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Schädlinge Ein raffinierter Überlebenskünstler

Kammerjäger Wolfgang Wahl spürt die Wanderratte als Schädling in Scharteucke auf. Auf Tour mit einem Schädlingsbekämpfer.

Von Simone Pötschke 03.03.2020, 00:01

Scharteucke l Dass der heutige Tag den bedrohten wildlebenden Arten gewidmet ist, lockt einen Mann wie Wolfgang Wahl aus Scharteucke nur mäßig hinter dem Ofen hervor. Von Berufs wegen hat er im weitesten Sinne zwar auch mit wildlebenden Arten zu tun. Doch wenn die Spezies, denen er fürs Gemeinwohl nachstellen muss, eines Tages in ihrer Existenz bedroht wäre, wäre seine Profession schlichtweg überflüssig. Wolfgang Wahl ist einer der wenigen Schädlingsbekämpfer, die im Jerichower Land ihr Handwerk ausüben. Befürchtungen, arbeitslos zu werden, braucht der Scharteucker wahrlich nicht zu haben. Die wachsende Zahl sogenannter Schadnager sorgt dafür, dass der Berufsstand der Schädlingsbekämpfer seine Daseinsberechtigung behält.

Wolfgang Wahl hat schnell die Hitliste seiner hartnäckigsten „Widersacher“ parat, ohne lange seine Auftragsbücher studieren zu müssen. Unangefochtener Spitzenreiter unter den Schadnagern bliebe die Wanderratte, die der Hausratte und den Hausmäusen längst den Rang abgelaufen habe. Bettwanzen und Flöhe nehmen im Ranking des Schädlingsbekämpfers aus Scharteucke eher die Schlusslichter ein. Ernstzunehmende Schätzungen, so der Fachmann, gingen davon aus, dass die Population der Wanderratten deutschlandweit inzwischen die 200-Millionen-Grenze überschritten habe. Eine gigantische Zahl, wenn man bedenkt, dass sich die Schätzung dem Dreifachen der Gesamtbevölkerung in Deutschland nähert, findet Wolfgang Wahl. Seine Erfahrungen sprechen dafür, dass das Jerichower Land da durchaus im Trend liege.

Wanderratten sind wahre Überlebenskünstler, sie können sich auch schwersten Bedingungen anpassen. Als Wolfgang Wahl am Montag einen Gulli öffnet, um Giftköder zu kontrollieren, blickt er im in den metertiefen, dunklen Schacht: „Die Wanderratten, die dort unten leben, bekommen in ihrem Leben nicht ein einziges Mal Tageslicht zu sehen und können sich trotzdem komfortabel einrichten .“ Eben auch, weil es der Mensch den intelligenten Wanderratten leicht mache, neue Quartiere zu finden.

Wolfgang Wahl kann mit vielen Geschichten aufwarten, wie sich Menschen unbedacht die Nachbarschaft von Wanderratten herangelockt haben. Das reicht vom Füttern der Enten im städtischen Bach, über die Entsorgung von Speiseresten in der Toilette, die Verwahrlosung unbewohnter Gebäude bis hin zu Müllbehältern, in denen Lebensmittel entsorgt werden. Selbst aus Vogelhäuschen heruntergefallene Körner bieten Wanderratten einen Leckerbissen. Nichts sei da unmöglich, versichert der Fachmann. Er habe in einem Fall erlebt, dass in einem Abwasserschacht ganze Bockwürstchen, Erdbeeren und Spargel landeten. „Unvorstellbar, eine bessere Einladung an die Wanderratten kann es nicht geben“, meint der Schädlingsbekämpfer, der auf eine 32-jährige Berufserfahrung zurückblicken kann. Begünstigend für ein Anwachsen der Wanderratten-Population, das räumt Wolfgang Wahl freilich auch ein, seien aber auch die trockenen Sommer und die milden Winter der vergangenen Jahre gewesen.

Die Bekämpfung der unliebsamen Wanderratten mit Giftködern gehöre allerdings in professionelle Hände eines Schädlingsbekämpfers oder einer Person, die in Besitz eines Sachkundeausweises ist. Dazu rät der Deutsche Schädlingsbekämpfer-Verband. Es bedürfe schon Erfahrung und Ausdauer, die schlauen Ratten auszutricksen und an den Köder zu locken, wenn sie im Umfeld immer noch reichlich „fette Beute“ machen können, unterstreicht auch Wolfgang Wahl.

Laien, die ihre Finger möglichst vom Gift lassen sollten, können entweder auf Hausmittelchen oder auf die natürlichen Feinde der Ratten wie Marder, Wiesel, Iltisse oder Greifvögel setzen. Oder eine Katze. „Aber eine wirklich gute, nicht jede legt sich mit einer Ratte an“, weiß Wolfgang Wahl.

Um die Nager in öffentlichen Bereichen nicht heimisch werden zu lassen, wird dazu geraten, ihnen erst gar keine Nahrungsgrundlagen zu bieten. Größere Vorkommen sollten unter anderem den Ordnungsämtern oder Gesundheitsämtern gemeldet werden.

Im Gegensatz zur Hausratte baut die Wanderratte ihr Nest meist unterirdisch. Sie unterscheidet sich von ihren Getreide und Gemüse bevorzugenden Verwandten dadurch, dass sie tierisches Futter bevorzugt. Mit unübersehbaren Folgen: Die Wanderratte kann mit 500 Gramm doppelt so schwer werden wie die Hausratte.