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Gesundheit Ärztemangel auf dem Land

Wie kann die medizinische Versorgung im Jerichower Land gesichert werden? In Jerichow wird das am Dienstag diskutiert.

Von Sigrun Tausche 15.11.2015, 09:00

Jerichow l Insbesondere in der ländlichen Region wird der Altersdurchschnitt der hier lebenden Menschen immer höher und damit der Bedarf an medizinischer Versorgung immer größer, während zugleich immer weniger Ärzte „auf dem Land“ praktizieren möchten. Lösungen müssen gefunden werden, wie eine angemessene medizinische Versorgung in ländlichen Gebieten gesichert werden kann.

„Gesundheitspolitik ist ja in aller Munde, und es wird mit sehr viel Begriffen hantiert, die für den Laien einfach nicht zu verstehen sind“, sagt Dr. Thomas Wieser, Chefarzt für Neurologie und spezielle Schmerztherapie im AWO Fachkrankenhaus. „Wir haben Hausärztemangel, Fachärzte­mangel, eine Überalterung der Gesellschaft, wir haben unkontrollierbare Kosten im Gesundheitssystem... Dafür müssen Lösungen gefunden werden. In den Nachrichten hört man Begriffe wie Krankenhausstrukturgesetz, Überwindung der Sektorengrenzen, Portalpraxen, MVZ, Telemedizin, Krankenhäuser sollen regionale Versorgungszentren werden... Das sind alles Ideen, die noch nicht wirklich mit Zahlen und Fakten hinterlegt sind.“

Und zu dem im Sommer beschlossenen Krankenhausstrukturgesetz, für das längst schon der Begriff „Abwrackprämie“ im Umlauf ist, weil es dazu dienen soll, kleine und unrentable Krankenhäuser zu schließen und zum Beispiel in Pflegeheime umzubauen, wisse noch niemand genau, was das werden soll.

Deshalb, erklärt Wieser, wolle er eine solche Veranstaltung durchführen, bei der Laien – Menschen, die hier leben und gesund alt werden wollen – die Gelegenheit haben, mal mit Spezialisten und Akteuren zusammen zu sitzen und darüber zu reden, wie man diese Probleme angehen kann.

Es werde einen relativ kurzen Teil geben, wo Experten ein paar Fakten auf den Tisch legen. Das wichtigste sei aber, dass man hinterher miteinander spricht. Der betroffene Bürger soll die Leute, die an den entscheidenden Stellen sitzen, fragen können.

Dr. Thomas Wieser ist seit Februar 2014 im AWO Fachkrankenhaus tätig und hat hier mit der Schmerztherapie eine neue Abteilung etabliert. „Ich arbeite gerne hier und ich möchte auch meine Zukunft hier gestalten.“ Das bedeute für ihn auch, sich den Herausforderungen zu stellen. „Wir haben nicht nur einen Hausärztemangel, wir haben auch einen Fachärztemangel.“

Auf der Veranstaltung wolle Wieser seine Sicht als Facharzt hier im AWO-Krankenhaus darlegen. „Ich finde, das Krankenhaus ist einmalig – in seiner Schönheit, so renoviert wie es ist, mit seiner fachlichen Kompetenz... Aber wir werden nicht einfach sagen können; Wir machen hier einfach weiter tolle Medizin in der Johannes-Lange-Straße 22. So wird es nicht gehen.“

Neue Wege müssen beschritten werden, denn: „Es wollen sich nicht nur Hausärzte nicht niederlassen, sondern auch Fachärzte. Die Studenten sind zu fast 70 Prozent Frauen, da sind ganz andere Berufsmodelle gefragt: Vereinbarkeit von Beruf und Familie, man will angestellt sein, man will regelmäßig Urlaub, man will einen geregelten Feierabend haben. Das ist richtig und gut, und ich denke, hier wird die kassenärztliche Vereinigung, die ja den selbständigen Unternehmer propagiert, auch an Grenzen stoßen.“

Daher werden sich zum Beispiel für das AWO Fachkrankenhaus solche Fragen für die Zukunft stellen: „Werden wir in unseren Tageskliniken zum Beispiel einmal in der Woche Neurologie-Sprechstunden machen? Einmal in der Woche Schmerztherapie-Ambulanz? Einen Facharzt für Psychiatrie vorhalten müssen?“

Das betrifft eines der vieldiskutierten Stichworte: „Die Sektorengrenzen müssen aufgehoben werden!“ Das heißt, die strikte Trennung zwischen ambulantem und stationären Bereich, für die derzeit zwei ganz unterschiedliche Finanzierungssysteme gelten, was auch gesetzlich festgelegt ist. „Es gibt auch noch keine Gesetzentwürfe, wie man die ‚Mauer‘ durchlässig macht.“

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, Dr. Burkhard John, wird auch unter den Referenten sein. „Er will natürlich das System weiterführen, dass niedergelassene Ärzte selbständige Unternehmer bleiben.“ Dafür werde eine Werbekampagne gemacht und Anreize werden geschaffen. „Aber ich glaube, das ist ein Auslaufmodell“, ist Wieser überzeugt. Auch mit diesen Anreizen löse man das Problem auf lange Sicht nicht.

Als dritter Redner wird Wolfgang Schuth, Geschäftsführer des AWO Landesverbands Sachsen-Anhalt, dabei sein. „Er ist Chef von drei Krankenhäusern und muss sich natürlich auch Gedanken machen.“

Als vierter Redner konnte ein Medizinstudent gewonnen werden, der das Problem aus seiner Sicht darlegt. „Ich bin sehr gespannt, was er sagen wird.“ Diesen Kontakt hat Dr. Franziska Kersten, SPD-Landtagskandidatin im Wahlkreis 5, hergestellt. Sie wird auch die anschließende Diskussion moderieren.

Es sei wichtig, betont Wieser, dass die Politik zuhört und weiß, was die Bedürfnisse sind und in welche Richtung es gehen soll. „Es ist natürlich ein bundesweites Problem“, weiß Franziska Kersten, „wir können hier nur Ansätze liefern und uns als Sachsen-Anhalt dazu positionieren. Wir werden in dieser Runde auch nichts lösen, sondern nur die Probleme ansprechen und schauen, welche Themenfelder besonders interessieren.“

In welche Richtung die Diskussion führen wird, sei sicher auch davon abhängig, ob viele aus dem Gesundheitsbereich kommen oder sehr viele Bürger, die Fragen stellen. „Es geht mir auch darum, diese Kluft zu überwinden“, betonte Wieser. „Es soll klar werden, dass wir als Standort hier in der Region uns auch kümmern wollen.“

Dr. Wieser hat viele persönliche Einladungen verschickt, insbesondere an Ärzte, mit denen es bereits eine Zusammenarbeit gibt und die schon Patienten hierher überwiesen haben. „Ich würde mich natürlich freuen, wenn sie kommen. Aber auch jeder andere ist eingeladen“, betont er. Zwar hatte er um Anmeldung gebeten, um ungefähr einschätzen zu können, wie viele Teilnehmer es werden, aber Kurzentschlossene können gern auch unangemeldet kommen, können zuhören, ihre Fragen stellen und anschließend auch mit anderen Teilnehmern persönlich ins Gespräch kommen.