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Lesung 80 Reisetage in 80 musikalischen Minuten

In 80 Tagen um die Welt - geht das? Die Altmark-Festspiele legten noch etwas Tempo zu: „In 80 Minuten um die Welt“ hieß es in Zichtau.

02.07.2017, 19:08

Zichtau l Roman Knižka, bekannt durch Filme wie „Vergiss Amerika“ oder „Twin Sisters“, lieh dem britischen Gentleman Phileas Fogg und den anderen Charakteren des Romans bei der musikalischen Lesung seine Stimme und nahm die Zuhörer auf dem Zichtauer Gut mit auf eine abenteuerliche Reise durch exotische Länder, auf Dampfschiffen, in Zügen oder auf dem Rücken eines Elefanten.

Eine große Uhr links von der Bühne zeigte bereits an, dass es hier um das Thema Zeit und Pünktlichkeit gehen sollte. Allerdings war sie stehengeblieben und zeigte die ganze Aufführung über 9 Uhr an. Im Hintergrund tickte das Metronom und erinnerte ebenfalls an das Verstreichen der Zeit. Dann setzte langsam die Musik ein, Holzbläser, ein fünfköpfiges Ensemble: Musikalisch begleitet wurde die Lesung von der Gruppe „Opus 45“, das sich im Jahr 2008 nach einem Berliner Orchesterprojekt gegründet hatte.

Die fünf Instrumentalisten Franziska Ritter (Flöte), Elke Uta Frenzel (Oboe), Sophie Seemann (Klarinette), Benjamin Liebhäuser (Horn) und Florian Liebhäuser (Fagott) machten aber schon zu Beginn der Lesung eindrucksvoll deutlich, dass sie nicht nur als zurückhaltende Hintergrundmusiker agieren würden. So waren sie nicht nur mit Stücken wie dem Quintett Nummer 1 von Jean Francaix oder dem „Salut d‘Amour“ von Edward Elgar zu hören, sondern auch als Diskussionsrunde in Foggs Club und Wettpartner, aber auch als Zug unter Volldampf oder Alarm-Fanfarenstoß bei Foggs Verhaftung wegen einer Verfehlung seines Dieners in einem indischen Tempel.

Sehr stimmungsvoll und bezeichnend ließ Roman Knižka bereits in der Eingangssequenz die beiden Hauptfiguren des Romans aufeinander treffen: Jean Passepartout will sich als Diener bei Phileas Fogg verdingen. Fogg, blasiert und pünktlichkeitsfixiert, lässt sich von seinem neuen Diener im Vorstellungsgespräch als erstes die Uhrzeit sagen, um ihm anschließend mitzuteilen, dass seine Uhr falsch geht und dass im Hause Fogg alles absolut minutengenau abzulaufen habe. Und Jean Passepartout ist damit sehr zufrieden. Denn bei einem solchen Herrn, bei dem alles ganz genau nach der Uhr läuft, ist ja wohl ein friedlicher, ruhiger Dienst ohne irgendwelche Überraschungen zu erwarten, kommentiert der Franzose am Schluss des Vorstellungsgesprächs seinen positiven Eindruck von diesem neuen Chef. Ein fataler Irrtum, wie er nur allzubald feststellen soll.

Denn als Fogg kurz darauf in seinem Club die Bemerkung fallen lässt, die Welt sei heutzutage auch nicht mehr so groß, man könne sie in 80 Tagen umrunden, erwächst daraus eine Wette, die Herrn und Diener auf eine zwar weiterhin pünktlichkeitsfixierte, aber doch voller Überraschungen steckende Reise führen wird.

Die Geschichte nahm langsam an Fahrt auf, die Zuhörer erlebten Fogg und seinen Diener in Ägypten und Indien, waren mit dabei, als der etwas schusselige Passepartout in einem Tempel vergaß, seine Schuhe auszuziehen, und erlebten die heldenhafte Rettung einer schönen indischen Witwe, die dem Brauch gemäß nach dem Tode ihres Mannes auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte.

Sehr romantisch und intensiv wurde die halbszenische Lesung kurz vor dem Schluss im Zusammenspiel von Roman Knižka und Flötistin Franziska Ritter: Fogg, der glaubt, sich verspätet und alles verloren zu haben, und die schöne Frau Ahuda beschließen, trotz ihrer Mittellosigkeit zu heiraten. Ein solches Paar hat es zweifellos verdient, dass der Pastor sie kurz nach ihrem Entschluss über das wahre Datum aufklärt: Beim Überschreiten der Datumsgrenze in östliche Richtung hat Fogg auf seiner Reise einen Tag gewonnen und kann nun trotz aller Verzögerungen und Verwicklungen doch noch seine Wette pünktlich einlösen.

Einen Abenteuerroman, der eine Reise von 80 Tagen beschreibt, in nur 80 Minuten auf die Bühne zu bringen, ist ein Wagnis und kleines Kunststück. Da wurde gerafft, zusammengefasst, verkürzt. Aber das Wagnis gelang zweifellos. Und dass man die Sache mit der Zeit auch bei Literatur und Musik nicht überbewerten sollte, hatte schon Philip Rusche, der Vertreter des Zichtauer Gutshof-Besitzers Hasso von Blücher, in seinen einleitenden Worten deutlich gemacht: „Geschwindigkeit ist kein Kriterium für Kultur.“