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Wirtschaft Gründerzeit in Gardelegen?

Gardelegen ist keine boomende Gründermetropole. Aber Existenzgründungs-Berater Volker Lahmann sieht durchaus Chancen.

Von Petra Hartmann 26.07.2018, 03:00

Gardelegen l „Gardelegen ist eine kleine Stadt, es ist einfach ein Problem der kritischen Masse“, sagt Volker Lahmann. Er ist Gründungsberater des Altmarkkreises und bietet in Gardelegen regelmäßige Sprechstunden für Existenzgründer an. „Wenn zu wenig Kunden da sind, dann gründen sich bestimmte Sachen einfach nicht mehr.“ Auch die Infrastruktur, beispielsweise die nicht so gute Verkehrsanbindung der Hansestadt sei für einige Gewerbe problematisch. „Und unser Internet ist ja auch nicht so toll“, merkt er an. Auch das Fehlen von Hochschulen und Universitäten könne ein Nachteil sein. Und von großem touristischem Interesse sei die Hansestadt leider für viele auch nicht.

Dennoch sieht er in einigen Bereichen, gerade im Handwerk und im Dienstleistungssektor, gute Chancen für Gründer auch in der Hansestadt. „Handwerksbetriebe, Handel, Gastronomie und Freiberufler – das sind Sachen, die immer funktionieren.“ Und gute Entwicklungsschancen gebe es auch im Bereich der Gesundheitsberufe, Betreuung, Altenpflege, Hilfe für an Demenz Erkrankte. Aber auch Heilpraktiker und Physiotherapeuten. „Da entwickelt sich gerade sehr viel. Und wenn wir alle älter werden, dann spiegelt sich das auch in der Wirtschaft wieder.“

So hätten sich in Gardelegen in jüngster Zeit zwei Unternehmen gegründet, die sich mit ambulanter Pflege befassten, ein umkämpfter, aber auch ein stetig wachsender Markt. Auch im Gastronomiebereich habe er in Gardelegen zwei neue Wirte betreut, die jeweils ein Geschäft eröffnet beziehungsweise übernommen hätten.

Eine Firma für Auto-Folierung habe er kürzlich in Gardelegen unterstützt, und es habe eine Übernahme in einem Medienunternehmen gegeben.

Mitbringen sollte man als Gründer fachliche Qualifikation, Empathie und unternehmerisches Geschick. Etwas problematisch sei in jüngster Zeit die Finanzierung geworden. „Die Banken sind sehr zurückhaltend“, umreißt Lahmann die Situation. Der Finanzierungsplan sei ja auch ein wichtiger Teil des Businessplans. „Dass ist der Punkt, an dem manche Gründer zurückschrecken“, sagt der Berater, der in seinen Sprechstunden oft auch beim Erstellen eines Finanzplans hilft. Etwa ein Drittel der Menschen, die seine Beratung in Anspruch nehmen, machen sich anschließend selbstständig.

„Der typische Gründer ist eine Einzelperson“, hat Lahmann in der Altmark festgestellt. Männer zwischen 35 und 45, aber auch „die gereifte Frau um die 50, die sich einen ​Nebenerwerb aufbaut oder ihren Beruf an den Nagel hängt.“ Etwa ein Viertel der Gründer in seinen Sprechstunden seien Frauen.

Oft begegnen ihm aber auch „Gründungen aus der Not heraus“, etwa wenn Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder wenn ihr Arbeitgeber sein Unternehmen schließen muss. Manche gründen auch ihr eigenes Unternehmen aus Unzufriedenheit mit ihrem Arbeitsplatz, ob aus finanziellen Gründen oder weil das Betriebsklima einfach nicht stimmt.

Ein weiterer Grund sei oft die familiäre Situation, etwa wenn kranke Eltern gepflegt oder Kinder betreut werden müssten und ein Arbeitsplatz mit Festanstellung zu unflexibel wäre.

Für viele sei die eigene Firma auch nur eine Übergangslösung. Wenn sich die Chance auf eine neue Festanstellung ergäbe, würden viele Gründer diese ergreifen.

„Traditionell gut läuft das Handwerk“, sagt Lahmann. „Wir hatten zwar vor einigen Jahren einen großen Aderlass, aber mittlerweile können sich die Betriebe vor Aufträgen nicht mehr retten.“ Auch die Unternehmensnachfolge sei derzeit ein großes Thema. Die Gründergeneration nach der Wende sei jetzt ins Rentenalter gekommen. Ein Geselle könnte übernehmen, hat allerdings oft nicht das nötige Kleingeld ...

Ein ganz wichtiger Faktor sei die Bildung, hebt Lahmann hervor. Gerade eine gute Allgemeinbildung, das sei das A und O im Umgang mit Kunden. Er beklagt auch den „riesigen Aderlass an Leuten, die Abitur gemacht haben“ und dann die Altmark verlassen. Kulturell habe Gardelegen durchaus einiges zu bieten, was ja auch ein „weicher Standortfaktor“ sei. Aber die nachlassende Allgemeinbildung sei ein schwerwiegendes Problem.

Und generell würde er sich über etwas mehr „Einkaufspatriotismus“ freuen. Gardeleger könnten schließlich durchaus auch durch ihr Einkaufsverhalten die Gründer vor Ort unterstützen. „Im Schwabenland versuchen die Leute einfach, ihren Laden im Dorf zu erhalten“, sagt er.

Deutsche Bürokratie sei ebenfalls ein Punkt, der Gründer oft abschrecke. „Wenn ich Leute mit Migrationshintergrund habe, können die das oft gar nicht begreifen“, sagt Lahmann. Gewerbeämter, Finanzamt, Berufsgenossenschaft, das statistische Landesamt, für jede Änderung auf dem Betriebsgelände eine Baugenehmigung, das sei schon eine Herausforderung. Kompliziert werde es spätestens, wenn der Unternehmer auch noch Mitarbeiter einstellen wolle.

Trotz allem: Es geht aufwärts mit den Gründungszahlen, stellt Lahmann fest. Normalerweise hat er durchschnittlich 30 Gründer im Haupterwerb und fünf bis zehn Gründer die sich einen Nebenerwerb verschaffen möchten. Im vergangenen Jahr waren es kreisweit 37 Haupterwerbsgründungen.

Raten würde Lahman, der früher einmal selbstständiger Architekt war, fast immer zur Gründung: „Der Versuch ist es immer wert. Man geht immer mit Erfahrungen daraus hervor.“