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Ahnenforschung „Holpriger Start ins Leben“

Erst mit 67 Jahren begann der Genthiner Horst Muzalak nach seiner Herkunftsfamilie zu suchen. Weit musste er nicht reisen.

Von Susanne Christmann 03.02.2021, 07:00

Genthin l Es ging Horst Muzalak aus Genthin damals wie vielen adoptierten Kindern: er hat lange nichts davon gewusst, dass Heinrich und Frieda Muzalak aus Jerichow nicht seine leiblichen Eltern waren. „Ich habe es bei ihnen gut gehabt“, blickt der heute 76-Jährige in einem Gespräch mit der Volksstimme dankbar zurück. Die beiden, so erinnert er sich, hätten selbst keine eigenen Kinder haben können. Deshalb hätten sie – nach und nach – insgesamt 15 Jungen und Mädchen aus dem Heim zu sich geholt, um ihnen ein familiäres Leben zu geben. Er sei das 15. Kind gewesen. Und nur ihn hätten die beiden schließlich adoptiert.

Als Horst Muzalak als 13-Jähriger ein gehässiges „Na, du angenommenes Kind?“ entgegen geschleudert wurde, begann ihm zu dämmern, dass er noch eine ganz andere Herkunftsfamilie als die Muzalaks haben musste. Seine Geburtsurkunde, die er mit 14 in die Hände bekam, bestätigte das. „Die Landarbeiterin Marie Hedwig Elisabeth Huhn“, steht dort, „wohnhaft in Genthin, Große Waldstraße 4, hat am 31. Mai 1945 um 11.30 Uhr einen Knaben geboren. Das Kind hat folgende Vornamen erhalten: Horst Günter Otto. Eingetragen auf mündliche Anzeige der Großmutter, Frau Hedwig Huhn, geborene Stranz, wohnhaft in Genthin. Die Anzeigende erklärte, bei der Niederkunft zugegen gewesen zu sein.“ Der Name Huhn genügte Horst Muzalak lange Jahre als erste Antwort darauf, aus welcher Familie er eigentlich kam. Mehr wollte er damals zu seinen Wurzeln – aus Respekt und Dankbarkeit seinen Zieheltern gegenüber – nicht wissen. Was auf der Geburtsurkunde links noch in altdeutscher Schrift handschriftlich vermerkt ist, weiß Horst Muzalak bis heute nicht so genau. Die Redaktion hat Antonia Beran vom Kreismuseum Jerichower Land gebeten, sich das einmal anzuschauen.

Sie antwortete prompt: „...durch den vor der amtlich bestellten Vertreterin des zu Genthin wohnhaften Notars Albert Richter, Doktor Luise Arndt in Genthin am 8. Dezember 1948 errichteten und von dem Amtsgericht Genthin bestätigten Kindesannahmeantrag ... haben der Heizer Heinrich Muzalak und dessen Ehefrau Frieda, geborene Löffler, beide wohnhaft in Jerichow/Elbe, ... das unten bezeichnete Kind gemeinsam an Kindes Statt angenommen und bestimmt, dass das Kind nur den Familiennamen Muzalak führen soll“, steht dort. Es ist also der später eingetragene amtliche Vermerk, dass er von den Muzalaks adoptiert worden war.

Von seinem „holprigen Start ins Leben“ zuvor, wie Horst Muzalak das nennt, steht auf seiner Geburtsurkunde natürlich nichts. Davon erfuhr er auch erst sehr viel später. Horst Muzalak schloss die achte Klasse ab, begann mit 14 eine Traktoristenlehre, später holte er dann noch den Abschluss der 10. Klasse nach. Er ging danach zur Polizei nach Magdeburg. Schließlich schlug er sich nach der Wende als eine Art fahrender Marktschreier durch, der die Wurst, die er dabei an den Mann und die Frau brachte, auch selber schlachtete. Bei den Pfadfindern brachte er den Jüngsten bei, wie man draußen in der Natur in der Gemeinschaft leben kann.

Vor etwa zehn Jahren – da hatte er schon zwei Ehen, aus denen sieben Kinder mit jetzt 14 Enkeln und 13 Urenkeln hervorgingen, hinter sich – war der immer lebenslustig Gebliebene – wieder einmal – zum Tanz verabredet. Was er aber nicht wusste und was sich erst hinterher herausstellte – es war seine leibliche Cousine, mit der er da verabredet war. Eine andere Verwandte sah ihn das erste Mal und sagte dann über ihn: „Oh, der hat ja unser Gesicht, der sieht ja aus wie wir“, sprich wie ein geborener Huhn und damit war Horst Muzalaks Drang (wieder) geweckt, alles, was möglich ist, über seine Herkunftsfamilie in Erfahrung zu bringen.

Besonders über seine leiblichen Eltern, die er nicht mehr persönlich kennenlernen konnte. Über sie und seinen damit verbundenen „holprigen Start“ ins Leben erzählte ihm die wiedergefundene Verwandtschaft folgende Geschichte: Sein Vater wartete 1946 mit dem Blumenstrauß vor dem Standesamt auf seine künftige Frau – Horst, damals noch Huhn, war da etwa ein Jahr alt. Wer allerdings nicht kam, war die Braut. Sie soll damals mit einem anderen Mann an ihrer Seite das Weite gesucht haben.

Tante Ida aus Spandau erbarmte sich des kleinen Horst und nahm in zunächst zu sich. Dann kam er doch ins Heim in Genthin. Warum? Sein Vater wusste von seiner Existenz nichts und sollte auch unter keinen Umständen von ihm erfahren. Aus dem Heim holten ihn die Muzalaks 1948 dann zu sich. Über seine Mutter erfuhr er noch, dass sie mit 54 Jahren früh verstorben ist. Um ihr Grab hat sich Horst Muzalak dann gekümmert und einen ordentlichen Stein aufstellen lassen.

Inzwischen kennt Horst Muzalak so ziemlich alle Huhns aus seiner Herkunftsfamilie, die noch in Genthin, Mützel, Ziesar, Magdeburg, Steinberg, Lübars, Parchen und Thüringen leben. Ob das der Halbbruder, die Halbschwester, Cousinen und Cousins, Onkel oder Tanten sind. Wobei letztere nicht selten zum Teil erheblich jünger sind als Horst selbst. Ein Verwandter kam beim Bier in der Gaststätte einmal von selbst auf ihn zu und sagte: „Hallo, ich bin Dein Halbbruder.“ Mit den einen pflegt er das neu gefundene verwandtschaftliche Verhältnis weiter, bei den anderen genügt es ihm, sie einmal kennengelernt zu haben.

Er weiß nun, dass sein Vater Pferdehändler gewesen war und ein Glasauge gehabt haben soll. Die Oma – eine geborene Stranz aus Parchen – soll in Genthin neben der Feuerwache gewohnt haben. Insgesamt zehn Kinder soll der Opa gehabt haben, Horsts Mutter war eines davon. Seine Evi, mit der er noch einmal ein spätes Glück gefunden hat, hat Horst Muzalak wo kennengelernt? 2015 beim Tanz in der Gaststätte „Eisenbahn“. Beide pflegen sie seitdem gemeinsam ihr Hobby, den Schießsport im Schützenverein. Evi ist dort amtierende Schützenkönigin. Und das Tanzen natürlich – wenn es denn nach den Corona-Ein-schränkungen endlich wieder möglich sein wird.