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Tag des Buches Bei ihr ist jeden Tag der Tag des Buches

Es gibt Kunden, die kennt sie seit 1968. Denn so lange arbeitet Eleonore Albrecht schon als Buchhändlerin in Gardelegen.

Von Ilka Marten 22.04.2016, 21:00

Gardelegen l Für Eleonore Albrecht ist immer Tag des Buches – jeden Tag. Dienstlich wie privat, auch sonntags, wenn sie nicht im Geschäft ist. Das Lesen ist ihre Leidenschaft und gleichzeitig berufliche Pflicht – doch wer als Kunde kommt, spürt nur diese Liebe für die Bücher. Die 67-Jährige liest fast jeden Tag, meist mehrere Bücher parallel. „Ich bin ja nicht immer in der gleichen Stimmung“, sagt sie. Nur wenige Momente gebe es, wo sie kein Buch zur Hand nehmen könne, einfach mal satt vom vielen Lesen ist.

Die Gardeleger Buchhändlerin ist jeden Tag von hunderten Büchern in ihrem Laden umgeben, der seit der Schließung der Buchhandlung Weichert Anfang des Jahres der einzige in Gardelegen ist. Seit 2005 betreibt sie ihr Geschäft zusammen mit Tochter Claudia Steffens (41) – und auch andere Familienmitglieder packen in Hochzeiten wie zum Schulbeginn und zur Weihnachtszeit mit an. So manchen Kunden kennt Eleonore Albrecht, von vielen liebevoll Lore genannt, schon seit 1968. Damals fing sie als junge Buchhändlerin in der Gardeleger Volksbuchhandlung an.

Die Leidenschaft für Bücher entwickelte sie schon als junges Mädchen. Als jüngstes Kind der Familie „gab es öfter mal ein Buch von meinen älteren Geschwistern“. Außerdem arbeitete ihre Mutter im Kindergarten, „und als ich dann in der Schule war, durfte ich den Kindern im Kindergarten manchmal etwas vorlesen“.

Ganz den Büchern und dem Lesen verfiel die Schülerin durch die Schulsekretärin, die an ihrer Schule in Späningen bei Osterburg eine Schulbibliothek aufbaute und die Gemeindebibliothek leitete. „Ich habe von Anfang an mitgeholfen, diese ganzen Bücher einzuarbeiten. Wir haben immer alles auf Karteikarten geschrieben, das habe ich geliebt.“ Für die Späninger organisierte sie als Jugendliche zusammen mit der Bibliothekarin ein Lesequiz, eine kulturelle Veranstaltung, wo über Bücher gesprochen wurde und auch über alles andere im Dorf.

„Erst wollte ich Bibliothekarin werden“, erzählt Albrecht, doch dann begann sie 1965 ihre Lehre zur Buchhändlerin in der Ausbildungsbuchhandlung in Salzwedel. Den schulischen Teil absolvierte sie in der Buchhändlerlehranstalt in Leipzig. Gleich im ersten Lehrjahr durfte sie als Azubi in die Verkaufsstellen nach Kalbe und Arendsee – als Urlaubsvertretung. „Das war das Beste, was mir passieren konnte“, betont sie. Sie durfte und musste alles machen. Und manchmal auch alles nochmal neu.

Denn ganz nach dem gelernten System hatte sie im Kalbenser Laden die Bücher neu sortiert – zum Entsetzen der Leiterin, die nach drei Wochen aus dem Sommerurlaub zurückkam. „Lore hat dann alles zurücksortiert“, erzählt sie lachend über ihren Arbeitseifer. Damals habe sie das nicht verstanden, „heute schon“, fügt sie hinzu. Dass sie sich nach Ausbildungsende für die Volksbuchhandlung Gardelegen entschied, hing auch damit zusammen, dass sie als Schülerin mit ihrer Schultheatergruppe im Friedrich-Wolf-Theater, dem heutigen Schützenhaus, auftrat – und nur gute Erinnerungen an Gardelegen hatte.

Mit zwei weiteren Kollegen arbeitete sie dann ab Frühjahr 1968 in der Volksbuchhandlung. 1974 wurde sie dort Leiterin, 1987/88 wurde im Laden kurz vor der Wende noch umgebaut – ehe „dann plötzlich alles anders war“. Was es in der DDR nur als „Bück-Dich-Ware“ gab, war plötzlich in großen Mengen vorhanden. „Die Klassiker, alles konnten wir bestellen – doch wo es plötzlich alles gab, blieben die Bücher stehen“, erinnert sich Albrecht. „Frisch, Böll, Suhrkamp, die Klassiker –da hatten wir sie.“ Zuvor hatten sie und ihre Kollegen manchmal bis zu 400 Exemplare eines Buches bei der Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft in Leipzig bestellt, „damit wir drei oder vier dann bekamen, wir konnten den Bedarf nicht decken“, erzählt sie. Auch die Bücher vom Kinderbuchverlag Berlin waren für die DDR-Volksbuchhandlungen nur ganz schwer zu bekommen. „Und dann nach der Wende stand der Vertreter plötzlich mit einem ganzen Koffer vor der Tür. Den habe ich erstmal wieder weggeschickt, weil ich mich so darüber geärgert habe.“

Der Mauerfall, die Wende, Währungsunion – es war unklar, wie es in der Volksbuchhandlung in Gardelegen weitergeht. Im Hause Albrecht tagte der Familienrat – und es fiel die Entscheidung, die Handlung von der Treuhand abzukaufen. Am 14. März 1991 eröffnete Eleonore Albrecht ihren Laden – es blieb nur der alte Name „Das gute Buch“. Als Angestellte war ihre Kollegin Brigitte Martin mit tätig. Und das Geschäft, das vergangenen Monat sein 25-jähriges Bestehen feierte, wurde so zum Familienbetrieb, „denn nur unter der Perspektive, dass Claudia damals schon gesagt hatte, dass sie den Laden übernehmen wird, habe ich mich so entschieden“, sagt die Gardelegerin. Aber ein Leben ohne Buchladen ist bei Eleonore Albrecht eigentlich auch gar nicht vorstellbar.

Mit tätig war auch Ehemann Klaus, seit 2005 arbeitet Tochter Claudia Steffens im Geschäft. „Das ist ein Glück, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten“, betont die Chefin. Denn so manche technische Arbeitserleichterung ging damit in den vergangenen Jahren auch einher. Und jeder hat so seine Bereiche – bei den Aufgaben und bei den Büchern. Während Tochter Claudia mehr die neuen Krimis liest – so wie früher Ehemann Klaus, entdeckt die 67-Jährige viele neue Bücher in der Unterhaltungsliteratur und bei den Kinderbüchern. Das eine Lieblingsbuch hat sie übrigens nicht. „Das geht gar nicht“, findet sie. Doch ein paar Lieblingsschätze aus ihren Kindertagen nennt sie dann doch noch: „Nobi“ von Ludwig Renn als sie ein Schulkind war und „Mädchenjahre“ von Marianne Lange-Weinert als Jugendliche.

Albrechts Geschäft ist seit jeher ein Ort gewesen, wo nicht nur Bücher verkauft werden, sondern wo auch mal kurz reingelesen werden kann. Oder über Bücher gesprochen wird. Mit Freude erlebt Albrecht, dass „das Miteinanderreden, wenn man ein Buch kauft, wieder zunimmt“. Für Kinder liegen immer Bücher dort, die durchgeblättert werden dürfen. Und manche ihrer Kunden kennt Albrecht so genau, dass man glatt fragen kann, ob derjenige, dem man ein Geschenk machen möchte, das schon haben könnte oder nicht.

Nur selten bekommt übrigens die Buchhändlerin Bücher geschenkt. „Das trauen sich nur wenige, dabei freue ich mich darüber“, sagt sie. Dass das Lesen – vor allem der Kinder – ihr am Herzen liegt, zeigt sich daran, dass sie bei den Vorlesewettbewerben jedes Jahr Jurymitglied ist. Und im Bibliotheksförderverein ist die 67-Jährige auch Mitglied.

In den vergangenen Wochen hatten Albrecht und Steffens gleich neun Klassen im Laden zu Gast. Die Viert- und Fünftklässler bekamen je ein Buchgeschenk, konnten sich im Laden umsehen und lösten im Rahmen der bundesweiten Aktion „Ich schenk‘ dir eine Geschichte“ ein Quiz. Als die Klasse 5 b des Gymnasiums mit ihrem Klassenlehrer Franz Buhl das Geschäft verlässt, macht es schon wieder kling-klong: Der nächste Kunde kommt. Die drei Bücher, die Eleonore Albrecht zurzeit liest, sind „Das Traumbuch“ (Krimi, Nina George), „Anna und der Schwalbenmann“ (Kinder- und Jugendliteratur, Gavriel Savit) und „Mörder Anders und seine Freunde nebst dem einen oder anderen Feind“ (Jonas Jonasson).