Praxis dann von der KV abgekauft.

Das Modell war auch für Berit Lesniak eine attraktive Möglichkeit, ins Berufsleben zu starten. Sie stammt aus Berlin. Ihr Studium absolvierte sie in Magdeburg. Nach ihrer Facharztausbildung habe sie sich für den ländlichen Raum entschieden. In Kürze wird ihre Praxis in Wolmirstedt eröffnet. Seit acht Wochen ist sie aber schon als Hausärztin dort im Dienst in angemieteten Räumen als Übergangsquartier.

Seit fünf Jahren arbeitet Dr. Anja Mersiowski als Hausärztin in Seehausen. Auch sie habe das Modell der Filialpraxen überzeugt, denn die Hausarztrichtung hatte sie nicht unbedingt geplant. „Doch das war ein verlockendes Angebot. Ich kann als Ärztin tätig sein, habe nichts mit Abrechnung und anderen bürokratischen Dingen zu tun“, betonte Mersiowski.

Junge Ärzte zu gewinnen, die nach ihrer Ausbildung auf dem Land als Hausarzt arbeiten, sei eine weitere Herausforderung für die nächsten Jahre. Aktuell gebe es etwa 1400 Hausärzte in Sachsen-Anhalt. Bis 2032 würden etwa 900 in den Ruhestand wechseln. 44 Mediziner würden pro Jahr ihre Ausbildung zum Hausarzt absolvieren. „Bis 2032 werden über 260 Ärzte fehlen. Ein Defizit, das wir nicht nachbesetzen können“, betonte John.

Eine Möglichkeit wäre eine Landarztquote für Studierende an den Universitäten als Verpflichtung, dass sie nach ihrer Ausbildung im Land bleiben. John sprach sich auch dafür aus, die Weiterbildung zum Allgemeinmediziner im Rahmen eines Kompetenzzentrums zu bündeln, finanziert von einer Bundesstiftung. Das setzte allerdings ein gemeinsames Handeln aller Bundesländer voraus.

Annett Lüders äußerte sich jedoch skeptisch, das drohende Defizit mit ortsfremden Hausärzten zu sichern. Im Regelfall werden es „die Kinder der Landärzte sein, die unsere Nachfolge übernehmen, denn die wissen, worauf sie sich einlassen“, betonte Lüders. Deutlich sei ihr das am Rande einer Tagung geworden. Dort habe sie bei einem Gespräch mit jungen Ärzten aus München erfahren, dass Hausärzte als „Barfußmediziner bezeichnet werden, die, mit einer Tasche in der Hand, zur Oma fahren“.

„Wir müssen schnell handeln“, forderte Lüders, denn eine Arztausbildung dauere zehn Jahre. Man könne das Defizit auch nicht nur mit Ärzten aus dem Ausland abdecken, zumal die ja in ihren Heimatländern auch fehlen. Hier müsse auf Bundesebene etwas passieren. Das sieht auch Rainer Schulz, Patient in einer Klötzer Filialpraxis so. Die Ärzte seien überlastet und gestresst. Sie hätten kaum noch Zeit für ihre Patienten. „Das muss geändert werden. Nicht soviel erzählen, sondern dran bleiben an der Sache und handeln“, forderte Schulz.