1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Gardelegen
  6. >
  7. Zulehner: "Jesus saß nicht in seinem Büro"

Zukunftskonferenz Zulehner: "Jesus saß nicht in seinem Büro"

Zur drittenTagung der Zukunftskonferenz des evangelischen Kirchenkreises Salzwedel trafen sich mehr als 70 Kirchenmitarbeiter.

Von Gesine Biermann 12.10.2015, 01:01

Gardelegen l Kein Zweifel: Für diesen Kirchenmann ist das Glas nicht halb leer, sondern mindestens zu drei Vierteln voll – und am Sonnabend brachte er diesen Optimismus just mit in die dritte Tagung der evangelischen Kirchenzukunftskonferenz im Gardeleger Gymnasium.

Dabei kam Prof. Paul Zuhlehner, seines Zeichens Philosoph und katholischer Theologe, ja eigentlich von der Konkurrenz; und zudem nicht einmal aus der Region, sondern direkt vom weltältesten Lehrstuhl für Pastoraltheologie in Wien und das, um den protestantischen Brüdern und Schwestern in der Altmark Mut zu machen. Zwar sind sinkende Mitgliederzahlen und Personalprobleme in der Kirche auch in Österreich an der Tagesordnung.

Aber eigentlich komme es doch immer auf die Sichtweise an: „Sie dürfen einfach nicht mehr von 100 Prozent runterrechnen, sondern Sie müssen von 0 hochrechnen“, empfahl Zulehner. Zudem gebe es heute viel mehr Christen, die sich wirklich bewusst dafür entschieden hätten, Christ zu sein. Kirche sei wie „das Salz in der Suppe – und haben Sie etwa schon mal eine Suppe probiert, die eins zu eins mit Salz vermischt ist?“ Die Kirche,so Zulehner, werde also „kleiner, aber reiner!“ Wenn das kein Grund zur Freude sei.

Ob die Suppe den Christen in der heutigen Zeit noch schmeckt, liege allerdings auch in der Hand der Anwesenden: „Ihr bringt ein bisschen Erkenntnis in die Sinnsuche der Menschen“, versicherte er den Kirchenleuten der Region. Und dazu brauche es vor allem „Visionen, Orientierung und Motivation“.

Denn längst nicht jede Gemeinde heute sei auch tatsächlich eine – „Manche sind so hermetisch abgeschlossen, dass niemand hineinkommt.“ In Wien kenne er Gemeinden, die seien eher „bürgerliche Clubs mit pastoraler Begleitung“, deren Mitglieder sich „jeden Sonntag zu einem religiös verschönerten Konditoreibesuch treffen – Und jetzt schickt ihnen Gott plötzlich diese Flüchtlinge...!“

Letztere sehe er übrigens als echte Herausforderung für die Kirchen, betonte Zulehner, erläuterte das anschaulich an dem Bildnis „Jesus heilt einen Aussätzigen“ – das vor knapp 1000 Jahren im Bistum Mainz entstand – und fragte am Ende provokativ: „Wem würde sich Jesus heute zuwenden?“ Die Menschen am Rande der Gesellschaft seien aktuell doch unter anderem Arbeitslose und Flüchtlinge. Die indes würden von vielen gemieden – darunter auch von bekennenden Christen. Aber warum? Jesus sei bei diesen Ausgegrenzten gewesen, „Jesus saß nicht in seinem Büro!“

In seinem Sinne rief Zulehner schließlich auch auf, ruhig mal die weltlichen Gesetze zu hinterfragen. Stichwort Kirchenasyl: „Wenn ein Gesetz sich gegen den Menschen richtet, hat die Kirche die Pflicht, dagegen zu handeln.“ Der Mensch müsse mehr wert sein als ein Gesetz. Das sei nicht leicht, „weil auch wir Ängste haben, aber Sie müssen die Spurtreue sichern. Man kann ein Gesetz nämlich so lange auf die Spitze treiben, bis es den Menschen schadet“.

Mit ihrer Fähigkeit, auch gegen starre Anschauungen zu handeln, hätten die Christen aus dem Osten Deutschlands aber schließlich Erfahrung im real existierenden Sozialismus gesammelt, vermutete Zulehner: „Sie können stolz darauf sein, dass sie Christen waren, zu dieser Zeit.“ (Mehr von der letzten Tagung der Zukunftskonferenz des Kirchenkreises lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben.)