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Gericht Dauerklingeln bei der „Mafia“

Aus Sorge um seine Tochter rief ein 73-jähriger Mann vergangenen Oktober bei der Polizei an - fast 30 Mal.

22.10.2020, 03:00

Gardelegen/Klötze l Die Notrufleitung der örtlichen Polizei lief in einer Oktobernacht des vergangenen Jahres auf Hochtouren. Verantwortlich dafür war ein einziger Mann. Ganze 28 Mal soll ein 73-Jähriger aus Klötze die Polizei ohne Anlass angerufen haben – und es war nicht das erste Mal, dass er dies tat, wie die Amtsgerichts-Verhandlung vor wenigen Tagen in Gardelegen zeigte.

Dabei war sein erster Anruf an dem Abend noch ganz normal und nicht strafbar: Um 21.45 Uhr meldete sich der Rentner via Handy bei der Polizei, weil er dachte, seine Tochter sei in Gefahr. Eine Gefahr waar aber nicht festzustellen.

Mit der Erkenntnis gab sich der Rentner offenbar nicht zufrieden, wie die Anklageschrift zeigt, denn laut dieser wählte er ab 22.39 Uhr immer wieder die 110 und beleidigte den Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung. Dies ging bis 0.25 Uhr weiter – auch, als schon die Polizei vor seiner Tür stand. Meist dauerten die Gespräche etwas mehr als eine Minute.

Gegen das Zeitprotokoll, das vorzulesen schon mehrere Minuten dauerte, wehrte sich der Angeklagte zunächst, weil er darin einen Widerspruch sah. Dieser stellte sich als einfacher Zahlendreher heraus, veranlasste Richter Axel Bormann aber dazu, die Mitschrift eines Gesprächs vorzulesen.

„Ja, ihr seid die Mafia oder was!?“ waren die ersten Worte des schon merklich angetrunkenen Angeklagten bei seinem mittlerweile zehnten Anruf. Die Aufforderung des Notruf-Mitarbeiters, nicht mehr anzurufen, fiel auf taube Ohren.

„Pfui Teufel! Ich hab’ kein Vertrauen mehr in euch!“, fluchte der Angeklagte weiter. Er glaubte, seine Tochter wäre von einer Bande entführt worden, stellte sich hin als Kämpfer für Gerechtigkeit und bezeichnete sowohl Polizei als auch die vermeintliche Bande als „Mafia“. Das Gespräch beendete er selbst mit den Worten „Tschüs, Idioten!“

Warum der Angeklagte überhaupt glaubte, seine Tochter wäre in Gefahr, erklärte diese in ihrer Zeugenaussage: Die 18-Jährige hatte zu dem Zeitpunkt seit einem Monat keinen Kontakt mehr zu ihm. Nach einem Arztbesuch, bei dem sie nach eigener Aussage etwas Negatives in Erfahrung gebracht habe, habe sie ihre Ruhe haben wollen und dies auch dem Vater zu verstehen gegeben.

Dieser meldete sich dennoch regelmäßig über Telefon, auch an dem Abend des 16. Oktober. Anstelle der Tochter ging aber ihr fester Freund ran, um dem Angeklagten zu sagen, dass sie Ruhe will. Der gab an, er hätte im Hintergrund die Worte „Papa, hilf mir“ gehört, und wandte sich an die Polizei. Nachdem diese bei der Tochter wegen Verdachts auf häusliche Gewalt vorbeigeschaut und sichergestellt hatte, dass kein Grund zur Sorge bestand, begann der Angeklagte sein Dauerklingeln.

Es war übrigens nicht das erste Mal, dass der Mann den Notruf blockierte – beziehungsweise seine einzige Art an Straftaten. Der Mann wurde seit 1992 schon mehrfach verurteilt, unter anderem wegen Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung.

1999 beging er zum ersten Mal Notrufmissbrauch, damals in zwei Fällen. 2000 gab es zwei weitere Verhandlungen wegen Notrufmissbrauchs, 2002 schaffte er seinen persönlichen Bestwert von 76 Anrufen. Damals erhielt er eine Freiheitsstrafe von neun Monaten. 2007 folgte ein Prozess wegen Beleidigung und Körperverletzung, 2017 blockierte er weitere 23 Mal den Notruf.

Der Angeklagte gab an, er leide an Depression. Er sei aus der Wiedervereinigung als Verlierer herausgegangen, habe in den frühen 1990er Jahren seinen eigenen Betrieb aufgeben müssen und habe bis zur Rente als Kraftfahrer gearbeitet.

Mit der Tochter habe er sich nach dem Vorfall wieder vertragen, gaben beide an. Er war sogar bei ihr auf eine Feier am selben Abend eingeladen.

Dass der Angeklagte geständig war, rechnete die Staatsanwältin ihm positiv an. Dass er so etwas schon häufiger getan hat, sprach allerdings gegen ihn. Von einer Freiheitsstrafe, wie er sie 2002 bekam, wurde abgesehen – auch wegen des Alters des Mannes. Die Staatsanwältin beantragte eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 45 Euro (5400 Euro), und dass sein Handy als Tatmittel eingezogen wird. Das Handy gab der Angeklagte gern auf, meinte: „Ich brauch’s nicht mehr.“

Sein Verteidiger warf in seinem abschließenden Statement noch die Frage auf, ob wirklich alle 28 Anrufe als Missbrauch gezählt werden können. Schließlich habe sein Mandant auf einen Rückruf gewartet, der nicht gekommen sei. Spätestens seit dem Hinweis, nicht mehr den Notruf zu stören, sei der Tatbestand aber erfüllt gewesen. Er schlug vor, bei der Geldstrafe auf 60 Tagessätze runterzugehen.

Der Angeklagte versprach mit seinen letzten Worten, so etwas in Zukunft zu unterlassen – auch um seiner Enkel willen.

Der Richter blieb bei den 120 Tagessätzen, auch die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte zu tragen und sein Handy ist er ebenfalls los. Zum Abschluss ging er noch mal auf die möglichen Folgen des Vergehens ein: „Leute, die wirklich Hilfe brauchen, sind dann in der Not, dass sie nicht durchkommen.“ Der Angeklagte nahm das Urteil an.