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Verabschiedung Gardeleger Kinderarzt im Ruhestand

40 Jahre war er Kinderarzt - 30 davon in Gardelegen. Nun hatte Dr. Rainer Genseke seinen letzten Arbeitstag als Leiter der Kinderarztpraxis.

Von Gesine Biermann 02.04.2017, 03:00

Gardelegen l Klar habe er Zeit, sagt Dr. Rainer Genseke (65) vergnügt am Telefon. Hemdsärmelig kommt er am nächsten Tag in die Redaktion, plaudert auf dem Weg noch mit einem Bekannten. So entspannt sieht man Gardelegens bekanntesten Kinderarzt sonst nur im Urlaub. „Und es ist im Moment ja auch noch wie Urlaub“, sagt er. Nur, dass sein Urlaub jetzt lange dauert. Am Freitag war offiziell sein letzter Tag als Leiter der Kinderarztpraxis am fachärztlichen Zentrum, als Chefarzt der Kinderklinik war er schon im September 2016 verabschiedet worden. Und er vermisst die Kinder jetzt schon, gibt er zu. Und nicht nur die. Auch die Eltern und Großeltern seiner kleinen Patienten werden ihm fehlen. Die vielen Gespräche. Und natürlich die Kollegen: „Ich hatte in allen Jahren immer tolles und kompetentes Team“, lobt er die Schwestern und Ärzte an seiner Seite.

Deshalb weiß er das Haus auch in guten Händen. Aber er wird natürlich ab und an vorbeischauen, auf eine Tasse Kaffee. Zum Plaudern. „Und wenn sie mich rufen.“ Vier Jahrzehnte Erfahrung werden sicher noch das ein oder andere Mal gebraucht werden. Dann aber wirklich nur privat. Offiziell ist Genseke jetzt nämlich Ruheständler. Und das freut ihn auch ein bisschen, vor allem für seine Familie. „Die stand so viele Jahre hinter mir, ich hab oft gefehlt, aber sie haben es mich nicht merken lassen.“ Von nun an wird er also mehr Zeit haben für seine Frau Gabriele, die als niedergelassene Allgemeinmedizinerin schon vor einem Jahr in den Ruhestand ging, für die Familie und vor allem für die Enkel Moritz und Luise – „unsere Augensterne“, sagt er stolz. Und so trifft sich die ganze Familie ab sofort wohl nun öfter mal in Gensekes einstigem Elternhaus, im idyllisch gelegenen, ostelbischen Randau, das mittlerweile zur „Familienferienscheune“ umgebaut ist. Denn auch wenn ihm die Altmark zur zweiten Heimat wurde, „getauft wurde ich noch mit Elbewasser“, sagt Genseke augenzwinkernd.

Nach dem Abitur in Schönebeck – mit Ausbildung zum Elektromonteur – studierte er 1970 Medizin. Dass es am Ende die Kindermedizin wurde, habe er zwei Professoren zu verdanken, die ihn da sehr geprägt hätten, gibt er zu. „Sie haben mir vermittelt, was Kinderheilkunde wirklich ist“, nämlich nicht nur das Behandeln von Krankheiten, „sondern, dass auch das soziale Umfeld wichtig ist“. Dazu gehörte auch mal ein Rat an die Eltern, „dass sie mit dem Säugling lieber nicht nach Ägypten fliegen sollten“, eine Aufklärung in Sexualkunde, wenn sich die Eltern damit schwer taten, oder sogar mal ein Job als Streitschlichter, wenn ein kleiner Patient auf seinem Behandlungstisch saß, der von einem anderen Knaben einen Stein an den Kopf geworfen bekommen hatte.

Und er habe vor allem immer versucht, die Fragen seiner kleinen Patienten ernst zu nehmen und sie stets zu beantworten, versichert Genseke – wenn auch manchmal erst in der nächsten Sprechstunde, weil er selbst erst nachsehen musste. „Wussten Sie zum Beispiel, warum der Papst immer rote Schuhe trägt? Ich auch nicht.“ Das habe ihn nämlich mal ein Zehnjähriger gefragt, weil seine Mama es nicht wusste. Er leider erst mal auch nicht, so Genseke schmunzelnd. „Aber dafür bei seinem nächsten Besuch.“

Tausende solcher Geschichten gibt es, die Genseke erzählen könnte. Tausende Gesichter stehen dahinter. An unglaublich viele kann er sich auch noch erinnern. Manches Gardeleger Baby hat er von Geburt an betreut. Später dann kamen sie als Teenager „mit Freund oder Freundin“, noch später mit ihren eigenen Kindern zu ihm. Viele haben sich persönlich verabschiedet. Ein kleiner Patient habe ihm sogar angeboten, dass er ihn jetzt bei seinem Spitznamen rufen darf. Und von dessen Mama bekam er einen Fuchs geschenkt, „weil ich wie ein Fuchs immer herausgefunden habe, was ihm fehlt“.

Das ihm das alles fehlen wird, ist verständlich. „Aber ich bin froh, dass ich das alles gehabt habe“, sagt Genseke. Für ihn – „und auch für meine Frau“, sei immer wichtig gewesen „dass wir etwas tun für die Gesellschaft“.

Und bei Genseke war das oft längst nicht nur seine Arbeit als Arzt. In der Zeit nach der Wende wurde aus dem Mediziner zeitweise der Klinikmanager, leitender Chefarzt, Integrationshelfer, Verantwortlicher für die Facharztweiterbildung und Architekt. Ende der 80-iger Jahre wurde die Kinderklinik umfangreich umgebaut – auch sein „Baby“. „Einmal habe ich da einen Bauauftrag von 28 Millionen Mark unterschrieben. Da war mit ganz schwummerig.“

Außerdem musste das Krankenhaus verwaltungstechnisch auf Westniveau gebracht werden – so ganz nebenbei. „Ich weiß aber noch, wie es darum ging, den ersten Tagespflegesatz zu berechnen. Nächtelang haben wir gesessen...“ Mithilfe von Kollegen aus zwei Kliniken in Niedersachsen „und den kompetenten Ärzten an unserem Krankenhaus“ gelang das am Ende. „Es ist einfach gut, wenn man solche Leute an seiner Seite hat“, weiß Genseke. Und damit meint er nicht nur die medizinischen Kollegen, auch seine Sekretärinnen Herta Iser und Roswitha Seemann. „Die haben mir so viel abgenommen. Und ohne viel zu fragen.“

Ab sofort kann er vieles nun selbst machen. Und einiges hat er sich auch schon vorgenommen. Nichts Großes übrigens, keine Weltreise. Aber in Randau warten die Obstbäume, der Garten, der Trecker und „ein paar alte Mopeds und Motorräder“ auf ihn. Ein bisschen mehr Zeit zum Lesen will er sich nehmen – Biografien, aber auch Fachliteratur. Gemeinsam mit Ehefrau Gabriele will er das Mysterium Computer etwas näher erkunden – an der Seniorenuni in Magdeburg. Mit seiner Frau will er sich für die Renaturierung der Elbe engagieren. Und er wird mehr Zeit haben, seinen Verein, den 1. FC Magdeburg, anzufeuern, „der jetzt endlich dahin unterwegs ist, wo er hingehört“.

Es wird ihm also nicht langweilig werden. Und wenn doch, freuen sich sicher die ehemaligen Kollegen über einen Besuch. Apropos Kollegen: Was würde er einem jungen Kollegen raten, der gerade beginnt? Genseke überlegt nicht lange: „Wenn Sie Sorgen haben, irgendwas problematisch ist, wenn Sie mal meinen, jemandem böse sein zu müssen, dann schauen Sie eine Minute lang in Kinderaugen. Darin liegt die Seele. Danach entscheidet man automatisch richtig!“