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Reisebranche Die Ungewissheit im Gepäck

Die Reisebranche ist unter Druck. Gefordert werden von der Politik zuverlässige Aussagen, wann die Unternehmen wieder arbeiten können.

Von Lea Weisbach 15.02.2021, 00:00

Gardelegen l Es hätte der umsatzstärkste Monat sein sollen. Umsätze, die sonst in einem ganzen Quartal generiert werden, wirft allein der Januar ab. Wenn Arbeitnehmer ihre Urlaubspläne eingereicht haben, wird normalerweise gebucht. Doch dieser Tage gehen die Einnahmen gen null. Vermutlich brauchen die Menschen zunächst Gewissheit über die Zukunft, meint Reisefachfrau Kristin Vetter von der Vetter Touristik. Das Unternehmen hatte im Dezember 2020 von Werner Tours das Gardelegener Reisebüro übernommen. Aber dennoch habe das Unternehmen, das von ihr und ihrer Mutter Birgit Vetter geleitet wird, knapp 80 Prozent an Umsatz verloren. Durch Rücklagen, staatliche Hilfen und durch die Aufnahme eines Kredites sei es möglich gewesen, ihre Reisebüros aufrecht zu erhalten.

Aber auch sie mussten umstrukturieren. Momentan seien alle Kollegen in der Kurzarbeit. Auch eine wenig lukrative Filiale habe das Unternehmen schließen müssen. Vetter sieht den Tourismus in einer gewissen „Sonderopferrolle“. „Selbst, wenn wir in der derzeitigen Situation geöffnet hätten, würden keine Kunden kommen. Bei einem Friseur mag das anders aussehen. Sie können normal weiterarbeiten. Für Reisewillige müssten erst Klarheiten geschaffen werden.“ Die Geschäftsführerin blickt aber optimistisch in die Zukunft. Die Reiselust bleibe vorhanden. Sie sehe außerdem die Chance, dass die Nachfrage an Beratungen durch Reisebüros steigen könne. „Wenn es wieder losgehen kann, werden unsere Mitarbeiter bestens informiert sein und unsere Kunden nach ihren Wünschen beraten. Da ist der Rechercheaufwand im Internet wahrscheinlich höher“, meint die Reisefachfrau.

Die Reisebranche insgesamt setze außerdem große Hoffnung in die Impfung. „Jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob er geimpft werden will oder nicht. Wir wollen für unsere Bustouren eine Impfung nicht zur Pflicht machen, auch weil es momentan einfach noch zu wenig Impfstoff gibt“, so Vetter. Ähnlich äußert sich Christoph Schlüsselburg, Inhaber der Schlüsselburg Touristik mit Sitz in Lindstedt. „Da unsere Kundenzielgruppe eher im gesetzteren Alter ist, fühlen sich viele durch die Impfung sicherer und wollen einfach wieder raus“, weiß der Inhaber. Dennoch wolle der Busreiseveranstalter niemanden ausschließen, betont Schlüsselburg. Eine Impfpflicht für Reiseteilnehmer werde es von daher nicht geben. Insgesamt sehe er auch in professionell geplanten und ausgeführten Reisen weniger das Problem. „Es ist unnötig, jemanden das Reisen zu verbieten. Wir sind Touristiker, die ihren Job mit Herzblut machen und alles für die Gesundheit unserer Kunden tun. Das konnten wir auch in den Hotels und Restaurants feststellen“, berichtet Schlüsselburg und verweist gleichzeitig auf diverse Hygienekonzepte, die erstellt werden mussten.

Viele Kunden von Schlüselburg Touristik hätten ihre Reisen umgebucht. „Sobald es wieder losgeht, werden auch wir wieder rollen“, versichert Christoph Schlüsselburg. Dennoch habe das Familienunternehmen im vergangenen Jahr nur etwa 60 Prozent der Umsätze eines normalen Jahres erreicht. Sie hätten das Glück, dass sie als Subunternehmen mit der PVGS zusammenarbeiten und eine eigene Werkstatt betreiben. Die staatlichen Hilfen, wie Sofort- oder Überbrückungshilfe, hätten einen wesentlichen Anteil daran, dass das Unternehmen später wieder rollen könne. Dennoch kämen die Hilfen zu langsam. „Es gibt tolle Programme, und wir sind auch dankbar, dass wir davon Gebrauch machen können. Trotzdem haben wir nicht weniger schlaflose Nächte“, erzählt der Inhaber. Es dauere einfach zu lange, und man falle zu schnell durch das Raster.

Andrea Kurfels, Reiseverkehrsfrau und Inhaberin des Reisebüros Archut in Kalbe, habe mit staatlichen Hilfen andere Erfahrungen gemacht. „Nach Einreichung aller Unterlagen waren auch die Hilfen meist innerhalb von 14 Tagen da.“ Sie habe einen Teil ihrer Fixkosten über die Überbrückungs- und Soforthilfe wieder zurückbekommen. Dafür sei Kurfels auch sehr dankbar. Dennoch gebe es noch diverse andere Kosten, beispielsweise für Versicherungen oder Lebensmittel, die von diesen Geldern nicht gedeckt werden. Die derzeitige Schließung und die zurückliegende Zeit seien für Andrea Kursfels finanziell nur tragbar gewesen, da sie neben dem Reisebüro auch einen Lottoladen betreibt. Aber: „Noch ein Jahr könnte ich das nicht durchhalten. Ich kenne viele Reisebüros, die ihre Türen für die Kunden geschlossen lassen müssen“.

Selbst als das Reisebüro Archut im vergangenen Jahr noch geöffnet hatte, habe Kurfels kaum einen Cent mit Reisen verdient. „Ich war eher damit beschäftigt, Stornierungen zu bearbeiten und mein verdientes Geld somit wieder zurückzuzahlen“, erklärt Kurfels. Wichtig für Kurfels sei, dass die Kunden ihr treu bleiben. Denn trotz der schwierigen Situation berate sie alle Kunden gern und hofft, das sie dies auch noch in den nächsten Jahren machen kann.

Norbert Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), prognostiziert in einem Bericht zum Jahresende 2020 für die Reisezeit bis April 2021 einen Umsatzrückgang von über 70 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Erste leichte Hoffnungsschimmer sehe der DRV für den Sommer 2021. „Mit der Aussicht auf den Impfstoff steigt auch die Zuversicht, bald wieder verreisen zu können.“ Zudem rechne er mit einem Nachholeffekt, da viele 2020 keinen Urlaub machen konnten und diesen auf 2021 verschoben haben. Bei den Vorausbuchungen für den kommenden Sommer, die bis Ende November 2020 eingegangen waren, seien besonders Flugpauschalreisen in Richtung westliches Mittelmeer gefragt gewesen. Gebucht wurden aber auch wieder mehr Fernreisen als noch vor Wochen. Die Bürger möchten verreisen und stehen in den Startlöchern. Jede neue Nachricht beeinflusst das Neubuchungsaufkommen in die eine oder andere Richtung. „Sowohl Kunden als auch Reisewirtschaft brauchen mehr Klarheit, wann und wie Reisen wieder möglich ist, sobald es die Entwicklung der Corona-Zahlen zulässt“, so Fiebig.

Trotzdem wird es aller Voraussicht nach noch dauern, bis die bisherigen Rekordumsatzwerte aus dem Jahr 2019 wieder erreicht werden können. „Für 2021 sind wir verhalten optimistisch, 50 bis 60 Prozent der vormaligen Umsatzhöhe von rund 36 Milliarden Euro für den organisierten Reisemarkt der Reiseveranstalter und Reisebüros erzielen zu können“, so der DRV-Präsident. Voraussetzung sei die Verfügbarkeit eines Impfstoffes und eine risikobasierte Teststrategie der Bundesregierung.