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Abriss Mauersegler verjagt Bagger und Co.

Die Abriss-Arbeiten an der Genthiner Lorenzstraße haben ein unfreiwilliges Ende gefunden. Vorübergehend jedenfalls.

Von Simone Pötschke 05.10.2018, 01:01

Genthin l Alles dicht: Ein hoher Bauzaun sichert das Gelände an der Lorenzstraße vor unberechtigtem Betreten. Nicht unüblich während Abriss-Arbeiten, die sich in Genthin mittlerweile über Monate in den einstigen, nicht mehr genutzten Neubaublock- Siedlungen erstrecken. Im Mai rückte die Abrissbirne in der Lorenzstraße an. Da lief noch alles planmäßig.

Vor einigen Wochen wurden jedoch die Arbeiten von einem Tag auf den anderen eingestellt, Baufahrzeuge rückten ab. Die Schuttreste der Lorenzstraße 20 bis 24 bleiben bis auf den heutigen Tag unberäumt. „Wir wundern uns, warum da absolut nichts passiert. Was ist da eigentlich los?“, fragt Bettina Wolle aus Mützel, die auf ihrem täglichen Arbeitsweg nach Genthin mit dem Stillstand an der Abriss-Stelle konfrontiert wird.

Jens Thormeyer, als Geschäftsführer der Genthiner Wohnungsbaugenossenschaft eG (GWG) erst einige Monate im Amt, holt tief Luft als er mit der Frage konfrontiert wird. Auf die brachliegende Abriss-Stelle wird offensichtlich keine Vergnügungssteuer entrichtet.

Nachdem die Untere Naturschutzbehörde im Nachbarblock Lorenzstraße 15 bis 19 zu den bereits abgerissenen und jetzt in Schutt liegenden Wohnungen das Vorhandensein des Mauersegels festgestellt hat, sei mit sofortiger Wirkung ein Baustopp für die Dauer der Brutzeit ausgesprochen worden, informierte der Geschäftsführer. Dem musste sich die GWG zum 26. Juni fügen.

Nach Vorgabe der Unteren Naturschutzbehörde musste die GWG ein Artenschutzgutachten erstellen. Dazu gehörte unter anderem die Suche nach Nesten in jedem Raum der zum Abriss vorbereiteten Objekte. Es musste beobachtet werden, ob Altvögel Nistmaterial oder Futter eintragen. Bei den einzelnen Begehungen konnte das Vorkommen eines Mauerseglerpärchens bestätigt werden.

Der Mauersegler steht auf der Vorwarnliste der „Roten Liste“ gefährdeter Brutvögel. Der Fels- und Baumbrüter lebt in Städten in Wohnblöcken, Altbauten, Türmen und Fabriken. Vogelschützer sehen in dem Verlust von Nistplätzen beispielsweise durch Gebäudesanierungen oder Abriss wie in Genthin, die Existenz des Langstreckenziehers gefährdet.

Somit dürfen die Arbeiten erst nach Beendigung der Brutzeit der Tiere und dem Flüggewerden der Jungtiere, artübergreifend zirka Ende August/Mitte September, fortgeführt werden. Der Baustopp, der durch den Landkreis bis Ende September zeitlich begrenzt war, das macht Jens Thormeyer klar, blieb für das Wohnungsbauunternehmen alternativlos.

Der GWG sind glücklicherweise in der Zeit des Baustopps keine größeren zusätzlichen finanziellen Belastungen entstanden. Da die vertraglich gebundene Magdeburger Abrissfirma über volle Auftragsbücher verfügte, konnte sie zu anderen Baustellen umsetzen. Im ungünstigsten Fall hätte die GWG für Ausfallzeiten und finanzielle Verluste der Firma aufkommen müssen.

Letztlich schlagen nach Auskunft des Geschäftsführers nur Transportkosten, die für die Firma zusätzlich anfielen, zu Buche. Die Abbruch- und Aufräumarbeiten werden nach dem jetzigen Stand der Dinge nach den Herbstferien wieder aufgenommen. „Es wird weitergehen“, versichert Jens Thormeyer.

Etwa bis Mitte Juli sollten die Arbeiten in der Lorenzstraße ursprünglich andauern, in deren Zuge letztlich 168 Wohnungen verschwinden. „Aus heutiger Sicht wird die gesamte Abbruchmaßnahme einschließlich Rekultivierung der Flächen Anfang nächsten Jahres beendet sein, sofern keine größeren Beeinträchtigungen durch unvorhersehbare Witterungsverhältnisse entstehen“, so Jens Thormeyer.

Die mehr als 40 Jahre alten Wohnblöcke in der Lorenzstraße werden aufgrund schlechter Bausubstanz und mangelnder Nachfrage entfernt. Die Genossenschaft erhält für den Abriss der Lorenzstraße 7 bis 24 eine Fördersumme von 600.000 Euro. Im gesamten Wohngebiet Uhlandstraße wurden durch die GWG bereits 60 Wohnungen im Jahr 2016 und 2017 sogar 108 entfernt.

Mit den Abrissen in diesem Jahr wird die Genossenschaft ihre Leerstandsquote auf unter zehn Prozent senken.