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Distanzunterricht Wenn Zuhause die Nerven blank liegen

Der Distanzunterricht sorgt für Stress und Konflikte bei Schülern, Eltern und Lehrern am Scholl-Gymnasium in Gardelegen.

14.01.2021, 09:50

Gardelegen l Der Frust im Distanzunterricht wächst: Bei Eltern, die Zuhause neben ihrem eigentlichen Beruf noch unfreiwillig zu Lehrern werden müssen. Aber auch bei den Pädagogen, wie am Scholl-Gymnasium, die den Ärger der Eltern abbekommen. Und das nicht immer im richtigen Ton.

Fünf Aufgaben, fünf Kommunikationswege – darüber ärgert sich Anja Tripke, Mutter einer Neuntklässlerin (15) am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Gardelegen. Wie die Letzlingerin berichtet, habe ihre Tochter im Distanzunterricht unter anderem damit zu kämpfen, dass die Lehrer die Arbeitsaufgaben auf einer Vielzahl unterschiedlicher Wege verschicken. „Eine WhatsApp-Gruppe, per E-Mail, ein Lehrer hat eine eigene Homepage erstellt, die Plattform Moodle und „Edupage“, eine Plattform für Englischaufgaben“, zählt die Mutter auf. Da sei es schwierig für die Kinder, den Überblick zu behalten. Und das sei nur eines der Probleme beim Unterricht zuhause.

Dabei hatte das Gymnasium bereits zum Start ins neue Schuljahr in einem Konzept festgehalten, dass nach Möglichkeit alle Aufgaben per E-Mail oder über die Plattform Moodle verschickt werden. Doch das hat anscheinend nicht funktioniert, bestätigt auch Schulleiterin Steffi Ros auf Nachfrage der Volksstimme. „Wir haben dazu in dieser Woche noch einmal mit allen Kollegen gesprochen“, berichtet Ros und verspricht nun Besserung. Dazu will sie auch das Gespräch mit dem Schulelternrat suchen. Den gibt es aktuell aber nicht wirklich. Nach Beginn des neuen Schuljahres habe bisher keine Wahlversammlung stattgefunden, ist von einem Vater zu erfahren.

Eine Vorgabe vom Bildungsministerium, über welche Wege Aufgaben zu den Schülern kommen, gibt es übrigens nicht, erklärt Ministeriumssprecher Stefan Thurmann: „Konkrete Vorgaben zur Übermittlung von Aufgaben und Inhalten gibt es nicht. Es ist der Teil der pädagogischen Freiheit, den geeigneten Weg zu wählen.“ Wunsch sei natürlich, dass sich die Schulen „idealerweise“ dazu abstimmen, auf welchem Wege sie mit den Schülern kommunizieren, ergänzte Thurmann.

Neben der Aufgabenverteilung äußerten Eltern gegenüber der Volksstimme weitere Kritikpunkte an der Umsetzung des Distanzunterrichts am Scholl-Gymnasium. Vor allem die Erreichbarkeit der Lehrer kritisiert die Mutter einer Fünftklässlerin. „Nur ein Fachlehrer ist an bestimmten Tagen in der Schule telefonisch erreichbar“, berichtet sie. Auch Anja Tripke sieht im alleinigen Kontakt über E-Mail Defizite, wenn es um konkrete Nachfragen bei den Aufgaben gehe. „Das ist kein Homeschooling. Höchstens ein Lernen Zuhause“, meint ein Vater gegenüber der Volksstimme.

Schulleiterin Steffi Ros betont in diesem Zusammenhang, dass der Distanzunterricht nicht mit dem Unterricht in der Klasse gleichgesetzt werden könne. „Keiner ist glücklich mit der Situation“, betont die Schulleiterin. Sie legte aber die Hand für ihre Kollegen ins Feuer, dass Antworten auf Schülerfragen per Mail kommen. Und sie bot an: „Rufen Sie in der Schule an: Wir finden eine Lösung.“

Und Ros berichtet von einem Fall, bei dem sich Eltern darüber geärgert hatten, dass ein Lehrer seine private Telefonnummer nicht weitergeben wollte. Da habe der Kollege dann per Mail um die Telefonnummer der Eltern gebeten, um selbst anrufen zu können, wenn es Fragen und Probleme gebe. „Da haben dann die Eltern mit Hinweis auf den Datenschutz ihre Nummer nicht rausgeben wollen“, erzählt die Schulleiterin.

Einige Eltern kritisieren zudem den Umfang der Aufgaben, die die Kinder nach Hause geschickt bekommen. Jeder Lehrer habe nur sein Fach im Blick, meint die Mutter der Fünftklässlerin. Sie erzählt, dass sie nach ihrer Vollzeitarbeit am Nachmittag mit dem Mädchen die Aufgaben durchgehe. „Ich bin aber kein Lehrer“, betont sie. Danach habe sie bis in die Nacht gesessen, um die weiteren Aufgaben oder Unterrichtsinhalte vorzubereiten. „Die Nerven liegen blank“, betont sie.

Auch in solchen Fällen muss anscheinend besser miteinander kommuniziert werden. Steffi Ros kennt aus Gesprächen mit Eltern beide Seiten. „Ich höre mindestens einmal am Tag, dass sei viel zu viel. Dann schreiben Eltern eine Mail, ihr Kind sei schon fertig mit den Aufgaben und will neue. Und das in einer Klasse.“ Genau da mache sich der Unterschied zum Präsenzunterricht bemerkbar. Aber Ros meint auch: „Ich glaube, dass der Umfang der Aufgaben von uns schon realistisch eingeschätzt wird.“

Der Schulleiterin ist aber bewusst, dass es in den Elternhäusern, wo tagsüber jemand Zuhause ist, besser funktioniert, als bei Familien in denen die Eltern alle Vollzeit arbeiten. Aber auch hier äußert Ros wieder die Bitte, dass sich die Eltern bei Problemen in der Schule melden sollen.

Den Wünschen einiger Eltern, doch eine Art Live-Unterricht aus dem Klassenzimmer über bestimmte Internetplattformen anzubieten, erteilt Ros unterdessen eine Absage. „Ich kenne Schulen, da wird das so gemacht“, berichtet Mutter Anja Tripke. Doch Steffi Ros lehnt das nicht ab, weil sie oder ihre Kollegen es nicht wollen. „Hier in der Schule würden wir das schon hinbekommen“, ist sich Ros sicher. Doch sie zweifelt daran, dass alle Schüler aufgrund der Internetanbindung „auf den Dörfern“ erreicht werden können. „Das ergibt dann eine Zweiklassengesellschaft. Die Kinder, die nicht teilnehmen können bleiben dann auf der Strecke? Das geht nicht“, sagt sie.

Besonders enttäuscht ist die Schulleiterin über den Umgangston mancher Eltern. „Lehrer werden beleidigt“, berichtet sie. Teilweise würden pauschale Vorwürfe geäußert, konstruktive Kritik komme seltener. Dem widersprechen teilweise die Eltern, mit denen die Volksstimme Kontakt hatte. Sie wünschen sich, dass das Kollegium auch Hilfe aus der Elternschaft annimmt.