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Sucht Jeder Junkie hat mit Alkohol angefangen

Zehn Jahre lang war Wolfgang Kiehl schwerstabhängig. Von seiner Sucht und dem Absprung erzählte er Schülern in Kalbe.

Von Doreen Schulze 19.02.2020, 00:01

Kalbe l Mit dem Alkohol ging alles los. „Jeder Junkie· hat mit Alkohol angefangen“, erzählte Wolfgang Kiehl den Schülern der achten bis zehnten Klassen der Sekundarschule Kalbe. Statt Mitarbeiter einer präventiven Suchtberatung ist der 56-Jährige mit seinem Suchtmobil vor Ort. Kiehl, der selbst knapp zehn Jahre lang Drogen konsumierte und „schwerstabhängig war“, wie er sagte, schilderte den Schülern, wie es dazu kam und berichtete vom schweren Weg, aus der Sucht wieder herauszukommen.

Den Absprung schaffte er vor 20 Jahren. Seit 2007 ist er bundesweit in Schulen unterwegs, um Jugendliche zum Thema Drogen aufzuklären. „150.000 Schüler habe ich schon erreicht“, sagte er nicht ohne Stolz im Volksstimme-Gespräch. In Der Sekundarschule Kalbe war er am Montag nun erstmals zu Gast.

Der Ex-Junkie wuchs nicht in zerrütteten Verhältnissen auf, wie das Klischee es vermuten lässt. Groß geworden ist er in „einem behüteten Eternhaus, ging in eine behütete Grundschule“, begann er seine Geschichte. Den ersten Bruch im Leben erhielt er in der 5. Klasse. Die Eltern zogen damals mit ihm um. Zwar nur von einem Stadtteil Hannovers in einen anderen, aber dieser Ortswechsel genügte schon. Weg von den Freunden. In der fremden Klasse kam er nicht klar. „Da standen im Unterricht einfach welche auf und liefen rum. Da kam ich nicht klar. Ich konnte nicht lernen.“ Er bat seinen Vater, ihn auf eine andere Schule zuschicken. Aber der lehnte ab. Sich durchsetzen, sich abgrenzen, das sei auch jetzt schon eine Lehre fürs Leben. Aber diese Lektion schaffte Kiehl nicht. Er revanchierte sich mit der Situation auf seine Weise. Er wurde der Klassenkaspar. „Ich wollte so die Aufmerksamkeit auf mich ziehen, so meine Minderwertigkeitskomplexe überspielen.“ Aber das wusste er damals noch nicht.

In der Schule eckte er damit natürlich an. Stress mit den Lehrern war die Folge. Die wandten sich an das Elternhaus. Stress zu Hause war die Folge. Und irgendwann gingen er und seine Eltern sich gegenseitig so auf die Nerven, dass man sich lieber aus dem Weg ginge. Über Gefühle, Sorgen Ängste sprechen? Kiehl hatte damals niemanden, dem er sich anvertrauen konnte. Und das war auch schon der erste große Knackpunkt. „Kommunikation ist alles“, machte er den Schülern deutlich. Anderen die eigene Befindlichkeit mitteilen, sei sehr wichtig, sei ein erster Schutz davor, in die Sucht abzudriften.

Als Siebtklässler paffte Kiehl schon. Und als er in der achten Klasse nicht versetzt wurde, nahm ihn der Vater von der Schule, schickte ihn in die Lehrer zum Klempner. „Und in der Firma da wurde getrunken und gesoffen“, erinnerte sich Kiehl. Hoch die Tassen, fast immer gab es eine Gelegenheit. Und der junge Lehrling mittendrin, machte mit, um dazu zugehören, nicht als Lusche dazustehen, anerkannt zu werden. Und vielleicht auch, weil ihm die Lehre nicht gefiel und der Alkohol es erträglicher machte.

Mit dem eigenen Geld in der Tasche zog Kiehl von zu Hause aus. Und rutschte noch weiter ab. Mit Gleichgesinnten wurde die verschiedensten Rauschmittel geraucht. Immer härter wurden die Drogen. Schließlich griff Kiehl auch zu Heroin.

Den Absprung schafft er nur mittels einer Langzeittherapie, die er fünf Jahre in einer therapeutischen Gemeinschaft absolvierte. Mit allen vorherigen Therapien in Fachkliniken und mit Ersatzdrogen ist er gescheitert, berichtete er.

Kiehl forderte die Jugendlichen auf, bereits bei Alkohol achtsam zu sein. Denn: „Es gibt keine weichen und harten Drogen, es gibt nur Drogen und keine Drogen.“ Eindringlich warnte er auch vor Präparate wie LSD, eine Droge, die das Bewusstsein erweitert und schon in sehr geringen Dosen lang andauernde pseudohalluzinogene Wirkungen hervorrufen kann. Andauernde Psychosen können die Folge sein. Auch vor Crystal Meth, eine weitere synthetische Droge, die sehr schnell in die Abhängigkeit führt und schwerste psychische und physische Schäden hinterlässt. Kiehls Ansagen trafen bei den Jugendlichen auf offene Ohren. Schonungslos und ehrlich sprach er, ohne den mahnenden Zeigefinger zu erheben. Einen Rat gab er ihnen mit auf den Weg: „Sage nein zur Droge, dann sagst Du ja zu Dir selbst.“