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Angst geht um Krebsfälle rund um Förderstätten

Umweltmediziner Dr. Paul Matthias Bantz hat Freitagabend in Kakerbeck über den Zusammenhang von Krebsfällen und Erdgasförderung referiert.

Von Cornelia Kaiser 13.11.2017, 11:35

Kakerbeck/Brüchau. „Gesundheit ist wichtiger als Geld!“ So steht es in großen Lettern auf einem Transparent, das die Bürgerinitiative (BI) „Saubere Energie und Umwelt Altmark“ im evangelischen Gemeindehaus in Kakerbeck angebracht hat. Dorthin hat sie am Freitag zum Informationsabend eingeladen, bei dem Umweltmediziner Paul Matthias Bantz referiert. Von ihm erhoffen sich die Initiatoren Antworten dazu, ob das Aufkommen von bestimmten Krebserkrankungen mit der Erdgasförderung und der Lagerung ihrer quecksilber-, kohlenwasserstoffhaltigen und auch radioaktiven Rückstände in Zusammenhang zu bringen ist.

Und Bantz sieht dafür durchaus Anhaltspunkte, weil es, auch international betrachtet, in der Nähe von Förderanlagen immer wieder zu einer erhöhten Krebsrate kommt. Er selbst gehört zu jenen 212 Ärzten aus dem Landkreis Rotenburg/Wümme, die 2015 einen Offenen Brief an die Landes-Gesundheitsministerin Niedersachsens geschrieben und eine industrieunabhängige Studie zum Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Erdgasförderung verlangt haben. Veranlasst sahen sich die Mediziner dazu, weil in der Nähe von Förderstätten in ihrem Heimatlandkreis eine um rund 30 Prozent erhöhte Rate an Krebserkrankungen des blutbildenden und des lymphatischen Systems festgestellt worden war.

Auch in der Bevölkerung, die rund um die Brüchauer Bohrschlamm- und Giftmüllgrube, wegen ihres Quecksilbergehaltes auch Silbersee genannt, beheimatet ist, gibt es immer wieder die Befürchtung, dass der Austritt von Schadstoffen, der in Gutachten auch schon nachgewiesen worden ist, zu einem Anstieg der Anzahl bestimmter Erkrankungen geführt haben könnte. So soll es Anfang des Jahres eine von Bürgern selbst initiierte Befragung in Brüchau gegeben haben, wonach auf 107 befragte Einwohner 19 Krebsfälle kamen. Diese Zahl wird am Freitagabend von BI-Mitglied Bernd Ebeling ins Feld geführt.

Allerdings, auch das wird beim Info-Abend deutlich, ist die Nachweisführung dazu, ob Krebsfälle tatsächlich durch Umwelteinflüsse, die von der Erdgasförderung herrühren, ausgelöst werden, schwierig.

Und das machen sich betreffende Unternehmen, aber auch Behörden, in ihrer Argumentationsführung immer wieder zu Nutze. Zudem gibt es berechtigte Zweifel daran, ob die vom Landessozialministerium in Auftrag gegebene Erhebung zu Krebserkrankungen rund um den Silbersee, in den von 1972 bis 2012 nicht nur Bohrschlämme, sondern auch Abfälle aus der DDR-Chemieindustrie eingelagert worden sind, belastbare Ergebnisse bringt.

Einer, der diese Zweifel am Freitagabend öffentlich äußert, ist der Allgemeinmediziner Dr. Ernst Allhoff, der bis vor einigen Jahren in Tylsen eine eigene Praxis betrieben hat. Wie er sagt, sei das Melden von Krebsfällen in Sachsen-Anhalt, anders als in Niedersachsen, bislang eine freiwillige Angelegenheit für die Ärzteschaft gewesen. Und weil sie dabei mit „überbordender Bürokratie“ und einer komplizierten Weitergabe von Differenzialdiagnosen konfrontiert war und noch ist, darf laut Allhoff nicht davon ausgegangen werden, dass mithilfe des ostdeutschen Zentralregisters für Krebserkrankungen wirklich jeder Fall belegbar ist. Damit wird die Hoffnung derer gedämpft, die sich von besagter Erhebung eine klare Aussage zum Fall Brüchau erhoffen. Zu ihnen gehört allerdings auch der Altmarkkreis Salzwedel, wie dessen Rechtsamtsleiter Jürgen Kulow am Freitagabend deutlich werden lässt.

„Das Beste“, so sagt Paul Matthias Bantz aufgrund entsprechender Erfahrungswerte, „ist es wirklich, eine Befragung von Tür zu Tür zu machen“. Genau eine solche Aktion hatte Steffen Lötge, Mitglied des Kakerbecker Ortschaftsrates, bereits im September während einer Sitzung des Gremiums vorgeschlagen und gemeint, dass diese Aufgabe zum Beispiel im Zuge einer studentischen Abschlussarbeit erfolgen könnte. Die Kommune allerdings, das hat Einheitsgemeinde-Bürgermeister Karsten Ruth kürzlich auf Volksstimme-Anfrage betont, könne eine solche Aufgabe, auch aus juristischer Sicht, nicht übernehmen.

Immer wieder wird am Freitagabend auch deutlich, dass die Bürger die Politik in der Pflicht sehen, Maßnahmen herbeizuführen, die dauerhaft einen wirksamen Schutz von Mensch und Umwelt gewährleisten. Und dazu gehört, nicht nur nach Ansicht der BI, ein komplettes Auskoffern des Silbersees und das Verbringen seines Inhaltes in ein sicheres Endlager. Viel zu lange schon sehen sich die Umweltaktivisten, sowohl diesseits als auch jenseits der westlichen Bundeslandgrenze, mit Hinhaltetaktiken, mit dem Verdrehen beziehungsweise Ignorieren von wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch mit fehlenden gesetzlichen Grundlagen und mit teils auch notorisch unterbesetzten Kontrollbehörden konfrontiert. „Ich“, so Paul Matthias Bantz, „sehe das Ganze inzwischen als Krimi. Und das motiviert mich, dabeizubleiben.“