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Klassenzimmerstück Das Leiden nimmt kein Ende

Das Theater der Altmark war am Dienstag an der Karl-Marx-Ganztagsschule in Gardelegen zu Gast. Es ging um Cyber-Mobbing.

Von Antonius Wollmann 30.11.2016, 15:15

Gardelegen l Ganz still ist es im Klassenraum, als der Polizist Dominik Stein seine letzten Sätze sagt. Er berichtet davon, wie er seine Schwester Vicky in ihrem Baumhaus findet, bewusstlos liegt sie auf dem Boden. Keine fünf Minuten später hätte er kommen dürfen. Zuvor hatten ihre Mitschüler sie gemobbt. Aber nicht wie in den Zeiten vor dem Internet nur im Klassenraum. Sondern rund um die Uhr in den sozialen Netzwerken.

Kein Entkommen gab es für Vicky. Immer größer wurde die Verzweiflung. Dann verlässt Dominik Stein den Raum. Die Schüler der Klasse 8a der Karl-Marx-Ganztagsschule blicken betreten auf ihre Tische. Ihre Beklemmung ist mit Händen zu greifen. Die Geschichte –das merkt man – hat sie alles andere als unberührt zurückgelassen.

Dominik Stein heißt eigentlich Carsten Faseler und ist seit dem vergangenen Jahr Schauspieler am Theater der Altmark. Am Dienstag ist er mit der Theaterpädagogin Dina Wälter an der Gardeleger Schule zu Gast, um das sogenannte Klassenzimmerstück „Out! Gefangen im Netz“ vorzuführen. Dabei thematisiert Autor Knut Winkmann die Gefahren des Cyber-Mobbings. Dieser neuartigen Form, Mitschüler auszugrenzen und zu erniedrigen. Der Titel des Stücks deutet bereits an, was Cyber-Mobbing so tückisch macht: Es hört einfach nicht auf. Rund um die Uhr werden die Opfer drangsaliert. Die Zahl der Peiniger wirkt fast unendlich groß.

Konkret erzählt das Stück, das sich an realen Fällen orientiert, die Geschichte des Teenagers Vicky. Oder besser gesagt: Ihr älterer Bruder Dominik lässt das Geschehen aus seiner Sicht Revue passieren. Anhand von Chatprotokollen, Kurznachrichten und Internetvideos zeichnet er nach, wie seine Schwester immer mehr ins Abseits gerät.

Zunächst startet alles relativ harmlos. Vicky kommt auf eine neue Schule, findet sich dort jedoch nicht so richtig zurecht. Ihre Mitschüler sind ihr unsympathisch. Zu oberflächlich, nicht auf ihrer Wellenlänge. Doch nichts, was ihr größere Sorgen bereiten würde.

Bis sie eines Abends die Party zum Anfang des Schuljahres besucht. Eingeladen ist sie zwar nicht, geht dann aber trotzdem hin. Und begeht den fatalen Fehler, zu viel Alkohol zu trinken. Sie verliert die Kontrolle. Übergibt sich, blamiert sich. Das alles halten ihre Mitschüler auf ihren Handys fest. Jeder kleine Fehltritt wird aufgezeichnet. Aber was noch viel schlimmer ist: Vicky verliert in dieser Nacht ihr Handy.

Darauf gespeichert sind etwas frivole Fotos. Gemacht von einer Freundin und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Wenige Tage später sieht Vicky die Bilder in einem sozialen Netzwerk. Gespickt mit unflätigen Kommentaren. Irgendjemand hat ein gefälschtes Profil unter ihrem Namen angelegt und sich einen Spaß daraus gemacht, sie auf diese Weise bloßzustellen.

Zunächst schluckt sie die Demütigung runter. Tut so, als würde ihr das alles wenig ausmachen. Doch die ganze Sache eskaliert nach einer Studienfahrt nach England. Zuvor hatte sie verhindert, dass die Klassenzicke Larissa mitfahren darf. Es wird zwar nicht ausgesprochen, doch es drängt sich der Verdacht auf, dass eben jene Larissa sich dafür an ihr rächen möchte.

Nach der Rückkehr entsteht das Gerücht, sie habe eine Affäre mit einem Jungen aus der englischen Partnerschule gehabt. Wenig später tauchen die besagten Videos von der Party im Netz auf und verbreiten sich in Windeseile. Die Botschaft hinter all diesen Gemeinheiten: Vicky sei leicht zu haben und würde jedem Jungen sofort auf den Schoß springen. Sogar ihr Vater wird per Email benachrichtigt.

Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung richtet der sich an den Klassenlehrer. Statt zu helfen, macht das Eingreifen alles nur noch schlimmer. Gleichzeitig offenbart es, wie hilflos die Eltern und Lehrer dem Problem gegenüber stehen.

Vicky ist nun zum Abschuss freigegeben. Es folgt die ultimative Erniedrigung unter der Dusche der Sporthalle. Fast alle ihrer Klassenkameraden machen mit. In ihrer Verzweiflung weiß sie nur noch einen Ausweg: Sie versucht, sich umzubringen. Doch bevor es zum Schlimmsten kommt, kann Dominik Stein seine Schwester im letzten Moment retten.

So endet „Out! Gefangen im Netz“ zwar nicht in der Tragödie, lässt die Zuschauer dennoch betreten zurück. Denn jeder weiß: Diese Geschichte kann sich in ähnlicher Weise überall ereignen. Allerdings wissen die Gardeleger Schüler nun, wie schlimm Cyber-Mobbing enden kann.