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Integration Asylbewerberin gibt Deutschunterricht

Deutsche Sprache, schwere Sprache. Doch Asylbewerberin Shakila Sahak beherrscht sie so gut, dass sie andere unterrichten kann.

Von Cornelia Kaiser 15.11.2016, 21:00

Kalbe l Friedlich schlummert der fünf Monate alte Hossam in seinem Kinderwagen. Seine Mutter Shakila indes steht, nur wenige Meter entfernt, an einer Schultafel und erklärt rund 20 Männern und Frauen unterschiedlicher Nationalitäten die Schreibweise solcher deutschen Wörter wie Mutter, Vater, Sohn oder Tochter.

Die 30-Jährige, die mit ihrer Familie von Afghanistan in die Bundesrepublik geflüchtet ist und die dabei eine wahre Odyssee, unter anderem durch türkische Gefängnisse, erlebt hat, wohnt seit etwas mehr als zwei Jahren in Kalbe. Erst dort haben Shakila Sahak und ihr Mann Ajmal damit begonnen, sich die deutsche Sprache anzueignen, wobei sie ihre Kenntnisse vor allem dem selbstlosen Einsatz der pensionierten Lehrerin Kerstin Stirnat zu verdanken haben, wie sie immer wieder betonen. Letztere hatte nämlich auf Bitten des Künstlerstadt-Vereins damit begonnen, den in Kalbe lebenden Flüchtlingen Deutschunterricht zu erteilen, als dieses Thema auf Regierungsebene noch gar keines war. Doch die Sahaks, die inzwischen Eltern dreier Söhne sind, sie entwickelten auch einen ganz besonders großen Ehrgeiz, im Sinne einer besseren Integration schnell und gut zu lernen. So gut, dass Shakila anderen Flüchtlingen inzwischen selbst Deutschunterricht geben kann und ihr Mann im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes als Dolmetscher tätig ist, unter anderem für den Altmarkkreis Salzwedel.

Die Sahaks haben sich mit ihren Sprachkenntnissen quasi unentbehrlich gemacht. Nicht nur bei Behörden und in Schulen, sondern zum Beispiel auch bei Ärzten wirken sie immer wieder als Übersetzer. „Dadurch haben wir selbst viel gelernt“, sagt Shakila Sahak.

Die freundliche Frau mit dem bunten Kopftuch, die auch schon in Afghanistan als Lehrerin, unter anderem für Englisch, tätig war, sie beherrscht insgesamt fünf Sprachen. Aber eigentlich sind es sechs. Denn weil sie einen taubstummen Bruder hat, lernte sie einst in ihrer Heimat auch die Gebärdensprache, um sich mit ihm unterhalten zu können.

Seit rund zwei Monaten ist sie nun auf der Basis einer Vereinbarung mit der Kreisvolkshochschule als Lehrerin in Kalbe tätig. Sie vermittelt Flüchtlingen, die wie sie aus Afghanistan, aber auch aus Syrien, Irak oder Indien stammen, die Basiskenntnisse der deutschen Sprache. Immer dienstags gibt sie ihnen zwei Stunden lang Unterricht in der ehemaligen Kulturhaus-Spielothek.

Der Einsatz der Sahaks ist umso bemerkenswerter, als dass sie nach wie vor nicht wissen, wie ihre eigene Zukunft aussieht. Noch im April hatte ihnen die Abschiebung nach Bulgarien – es war das erste EU-Land, das sie im Zuge ihrer Flucht betreten hatten – gedroht. Dann aber hatten sich mehr als 100 Kalbenser zu einer Spontandemonstration zusammengefunden, hatten Vertreter von Behörden und Kindereinrichtungen Briefe ans Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geschickt und darum gebeten, den Fall noch einmal zu prüfen. Das Ergebnis war, dass den Sahaks dann im Mai mitgeteilt wurde, dass sie in Deutschland einen Asylantrag stellen dürfen. Die Anhörung dazu hat im September stattgefunden. „Seither haben wir nichts gehört“, sagt Shakila Sahak mit traurigem Blick. „Wir können nur abwarten“, so die junge Frau.

Sprichts und wendet sich wieder ihren wissbegierigen Schülern zu.