Graffiti Parolen und Kunst

Gardelegen ist nicht so stark von Graffiti übersät wie andere Städte - besonders verglichen mit welchen in der Nähe. Dennoch gibt es auch hier Schwerpunkte.

08.06.2020, 17:30

Gardelegen l Eine Stadt kann auf viele Arten Eindruck bei Besuchern schinden, aber eines ihrer auffälligsten Merkmale ist auch eines, über das sie wenig Kontrolle hat: Graffiti. Zwar schmückt sich auch Gardelegen mit einigen aufwändigen, legalen Sprühereien, aber das lässt immer noch viele freie Flächen zum Verunstalten.

Insgesamt gilt die Situation in Gardelegen als weniger dramatisch. Ein Stichprobenspaziergang zeigt aber dennoch ein paar Trends und Schwerpunkte. So steigt die Graffiti-Dichte dort, wo nachts keine wachsamen Augen befürchtet werden müssen – dort sinkt das Risiko, erwischt zu werden. Typische Schwerpunkte, auch in anderen Städten, sind etwa Bahnhöfe, Seitengassen und Orte fernab der Innenstadt.

An abgelegenen Stellen sind die Motive auch aufwendiger, denn dort haben Sprayer mehr Zeit, sich auszutoben. Ein Bild kommt dabei selten allein. Tatsächlich kann man sich – hat man erst einmal eines gefunden – davon führen lassen, um Stadtwinkel zu finden, die sonst fast ausschließlich von Sprayern beachtet werden.

Was von den Schriftzügen her nicht dem 1. FCM gewidmet wurde, trägt meist eine politische Botschaft. Sowohl Rechts und Links sind dabei vertreten, anders als zum Beispiel in Salzwedel, wo die linken Sprüche eindeutig überwiegen.

In einer Art Konkurrenzkampf werden Sprüche der Gegenseite oft übersprüht. Das geht soweit, dass ganze Wände komplett mit Schriftzügen überzogen sind, von denen kaum einer erkennbar ist. Falsch geschrieben sind sie zudem auch oft, die Grammatik ist in der Szene also ähnlich flexibel wie die Moral.

In Graffiti besteht eine Art Widerspruch: Ihren Zweck erreichen die Bilder und Parolen am ehesten dort, wo sie gut sichtbar sind. Die besten Möglichkeiten, sie anzubringen, gibt es aber dort, wo wenige unterwegs sind. Eine Ausnahme ist vielleicht der Bahnhof, aber der ist so übersät, dass ein einzelner Schriftzug nicht herausstechen kann.

Eine Möglichkeit, Graffiti ungestraft an prominente Stellen zu bringen, gibt es aber. Denn aus der Kunstform, die eigentlich als Form des Vandalismus anfing, haben sich mittlerweile weltweit Gewerbe gebildet. Firmen oder Städte heuern die Künstler an, um Gebäude zu verschönern und einzigartig zu machen. Am Jugendclub „Mood“ etwa hängen mehrere Tags (Schriftszüge der Sprayer) und am Bahnhof steht eine ganze Wand mit Werbemotiven der Deutschen Bahn – eine Abwechslung zum Rest des Geländes.

Ein weiterer Vorteil: Wo schon legales Graffito ist, wird es unwahrscheinlich, dass sich Sprayer unerlaubt zu schaffen machen. Das verhindert ein Ehrenkodex, auch wenn es durchaus Ausnahmen gibt. Gut veranschaulicht wird das von Stromkästen: Wurden sie legal besprüht, sind sie unversehrt. Waren keine professionellen Künstler dran, übernahmen die Amateure.

Ganz lassen sich legale und illegale Graffiti nicht voneinander trennen. Denn ohne „Schmierereien“ würde es in vielen Fällen auch die gewerblichen Künstler nicht geben. Kurz zusammengefasst von Matthias Täger: „Graffiti fängt eigentlich immer illegal an.“

Täger und sein Kollege Frank Lohrenz sind für viele der Auftragsarbeiten in Gardelegen und Umgebung verantwortlich. Sie sprayen seit ungefähr 25 Jahren, aber erst seit den frühen 2000ern müssen sie keine Strafen mehr für ihre Arbeit fürchten.

Denn um besser im Sprühen zu werden, ist Übung nötig, und die ist schwer zu kriegen. Soziale Angebote, sich in der Kunstform auszutoben, gibt es nur wenige. Leinwände für das Selbststudium können teuer werden und sind kleiner als das durchschnittliche „Tag“, also der selbstgestaltete Schriftzug.

Zudem ist der Untergrund weniger authentisch als eine Mauer. Davon hat jede Stadt genug, nur sonst sind die Umstände nicht ideal: Sprayer arbeiten nachts, sehen also wenig, und laufen trotzdem Gefahr, von der Polizei erwischt zu werden. Die bislang letzte Meldung, dass jemand dafür festgenommen wurde, stammt noch vom Mai 2019.

Dementsprechend sind die Bilder oft weniger gelungen, oder bestehen einfach nur aus hingekritzelten Parolen.

Aber auch so kann ein Handwerk gelernt werden – vielleicht gut genug, um damit Geld zu verdienen. Das war auch Tägers Motivation umzusteigen – das, und die „horrenden Strafen“, die ihm für das ungebetene Sprühen aufgedrückt wurden. Nach Tägers Einschätzung ist die Aktivität in Gardelegen weitaus geringer als etwa in Stendal oder Salzwedel. Das unterstützen Angaben aus der hiesigen Stadtverwaltung und aus dem Polizeirevier Salzwedel. Die Polizei meldet für 2019 13 Anzeigen (davon zwölf in der Stadt), für die acht Verdächtige ermittelt wurden. 2020 waren es neun Anzeigen, mit einem höheren Anteil in den Ortsteilen – vier wurden allein in Mieste gemeldet.

Viel Aufwand, um Graffiti wieder loszuwerden, macht sich die Stadt unterdessen nicht. In Salzwedel etwa zogen 2019 Mitarbeiter der kommunalen Dienste siebenmal zu Reinigungseinsätzen aus, was insgesamt 2 500 Euro kostete. In Gardelegen gab es dagegen nur zwei Einsätze. Die Kosten dafür werden nicht mal direkt genannt, können aber nicht hoch gewesen sein. Die Stadtverwaltung fasst sie lediglich als „überschaubar“ zusammen.