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Praxisübergabe Schild mit Pfeil im Treppenhaus

Jeder vierte niedergelassene Vertragsarzt wird in den kommenden Jahren ausscheiden und seine Praxis verkaufen. Ein Beispiel aus Genthin.

Von Falk Heidel 23.12.2016, 05:00

Genthin l Der bunte Pfeil an der Treppe zeigt schräg nach oben: Praxis für Herz und Gefäßerkrankungen, steht auf dem Schild. Und ganz klein, Dr. med. Gerlinde Hellwig: „Dieses Schild werden wir noch austauschen müssen“, sagt die Kardiologin am Tresen der Patientenaufnahme und blickt auf ihre Nachfolgerin. Doch das ist nicht das Wichtigste. In den vergangenen Wochen hat sie zusammen mit Dr. Kristina Bensch die Patienten behandelt: „Wir sind uns in den wichtigsten Punkten einig, es wird ein harmonischer Übergang“, erklärt die scheidende Medizinerin.

Eigentlich hat die 63 Jahre alte Fachärztin das Rentenalter noch nicht erreicht: „Aber mit Kristina Bensch hat sich jetzt eine geeignete Nachfolgerin angeboten. Wer weiß, was in zwei Jahren ist.“ Aus diesen beiden Sätzen kann man deutlich herauslesen, wie sehr ihr die Praxis und vor allem die Mitarbeiter am Herzen liegen. Doreen Siegmund, Kerstin Gaede und Andrea Hermes bilden das Praxispersonal. „Es ist ein tolles Team. Jederzeit engagiert und flexibel. Und jederzeit bereit, neue Dinge zu lernen.“ So beschreibt Gerlinde Hellwig ihre Noch-Mitarbeiter. Ab 1. Januar heißt die Chefin Kristina Bensch.

„Ich wollte keine Fließbandarbeit am Patienten.“

Dr. Gerlinde Hellwig

Von 19 niedergelassenen Kardiologen im Großraum Magdeburg arbeiten zwei im Jerichower Land, erklärt Janine Krausnick von der Kassenärztlichen Vereinigung. Krausnick zufolge behandeln die Kardiologen in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1250 Patienten pro Quartal, also in drei Monaten. Das deckt sich in etwa mit den Zahlen von Dr. Gerlinde Hellwig. Sie hat 10 000 Patienten in der Kartei: „Pro Quartal behandeln wir 1100 Menschen.“ Diese Patienten bescheinigen ihr in all den Jahren, dass sie jederzeit Ruhe ausstrahlt und immer ein offenes Ohr für die kleinen und großen Sorgen dieser Menschen hat. Sie meint dazu: „Genau darum habe ich mich immer bemüht, ich wollte keine Fließbandarbeit am Patienten.“

Die Fachärztin für Innere Medizin ist seit 1985 in Genthin. Bis zur Wende arbeitete sie in der Poliklinik. 1991 folgte der Umzug in die Dürerstraße und irgendwie auch in eine neue medizinische Welt. Zusammen mit Dr. Carsten Micheel kaufte sie vom damaligen Landkreis Genthin das Haus, in dem sich eine Arztpraxis, die Schnelle Medizinische Hilfe (SMH) und Wohnungen befanden. Aus den beiden Wohnungen mit Kachelöfen im Obergeschoss wurde die kardiologische Praxis. Die Ärztin musste investieren – in die Räumlichkeiten und in Medizintechnik: „Wir wussten in diesen Zeiten nicht wirklich, was auf uns zukommt. Das ganze System war völlig neu. Die Technik hat sich rasend schnell entwickelt.“ Beleg dafür sind einige Herzschrittmacher in der Glasvitrine. Wogen solche Geräte vor 20 Jahren noch stattliche 100 Gramm, kommen die Schrittmacher unter der Haut heute mit 25 Gramm aus. Vor der Praxiseröffnung in der Dürerstraße hatte sie sich unter anderem in Helmstedt umgeschaut, wie die westlichen Kollegen ihre Praxen führen. Der nächste Schritt folgte 1995, als sie die Praxisräume baulich optimierte.

Das alles sind Geschichten, die zur Biografie von Gerlinde Hellwig gehören. Aktuell freut sie sich „auf die Zeit danach“. Was sie mit „danach“ meint, beschreibt sie so: „Es gibt so viele Dinge, zu denen ich bisher nicht gekommen bin: Wandern, Rad fahren, verreisen und natürlich mein vierjähriger Enkelsohn.“

Allerdings spricht sie in diesen Tagen von einem Gemisch aus Freude und Wehmut. Aber: „Ich war beruflich immer ein kreativer Mensch, ich werde das auch im Ruhestand sein.“

Seit etwa sieben Jahren kennt sie Dr. Kristina Bensch, die jetzt ihre Nachfolge antreten wird. Sie kommt aus dem stationären Bereich: „Die ambulante Betreuung hat ganz andere Abläufe als das stationäre Arbeiten“, sagt die junge Frau, die beruflich von Magdeburg nach Genthin pendelt. Die 52-jährige Kardiologin war zuletzt Chefärztin für Innere Medizin am Klinikum Aschersleben, zuvor Chefärztin der kardiologischen Klinik am Krankenhaus in Zerbst. Sie taucht also im Januar in eine andere medizinische Dimension ein. In entsprechenden Schulungen hat sie sich auf die wirtschaftlichen Herausforderungen ihrer neuen Existenz vorbereitet.

Große Änderungen am System der Praxis hat sie vorerst nicht geplant: „Es gibt keine Not, an den zertifizierten Abläufen etwas zu verändern.“ Sie will auch das Behandlungs-Spektrum ihrer Vorgängerin übernehmen. Und ausbauen. Behandeln wird sie künftig zusätzlich Patienten mit Defibrillatoren. Dies gelte auch für die Gefäßdiagnostik. Die Praxis, jetzt im Besitz von Dr. Kristina Bensch, gehört nach wie vor zum Kadiologenverband in Mitteldeutschland. Bestehen bleiben die Sprechzeiten. Nur eines muss sich noch ändern: Das Schild mit dem schrägen Pfeil im Treppenhaus.