1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Genthin
  6. >
  7. Leben und Überleben in der Diktatur

Theater Leben und Überleben in der Diktatur

Vor 200 Schülern wurde das Stück „Über das Leben“ in Genthin aufgeführt. Es zeigt Alltagswiderstand im Dritten Reich.

Von Mike Fleske 12.05.2017, 07:00

Genthin l Eigentlich ist für die neunjährige Anni die Politik weit weg. Dabei hat sie doch am selben Tag Geburtstag wie Adolf Hitler. Das ist im Jahr 1933 schließlich etwas Besonderes. Aber schon bald verändert dieser das Leben in Deutschland gravierend. Raushalten kann sich bald niemand mehr. Wie sich das Leben in einem totalitären Staat verändert, war Inhalt des Stückes „Über das Leben - oder meine Geburtstage mit dem Führer“ überdeutlich. Am Mittwoch brachte die Theatergruppe „Theaterspiel“ aus Witten (Nordrhein-Westfalen) das Stück zweimal vor insgesamt rund 200 Schülern im Stadtkulturhaus Genthin zur Aufführung.

Anni muss sich entscheiden, mitmarschieren wie ihr Freund Hansi oder sich auflehnen? Während Annis Eltern noch hoffen, dass der „braune Spuk bald vorbei ist“, verändert sich das Umfeld des Mädchens rasant. Ihr jüdischer Musiklehrer wird erst aus dem Dienst davongejagt und verschwindet später im KZ. Auch der Vater des Mädchens wird festgenommen und später umgebracht.

Die dramatischen Veränderungen spiegeln auch die Briefe, die das Mädchen an jedem Geburtstag an Adolf Hitler schreibt. Zu Beginn zeigt sich darin noch kindliche Bewunderung. Doch mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ändert sich der Inhalt der Briefe: „Warum?“ ist nun die dringendste Frage der nunmehr jungen Frau. „Warum werden Menschen verfolgt?“ „Warum werden sie getötet?“ Anni engagiert sich in einer Gruppe von Widerstandskämpfern, verteilt Flugblätter, schreibt Botschaften gegen das Regime an Hauswände.

Am Ende kommt sie nur deshalb mit dem Leben davon, weil ihre Mutter ihr Leben für ihre Tochter lässt. Denn Anni soll der Nachwelt über das Dritte Reich berichten können. Die Aufführung hinterließ beeindruckte Schüler. Das Ensemble, allen voran Carolin Pommert als Anni und Beate Albrecht als ihre Mutter überzeugten, sowohl in den leichten beschwingten Szenen zu Beginn als auch in der Dramatik der Kriegsnächte, die auf einer fast dunklen Bühne gespielt wurden.

Als Gegenpart spielte Kevin Herbertz den Hansi, der erst in der HJ und später bei der Gestapo Karriere machte. Florian Walter konnte in seiner Rolle als jüdischer Musiklehrer und am mal leicht aufspielenden, mal abgehackt dumpf klingenden Saxofon überzeugen. Eine besondere Rolle fiel Ivica Novakovic zu, der als Annis Vater auf der Bühne stand und später als Tänzer einen der stillen Momente des Stückes bestritt. Doch dieser Totentanz ist ein Plädoyer für das freibestimmte Leben, für die Erinnerung an die, die nicht mehr sind.

„Freiheit soll man nicht flüstern, sondern laut rufen, sodass alle es hören können“, sagt Anni zum Schluss. Sie überlebt und sammelt die Habseligkeiten ihres Lebens in einem Koffer - einem Koffer über das Leben. Nach den beiden Aufführungen standen die Darsteller den Schülern Rede und Antwort. Dabei ging es auch um die Frage der Aktualität des Stoffes. „Die gibt es, auch heute gibt es Ausgrenzung und radikale Meinungen“, meinte ein Sekundarschüler. Die Schüler lobten, dass die Hauptfigur ein Mädchen in ihrem Alter war, wodurch sie sich viel stärker mit dem Thema identifizieren konnten. Auch mit der Frage „Wie hätte ich mich in einer solchen Zeit verhalten?“

Diese könne nur jeder für sich selbst beantworten, meinte Beate Albrecht, die das Stück vor rund fünf Jahren verfasste. In der Recherchephase sei das Ensemble eine Woche in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück gewesen. Eine Verbindung gibt es dadurch zum Auftrittsort, wo sich in den 40er Jahren ein Außenlager in Genthin-Wald gegeben habe. Die Eindrücke in der heutigen Gedenkstätte Ravensbrück waren für die Schauspieler immens. „Wir haben uns deshalb für eine Darstellung mit Tanz und Musik entschieden, auch dort, wo angesichts von Terror und Unmenschlichkeit die Worte fehlen“, erläuterte Beate Albrecht.

Das Schauspielensemble war nicht zum letzten Mal in Genthin. Bereits jetzt laufen Verhandlungen über ein Gastspiel im Jahr 2018. „Wir wollen Veranstaltungen anbieten, die die Schüler nachhaltig beeindrucken“, erläuterte Gabriele Herrmann von der lokalen Koordinierungsstelle für das Bundesprogramm „Demokratie leben“. Aus diesem Topf wurde die Veranstaltung finanziert.