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Eisenbahnunglück Zeitzeugen kommen zu Wort

In Genthin wurde an das größte Unglück in der deutschen Eisenbahngeschichte vor 80 Jahren erinnert.

Von Simone Pötschke 27.12.2019, 00:01

Genthin l Volle Plätze im Genthiner Kreishaus bei der Gedenkveranstaltung. Weitere Stühle müssen heran geschafft werden, einige Gäste müssen mit Stehplätzen vorlieb nehmen. Das Genthiner Eisenbahnunglück fesselt auch nach 80 Jahren immer noch ein großes Publikum. Nach Gedenken zum 70. und 75. Jahrestag setzte der Veranstalter, der Förderverein Stadtgeschichte, zum 80. auf ein verändertes Konzept und ließ diesmal nach einer Lesung Zeitzeugen, seinerzeit noch Kinder, zu Wort kommen.

Die weiteste Anreise nahm dafür der 84-jährige Axel Neubauer auf sich, der mit der Bahn aus Wülfrath (Nordrhein-Westfalen) anreiste. Seine Mutter war bei dem Unglück als DRK-Helferin im Einsatz. Mit Gerda Zinke und Ellen Witt erklärten sich zwei Genthinerinnen bereit, von ihren Erinnerungen an das Unglück zu berichten. Damit konnte auch dieses Gedenken - wie seine Vorgängerveranstaltungen - ein weiteres Stück Vergangenheitsbewältigung leisten.

Altbürgermeister Wolfgang Bernicke riss in seiner Moderation an, dass die Angaben zu Toten und Verletzten seit Jahren sehr weit auseinander gingen, während die Umstände des Unglücks seit den 1990er Jahren relativ gut erforscht seien.

Zum 80. Jahrestag der Katastrophe, über die Jahrzehnte Stillschweigen herrschte, scheinen Hobbyhistoriker, Eisenbahnfans und Genthiner den Streit um die genauen Opferzahlen beigelegt zu haben. Dass in Genthin in der Nacht zum 22. Dezember 278 Menschen den Tod gefunden und weitere 453 Menschen zum Teil schwere Verletzungen davon getragen haben, wird nicht mehr in Frage gestellt. Altbürgermeister Wolfgang Bernicke sprach bei diesen Opferzahlen allerdings von einem „Konsens“, auf den man sich geeinigt habe, weil sich genaue Zahlen ohnehin nicht mehr feststellen ließen.

Offiziell war 1939 davon die Rede, dass 187 Personen tödlich verunglückt seien. Heimatforscher Dieter Rohr zog die Richtigkeit der Opferzahlen, so wie sie auf dem Denkmal am Bahnhof aufgeführt werden, nie in Zweifel. Sie fußten seinen Aussagen zufolge auf einem Schreiben des Regierungsbezirkes Magdeburg zum internen Gebrauch an den Landkreis, das an die Stadt Genthin weitergeleitet wurde. Diese endgültigen Zahlen zu den Unfallopfern seien seinerzeit nicht zur Veröffentlichung freigegeben gewesen. Dieter Rohr verweist auf seinen Vater, der als städtischer Mitarbeiter Kenntnis von dem Schreiben erhielt. Das Schreiben ist allerdings vermutlich schon in den Wirren des Krieges verloren gegangen.

Dass die Zahlen glaubhaft sind, wird gestützt durch Überlieferungen einer inzwischen verstorbenen Genthinerin, die im Auftrag der Stadt die Totenliste zu schreiben hatte. Ihre Eintragungen endeten beim 211. Opfer. Es ist bekannt, dass beim Zerlegen schwerer, ineinander gekeilter Eisenteile, diese Arbeiten wurden in Magdeburg vorgenommen, weitere Opfer aufgefunden wurden.

Die genauen Opferzahlen standen für den Zeitzeugen Axel Neubauer bei seinem Besuch in Genthin allerdings nicht im Vordergrund. „Es war mir einfach sehr wichtig, dabei zu sein“, sagte er.

Am 22. Dezember 1939 war im Genthiner Bahnhof um 0.53 Uhr mit ungebremster Geschwindigkeit der D 180 von Berlin nach Neunkirchen (Saarland) auf den haltenden D 10, sein Ziel war Köln, aufgefahren.