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Brauchtum  Zwölf magische Nächte

Die Rauhnächte starten am 24.Dezember. Noch nie gehört? Eine Exkursion von Tucheim bei Genthin zu fast vergessenen Bräuchen und Riten.

Von Kristin Schulze 24.12.2017, 05:00

Genthin/Tucheim l Es ist soweit. Der Countdown ist herunter gezählt, die Türchen des Adventskalenders sind geöffnet. Der Heilige Abend läutet das Weihnachtsfest ein. Gleichzeitig ist der 24. Dezember Start in eine weit weniger bekannte Zeit, in die der Rauhnächte.

„Das sind zwölf heilige Nächte, denen im europäischen Brauchtum oft besondere Bedeutung zugemessen wird“, erklärt Franziska Primas. Die 30-Jährige arbeitet als Yogalehrerin in Magdeburg, verbringt diese besondere Zeit aber hauptsächlich im heimatlichen Tucheim.

Die Rauhnächte dauern bis zum 6. Januar, im Volksmund heißt es, dass sich danach die stürmischen Mächte der Winterzeit zurückziehen. Ihren Ursprung haben die magischen Tage in der Astrologie, so hat das Sonnenjahr 365 Tage, das des Mondes aber nur 354. Bei den elf fehlenden Tagen und zwölf Nächten handelt es sich um besagte Rauhnächte.

Was zeichnet diese Zeit nun aus? Ruhe, sich besinnen aufs Wesentliche, Zeit, um Kraft zu tanken, Altes zu ordnen, Neues vorzubereiten, erklärt Primas und beschreibt damit das Gegenprogramm zum verbreiteten Weihnachtsstress, bei dem sich alles um Geschenke und Essen zu drehen scheint.

Gut zu tun hat sie allerdings vor den Rauhnächten, denn die wollen gewissenhaft vorbereitet sein. Halbheiten sind ihre Sache nicht und so gilt, dass im Hause Primas vom 24. Dezember bis zum 6. Januar weder schwere Arbeit verrichtet, noch Wäsche gewaschen oder aufgehangen wird. Außerdem: „Versprechen gehören eingelöst, Schulden beglichen, Ungeklärtes geklärt.“ Klingt gut, bedeutet aber auch, dass das alles vorher erledigt werden muss. Außerdem müssen genügend Vorräte im Haus sein. „Klar ist das mit Aufwand verbunden, aber so habe ich zu Weihnachten den Kopf frei, kann mich entspannt zurückziehen und besinnen.“

Sicherlich ein Aspekt der Rauhnächte, den jeder für sich anwenden kann. So kommen auch die, die Räuchern für Hokuspokus halten, über Traumdeutung müde lächeln und das Führen eines Tagebuchs als Zeitverschwendung abtun, auf ihre Kosten.

Primas zelebriert die Rauhnächte, die im Laufe der Zeit Namen wie Rauch-, Glöckel-, Inner- oder Unternächte bekamen, mit allem drum und dran.

Zum Beispiel mit einem kleinen Altar. „Auf den kommt mein Räucherwerk, denn wichtiger Bestandteile der Rauhnächte ist das Räuchern, um schlechte Energien zu vertreiben, Glücksbringer, Feuer in Form einer Kerze und was mir sonst Freude bereitet.“

Verbreiteter als dieser Altar ist sicherlich der Weihnachtsbaum, der auch in der Wohnung von Franziska Primas nicht fehlt. „Als Symbol für Fruchtbarkeit und den ewigen Kreislauf des Lebens bleibt er über die gesamten Rauhnächte stehen und leuchtet tagsüber grundsätzlich.“

Auch ein Tagebuch begleitet sie durch diese Zeit. Prägende Erlebnisse kommen hinein, ebenso das Wetter, die Stimmung und Träume. „Damit ich die nicht vergesse, kommt das Buch unters Kopfkissen“, sagt Primas.

Jeanne Ruland schreibt in ihrem „Wegweiser durch die zwölf heiligen Nächte“ über das Träumen: „Alles wird, bevor es real wird, zunächst einmal geträumt. Nehmen Sie die Fragen, die Sie haben, mit in den Traum. Sie werden eine Antwort erhalten.“ Und: „Die Nacht ist der Ursprung des Werdens. Schenken Sie ihr Aufmerksamkeit. Schreiben Sie auf, was Sie empfangen.“

Franziska Primas sagt: „Das alles gibt Aufschluss übers kommende Jahr.“ Jede Rauhnacht stehe dabei für einen Monat des neuen Jahres. Die Nacht zum 25. Dezember für den Januar, die zum 26. für den Februar und so weiter.

In der Literatur sind etliche Bräuche und Rituale aufgeführt, die man in den einzelnen Nächten durchführen kann, die Empfehlungen reichen über räuchern, orakeln und meditieren bis hin zu alltäglicheren Dingen wie spazieren oder Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. „Erlaubt ist, was gefällt. Jeder sollte sich aus der Vielzahl an Möglichkeiten das raussuchen, was ihm Freude bereitet“, rät Primas und erzählt, wie die erste Rauhnacht in ihrem Tucheimer Elternhaus abläuft:

„Wir setzen uns etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht zusammen und zünden eine große Kerze an. Dann geben wir ein Räucherstäbchen rum und jeder erzählt, wie ihm das alte Jahr gefallen hat.“ Eingeführt haben das ursprünglich die Frauen im Hause Primas, aber auch der Vater macht mittlerweile mit. „Wichtig ist, dass nur der spricht, der das Stäbchen gerade hat. Wir hören uns zu, sparen uns Kommentare. Das läuft in drei Runden ab, in der zweiten erzählt jeder, wo er gerade steht und in der dritten folgen Wünsche fürs neue Jahr.“ Um Mitternacht werden die Rauhnächte begrüßt und wir gehen mit den Räucherstäbchen nach draußen.“

Jede der kommenden Nächte steht nun unter einem eigenen Thema, es gibt Leitfäden, was man wann am besten tun kann.

Ein geschichtlicher Rückblick zeigt den Ursprung dieser Riten. Die europäischen Winter waren lang und hart. Die Vorräte gingen zur Neige, das Feuerholz wurde knapp und Nahrung ließ sich in der Natur nicht finden. Unsere Vorfahren waren viel stärker in die Naturgeschehnisse eingebunden, kannten weder künstliches Licht noch Heizung oder Supermarkt. So feierten sie die Wintersonnenwende am 21. Dezember, nach der die Tage wieder länger werden, ausgelassen. In den Tagen danach hielt man, mit Verwandten und Freunden am Feuer sitzend, Rück- und Ausschau aufs kommende Jahr. Man teilte seine Vorräte und sprach mit der Natur, suchte das Orakel auf, um Hinweise auf die Zukunft zu bekommen. „Viele Rituale und Bräuche aus dieser Zeit zielten darauf ab, sich für die bevorstehende Zeit Mut zu machen, Kraft zu tanken, die Naturgewalten gnädig zu stimmen, Haus, Hof und Familie zu schützen sowie Vieh und Nahrungsmittel zu sichern“, schreibt Jeanne Ruland.

Franziska Primas sagt: „Sicher kann nicht jeder mit allem etwas anfangen, aber das Schöne ist die Rückbesinnung auf uns und die Natur.“ Und dass jeder sich einige Bräuche heraus suchen kann, die ihm gefallen, um diese besondere Zeit bewusster zu genießen.“ Zum Abschluss verrät sie noch ein besonderes Ritual, das sie durch die gesamten Rauhnächte begleitet: 13 Wünsche werden auf kleine Zettel geschrieben und so gefaltet, dass sie nicht mehr lesbar sind. In jeder Rauhnacht wird einer verbrannt, ohne ihn vorher zu lesen. So werden die Wünsche ins Universum geschickt und - im Idealfall - von diesem erfüllt. „Ein Wunsch bleibt übrig, den muss man sich im neuen Jahr selbst erfüllen.“