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Sekundarschule Ein Abschied mit Autogrammstunde

Zwölf Jahre leitete er die Gardeleger Karl-Marx-Schule. Horst-Dieter Radtke geht in den Ruhestand.

Von Ilka Marten 25.06.2016, 03:00

Gardelegen l Er war seit zwölf Jahren morgens immer der Erste – und nachmittags der Letzte, der die Karl-Marx-Schule verließ. Nur gestern nicht, an seinem letzten Tag inmitten der Schüler. Dafür hatten die 28 Kollegen von Horst-Dieter Radtke gesorgt. Der Grund: Sein Abschiedsgeschenk war eine Reise nach Berlin mit Musicalbesuch, die schon gestern Nachmittag begann. Geschenke gab es am Vormittag reichlich für Radtke, der ganz klar das schönste Schulleiter-Büro in ganz Gardelegen hat. Alle Klassensprecher dankten ihm mit Geschenken und so mancher Umarmung. Wie sehr die Schüler ihren Chef schätzten, brachte Neuntklässlerin Sarah Sue Ziegenbalg auf den Punkt: „Ein cooler Direktor.“ Und dann standen die Schüler Schlange, denn viele wollten eine Unterschrift von ihm auf ihrem Schul-T-Shirt haben.

Seine Lehrerkollegen und ehemaligen Weggefährten verabschiedeten Radtke bereits am Donnerstag mit einem gemeinsamen Nachmittag in Tangermünde, umgedichteten Liedern und einem ganz persönlichen Jahrgangsbuch seines letzten Schuljahres. „Ich bin gerne Lehrer. Der Unterricht mit Schülern hat mir wirklich Spaß gemacht“, betont Horst-Dieter Radtke. Auch als Schulleiter unterrichtete er stets ein bis zwei Klassen, meist Mathematik, nur selten noch Physik, sein zweites Fach. Ging der 63-Jährige über den Schulhof, musste er gar nicht das Gespräch suchen. Die Schüler kamen zu ihm – und er kannte nahezu alle mit Vornamen. Morgens, wenn die Busse anhielten, wartete der Schulleiter schon auf die Schüler – ein kleines Gespräch hier, kurze Absprachen mit den Kollegen dort.

In seinen insgesamt 30 Jahren als Schulleiter legte er viel Wert auf Kompromissbereitschaft: „Man hat nicht immer Recht, und das muss man dann auch mal sagen, wenn es so ist.“ 30 Jahre Schulleiter, insgesamt 38 Jahre Lehrer: „Ich habe mit mir gerungen, ob ich wirklich aufhören soll. Es war eine schwierige Entscheidung“, sagt der Beetzendorfer, der seine eigene Schulzeit in Haldensleben verbrachte. Angefangen hatte Horst-Dieter Radtke als junger Lehrer an der Oberschule in Apenburg 1978. „Erste bis zehnte Klasse, eine kleine Schule, alles sehr familiär.“ Weil er der jüngste Kollege war, musste er 14 Stunden Sport unterrichten. 1986, mit gerade einmal 33 Jahren, wurde er dann Schulleiter in Beetzendorf an der Friedrich-Engels-Schule – und blieb es 18 Jahre lang.

Der Wechsel zur Gardeleger Karl-Marx-Schule war 2004 kein freiwilliger. „Ich habe ein Jahr gebraucht, um hier anzukommen“, sagt Radtke rückblickend. Entsetzt war er über den baulichen Zustand der alten Karl-Marx-Schule: „Eine Ruine. Es war erschütternd. Ich konnte nicht glauben, dass 15 Jahre nach der Wende Schüler noch unter solchen Bedingungen lernen.“ Durch das Gardeleger Gebäude konnte er sicher auch im Dunkeln gehen, denn die 18 Jahre zuvor in Beetzendorf war er im identischen Gebäudetyp tätig, allerdings sei die Beetzendorfer Einrichtung in einem deutlich besseren Zustand gewesen.

Es waren aufreibende Zeiten für Radtke, seine Kollegen und die Schüler 2005 und 2006: Fernsehsender, Tageszeitungen und Boulevardblätter berichteten über Missstände an der Schule, die das Kollegium in einem Brief konkret benannt hatte. Minister und Politiker waren plötzlich Dauergäste. Die Karl-Marx-Schule war bundesweit in den Schlagzeilen. Drei Lehrerkollegien und drei Schülerkollegien galt es, zu einem zu einen, denn 2005 wurden die Jävenitzer Sekundarschule und die Goethe-Sekundarschule in Gardelegen geschlossen. „Ohne all das, was damals war, hätten wir heute keine neue Schule“, ist Radtke überzeugt. Auch wenn es noch einige Jahre dauern sollte, ehe nach zunächst abgelehntem Konzept und der nötigen Konzeptneufassung die Karl-Marx-Schüler in ihren schicken Neubau ziehen konnten. Radtke: „Welcher Schulleiter erlebt das, dass gleich nebenan seine Schule neu gebaut wird? Da bin ich wirklich stolz drauf.“ So manche Bauberatung gehörte in dieser Zeit zu seinem Aufgabenbereich.

Der Beetzendorfer, der am 7. Juli seinen letzten Arbeitstag in der Schule hat, geht mit einem wirklich guten Gefühl in seinen Ruhestand. „Es ist ein glücklicher Übergang“, betont er. Nachfolgerin wird Solveig Lamontain, die schon viele Jahre als Lehrerin an der Karl-Marx-Schule tätig ist – und der er gestern im Beisein der Schüler den goldenen Schulschlüssel übergab. 308 Mädchen und Jungen werden ab August an der Karl-Marx-Schule lernen. Auf die viele freie Zeit freut sich Horst-Dieter Radtke: aufs Fußballtennis mit seiner Altherrenmannschaft, die es schon seit 1998 gibt, auf Radtouren – und darauf, morgens nicht mehr um fünf Uhr aufzustehen. „Alles etwas langsamer und ganz in Ruhe Zeitung lesen“, sagt Radtke. Und: „Meine Frau hat bestimmt auch schon Pläne für mich.“ Ab August ist er der Schule dann auf ganz andere Weise verbunden, denn seine zwei Enkel werden eingeschult. Da kann er das Schulleben dann aus der Opa-Sicht betrachten.