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Goldschmiedemeister Ein schmucker Laden schließt seine Tür

Die Goldschmiedemeister und Schmuckdesigner Annelie und Henning Hildebrandt geben ihr Gardeleger Geschäft auf. Ein Rückblick.

Von Gesine Biermann 22.11.2018, 20:00

Gardelegen l Die sprichwörtlichen „goldenen Hände“ im Handwerk, die Hildebrandts haben sie. Wie viel Gold im Laufe der vergangenen Jahrzehnte durch ihre Hände ging, können sie allerdings nicht mehr beziffern. Mehr als ein halbes Jahrhundert gehörte Gold zu ihrem Tagwerk. Goldene Zeiten waren es aber längst nicht immer. Leidenschaftliche schon. Und den größten Teil davon erlebten Annelie und Henning Hildebrandt in Gardelegen. Immerhin seit 1970 bringen sie hier in der Altmark Gold, Silber und andere edle Materialien in ihre schönste Form ...

Ende der 1960er Jahre hatten sich die Stendalerin und der Blankenburger auf der Fachschule für angewandte Kunst in Heiligendamm kennengelernt. „In die Industrie wollten wir danach beide nicht“, erzählt Annelie Hildebrandt. Das wäre nach dem Studium nämlich ihr vorgezeichneter Weg gewesen: Gebrauchsdesign für den DDR-Bürger statt individuelles Kunsthandwerk. Selbstständige Handwerker standen in der DDR nicht gerade hoch im Kurs. Dennoch entscheiden sich die zwei bewusst dafür - sogar zunächst noch ohne Gewerbeschein. Weil ein Geschäftspartner seines Schwiegervaters ein Ladengeschäft in Gardelegen hat, beginnt Henning Hildebrandt bei ihm kurzerhand als Angestellter. Fritz Reimanns Eckladen gegenüber dem Schützenhaus verkauft damals „alles mögliche“. Mit dem jungen Goldschmied und Schmuckdesigner kommt ein weiteres Angebot dazu. Eine winzige Werkstatt im hinteren Ladenbereich wird sein erster Arbeitsplatz in Gardelegen. „Wenn Kunden zu mir kamen, musste ich durch den ganzen Laden nach vorne laufen.“ Ehefrau Annelie macht während der Zeit bereits ihren Meister, Voraussetzung für einen eigenen Gewerbeschein.

Dann verstirbt Fritz Reimann. Die HO will das Geschäft übernehmen. Den Hildebrandts bietet man den benachbarten kleinen Spirituosen- und Tabakwarenladen an. Ein bisschen Platz mehr ist dort sogar. Nach und nach renovieren sie das Geschäft. „Immer, wenn Material da war und wir es bezahlen konnten“, erinnert sie sich augenzwinkernd. Das Panzerglas für die Fenster zum Beispiel ist ein wirklich großer Posten für die beiden jungen Geschäftsleute. Eine wirklich große Freude ist dafür die Werkbank, die sie endlich bei den Tischlern im Gardeleger DLK bestellen dürfen. Sie hat Henning Hildebrandt bis heute begleitet. An ihr entstanden tausende individuelle Schmuckstücke – unter anderem zum Beispiel auch Gardelegens Bürgermeisterkette. Und jede Kerbe kann vermutlich eine Geschichte erzählen.

Übrigens auch so manche typische DDR-Geschichte, so wie die von der „Aktion Rudi“ – eine unglaubliche Posse, wenn auch typisch für die damalige Zeit: Am Abend des 10. April 1980 kam ein Herr in den kleinen Laden, forderte, dass abgeschlossen und das gesamte Gold genau abgewogen wird. In der Nacht zum 11. April 1980 stieg in der DDR nämlich auf Anweisung der Staatsführung der Goldpreis von 33,67 Mark auf 250 Mark pro Gramm. Alle Besitzer von Feingold, auch die Hildebrandts, sollten ihren Vorrat nachversteuern. „Für uns waren das ein paar tausend Mark“, erzählt Henning Hildebrandt, „wir haben daraufhin fast unseren gesamten Goldvorrat zurückgegeben und für den kleinsten Teil, den wir behalten haben, immer noch eine Ablöse zahlen müssen.“ Was damals ein einschneidendes Erlebnis war, sorgt heute mittlerweile zum Glück nur noch für amüsiertes Kopfschütteln.

Ebenso wie die anschließende Rüge der Abteilung Finanzen der Kreisverwaltung: Ein Schild mit dem neuen Goldpreis im Schaufenster muss nämlich auf Anweisung eines Mitarbeiters sofort wieder verschwinden. „Das dürfen Sie nicht“, hieß es lapidar. Dafür „durfte“ die Familie, zu der mittlerweile zwei kleine Töchter gehörten, in einer Zwei-Zimmer-Altbauwohnung im dritten Stock wohnen. „Ausprobiert haben wir uns wirklich schon so einiges“, sagt Annelie Hildebrandt schmunzelnd. Mitte der 1980er Jahre probieren sie deshalb noch was anderes aus, beenden die enge Wohnsituation und bauen selbst ein Haus. Mittlerweile sind es zwei. Zumindest noch für ein paar Monate. Denn ihr Geschäftshaus mit dem kleinen Laden – nach der Wende erworben und mit viel Engagement umgebaut – wird demnächst wieder den Besitzer wechseln.

Die neue Eigentümerin kommt aus Niedersachsen. Sie übernimmt die Mieter im Obergeschoss und will das Geschäft im Parterre möglicherweise für eine Außenstelle ihrer Anwaltskanzlei nutzen. „Für uns ist das ein Glücksfall“, sagt Annelie Hildebrandt. Und mit dem beenden die beiden Gardeleger nun auch ihr Geschäftsleben, geben ihre hübsche kleine „Goldschmiede“ endgültig auf und freuen sich mit über 70 nun wirklich auf den goldenen Ruhestand und deutlich mehr Zeit. Fingerspitzengefühl wird zumindest für Henning Hildebrandt aber weiterhin eine Rolle spielen. Denn der baut leidenschaftlich gern historische Segelschiffmodelle. Und auch die Werkbank wird natürlich mit ins Haus umziehen.

Alles andere, inklusive vieler wunderschöner handgefertigter Schmuckstücke, soll bis Ende Januar noch Kunden finden. Apropos: Was sind eigentlich die Gardeleger so für Schmucktypen? Annelie Hildebrandt lacht. „Solide“ sagt sie. Kein Bling-Bling („Aber Brillanten hatten wir ja auch nie“), aber dafür mit Sinn für stilvolle Handwerkskunst. Ein paar mehr Kunden hätten es aber dennoch sein können, vor allem in den letzten Jahren. Gegen Internethandel, Industrieproduktion und Billigimporte kämpfen Betriebe wie die bezaubernde kleine Goldschmiede indes oft vergeblich. Könnten sie noch einmal von vorn beginnen, sie würden vieles trotzdem genau so machen, sagen Annelie und Henning Hildebrandt. Allerdings – auch wenn sie mittlerweile waschechte Gardeleger geworden sind – „vielleicht an einem anderen Ort“.