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Jugendhaus Rüder Ton und wenig Hilfe im Heim?

Junge Mütter in der Eltern-Kind-Wohngruppe im Jugendhaus Polvitz klagen über strenge Regeln und rauen Umgangston.

Von Gesine Biermann 22.10.2017, 03:00

Polvitz l Es ist still rund um das Gebäude. Ganz nah am Wald, in einem der kleinsten Ortsteile von Gardelegen liegt es, das Kinder- und Jugendhaus Polvitz in Trägerschaft des Jugendförderungszentrums Gardelegen.

Schon zu DDR-Zeiten war das Gutshaus zu einer Betreuungseinrichtung für junge Menschen umgebaut worden. Früher, auch noch nach der Wende, herrschte dort reges Leben. Wer heute dort vorbeifährt, sieht nur selten Kinder oder Jugendliche im Außenbereich.

Drinnen indes geht es offenbar weniger ruhig zu. Aber nicht etwa, weil dort junge Leute wohnen. Neben Kindern und Jugendlichen werden in der mittleren Etage, in der sogenannten Mutter-Kind-Wohngruppe, aktuell auch einige junge Mütter betreut, die nicht zufrieden sind mit den Zuständen im Heim. „Allein können wir daran aber nichts ändern“, sagt einer der Frauen, die ihren Namen nicht gern nennen möchten (alle Namen sind der Redaktion bekannt). In so einer Abhängigkeitssituation sei es schwer, Probleme anzusprechen. Vor wenigen Tagen wenden sich einige von ihnen deshalb an die Volksstimme.

Natürlich sei ihnen klar, dass sie hier leben, weil nicht alles in ihrem Leben glatt gegangen ist, geben die Frauen freimütig zu. Probleme in Beziehungen, Probleme bei der Kindererziehung – die Gründe sind unterschiedlich. Keine von ihnen ist freiwillig hier. Und doch: „Es ist schon so, dass wir was lernen wollen, was uns und unsere Kinder angeht“, betont eine weitere. Dass ihnen im Heim allerdings wirklich Hilfe zuteil wird, zweifeln sie an. Sehr drastisch drückt es eine dritte Mutter aus: „Eigentlich ist es so wie ein Knast, nur ohne Gitterstäbe.“

Das beginne damit, dass sie von den im Haus tätigen Mitarbeitern grundsätzlich gedutzt würden, „aber ohne dass wir jemandem das angeboten haben. Wir haben aber selbstverständlich alle zu siezen.“

Eine Kleinigkeit, scheint es. Doch die Kritikpunkte summieren sich. So habe keine von ihnen einen Schlüssel zur Haustür. Wer ins Heim will, müsse klingeln. Zuweilen dauere es bis zu zehn Minuten, bis jemand öffne. Die Begründung: Der Schlüssel gehöre zu einer Schließanlage, „und wir könnten mit diesem Schlüssel ja sonst in alle Räume.“

Eigentlich sei das aber eher „Schikane.“ So wie der Standort der Raucherinsel, berichten die Frauen, die zwischen 23 und 27 Jahre alt und damit alle lange volljährig sind. „Ganz hinten im Wald in der Ecke“ dürften sie rauchen. Dort habe aber kein Babyphon Empfang. Woanders, zum Beispiel vor dem Grundstück, würden die Babyphone zwar gut funktionieren. Würden sie dort erwischt, hagele es allerdings Strafen von „3 Euro“ bis zum „Heimfahrverbot“. Genau wie bei anderen „Vergehen“: „Diskutiert wer, wird sofort mit einem Heimfahrverbot gedroht!“ Einmal sei der Gruppenraum, der einzige mit einem Fernseher, da sie privat keine haben dürften, für einen ganzen Tag abgesperrt worden, weil eine junge Frau etwas zu knabbern und zu trinken mitgebracht habe. „Das ist auch verboten.“

Zudem herrsche zuweilen ein rüder Ton. Die Mütter beschreiben Beschimpfungen im Beisein der Kinder, mangelnden Respekt vor der Privatsphäre, Provokationen.

Was sie indes ganz besonders stört, ist, „dass wir eigentlich nicht richtig unterstützt werden.“ So gebe es zwar allabendlich ein Auswertungsgespräch, aber nur selten wirkliche Ratschläge: „Wie denn auch, die sehen uns ja nie.“ Man habe bei einigen Mitarbeitern eher das Gefühl, „dass sie lieber unter sich sind.“ Sogar einer Nachbarin sei das aufgefallen. Die habe die Erzieher darauf angesprochen.

Als eine Mutter, die für mehrere Wochen in einer Tagesklinik behandelt werden musste, darum bittet, dass ihr Säugling tagsüber betreut wird, habe sich die Heimleitung zunächst sogar geweigert, das zu übernehmen. Erst nachdem sie ihre Anwältin eingeschaltet habe, sei das geschehen. „Ich habe in den wenigen Wochen dort dann übrigens mehr gelernt, als in vielen Monaten zuvor im Heim“, schildert die Frau.

Die Psychologin dort habe ihr auch Mut gemacht, wieder allein zu leben. Wann das passiere? „Keine Ahnung.“ Konkret werde nie über eine mögliche Entlassung gesprochen: „Wir können ja ausziehen, aber dann bleiben unsere Kinder hier, wird uns gesagt“, sagt resigniert eine andere.

Dann habe sie aber erstmal keine Möbel mehr, berichtet eine dritte: „Ich musste innerhalb von zwei Wochen herziehen.“ Da habe sie vieles entsorgen müssen. Zudem habe sie nun Mietschulden, „weil ich die Wohnung so schnell nicht kündigen konnte.“

Ob die Vorwürfe berechtigt sind oder nicht, soll – nach einer Bitte um Stellungnahme – nun geprüft werden. „Ihre Mail wurde sofort dem zuständigen Fachamt übergeben und um eine umgehende Prüfung der von Ihnen beschriebenen Problemlagen gebeten“, heißt es in einem Schreiben des Altmarkkreises. „Darüber hinaus wurde Ihr Schreiben an die zuständige Aufsichtsbehörde, das Landesverwaltungsamt Halle, hier: Landesjugendamt Sachsen- Anhalt, Bereich Heimaufsicht, weitergeleitet, und um eine umfassende fachliche Überprüfung der in Ihrer Beschwerde beschriebenen Arbeitsweise der Einrichtung gebeten.“

Auch Andrea Herms, pädagogische Leiterin des Heimes, nahm mittlerweile Stellung: „In Zusammenarbeit mit dem örtlichen Jugendamt und dem Landesjugendamt prüfen und bearbeiten wir gegenwärtig die Vorwürfe, wobei der Gesichtspunkt des Schutzes des Kindeswohles leitend ist“, schreibt sie, und: „Sie werden sich vorstellen können, dass unsere Arbeit in diesem speziellen Kontext der Jugendhilfe hohen fachlichen und pädagogischen Standards unterliegt.“ Zudem bittet sie um Verständnis, dass sie „auf die einzelnen Kritikpunkte nicht eingehen werde“, da die Weitergabe von Sozialdaten nicht erlaubt sei. Drauf, warum keine der Frauen einen Schlüssel bekommt, warum alle gedutzt werden oder warum die Raucherinsel fast mitten im Wald liegt, geht Herms indes auch nicht ein. Mit personenbezogenen Sozialdaten hätte das nichts zu tun gehabt.

In der kommenden Woche soll es ein Gespräch der Mütter mit Mitarbeitern des Kreisjugendamtes geben. Darauf setzen die jungen Frauen nun ihre ganze Hoffnung.