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Theaterprobe Die magische Blume im Messingkelch

Mit dem Stück „Die silberne Lilie“ tourt das Genthiner Amateurtheater demnächst durchs Jerichower Land.

Von Falk Heidel 18.10.2017, 07:00

Genthin l Es ist ganz anders, als wir uns eine Theaterprobe vorstellen: Zwölf Leute sitzen in einem trostlosen Zimmer rund um einen Tisch. Junge Leute, alte und auch kleine. Immerhin gibt es ein Requisit auf der Tischplatte – eine Silberlilie im Messingkelch.

„Der Teufel hat die Lilie geschickt“, brüllt Claudia Borschinski. „Ja, er will uns vernichten“, schreit Rita Wagner mit ängstlicher Stimme.

Kein Theater-Glamour, kein Glitzer: Die Darsteller werfen sich in Jeans und Pullover ihre Textpassagen wie Ping-Pong-Bälle zu. „Ich könnte die Blume nehmen“, piepst die kleine Laura Krause.

Am Rande sitzt der Volksstimme-Reporter. Er muss nur noch die Augen schließen und schon bekommt er ein traumhaft schönes Märchen-Hörspiel serviert. Was er mit geschlossenen Augen nicht sehen kann: Die Akteure haben ihre Textbücher vor Augen. Jens Krüger hat seine Passagen mit Filzstift markiert. Krüger spielt den Brummel: Ein netter Dorfpolizist, der während der Dienstzeit manchmal Durst auf einen großen Kelch Bier bekommt.

Nächste Szene: Die Darsteller sprechen ihre Szenen nicht nur, sie spielen sie auch. Regisseur Jürgen Wagner greift immer wieder ein: „Stopp, du stehst hier und du auf der anderen Seite.“ Er spricht von echtem Kuchen, den die Darsteller bei der Premiere auf der Bühne verdrücken dürfen. Und er redet von der buckligen Verwandschaft, die auch ein Stück abhaben will.

Jede Anweisung unterstreicht er mit beidseitigen Handzeichen: „Und du suchst die günstigste Gelegenheit, die Blume zu stehlen.“

Um diese Blume dreht sich das neue Märchen des Genthiner Amateurtheaters. „Die silberne Lilie“ ist ein Bühnenspiel von Hans Fitz. Und es ist das Regie-Debüt für Jürgen Wagner (65). Er hat sich in der Region als Charakter-Darsteller einen Namen gemacht.

Wie kam der Wechsel auf den Regie-Sessel?

Theater-Chef und langjähriger Regisseur Eckhard Neumann hat den Regiestuhl 2016 mit dem Stück „Es war einmal...“ an Dominik Patté übergeben. Doch der Burger hat für die aktuelle Saison abgesagt. Unter anderem ist er durch die Landesgartenschau in der Kreisstadt anderweitig gebunden. Wagner erzählt: „Wir saßen bei einer Versammlung beisammen und allen schauten auf mich.“

Nach dem Schreck folgt der Kampfgeist. Wagner nimmt die Herausforderung an. Theater-Chef Neumann schlägt ihm vier Stücke vor, die Wagner zu Weihnachten 2017 in Szene setzen könnte. Seine Wahl fällt auf die silberne Lilie. Wagner sagt: „Mir gefällt das Stück und die Tatsache, dass dieses Märchen noch nie vom Gat gespielt wurde.

Mittlerweile ist Wagner mittendrin im Regisseur-Leben. Terminketten vorbereiten, Proben gestalten, Bühnenbilder planen. An seiner Seite hat er Theater-Chef Neumann: „Wir sprechen viele Dinge miteinander ab.“ Beide haben im Gegensatz zu früher die Rollen getauscht. In all den Jahren hat Neumann seinem Hauptdarsteller Wagner erklärt, wie er sich das Schauspiel vorstellt. Jetzt ist es umgekehrt: Wagner gibt die Anweisungen und Neumann setzt sie um, der Altmeister spielt den Goldschmied im Lilie-Stück.

Ist das ein Problem?

„Nein, kein bisschen“, sagt Jürgen Wagner, „manchmal merke ich, dass es bei Ecki an einigen Stellen zuckt, weil er eingreifen möchte. Aber er kann sich tatsächlich einordnen.“

Im Weihnachtsmärchen des vergangenen Jahres „Es war einmal...“ verkörperte Wagner noch den Märchenonkel – ein weiser Mann, der mit seinem Fernglas den Durchblick behält. Dass er in diesem Jahr als Regisseur den Durchblick haben wird, „habe ich vor zwölf Monaten noch nicht geahnt“.

Als Regisseur ist er auch Bindeglied zwischen den alten Theater-Hasen und den jungen Talenten. Emma Heinrich zum Beispiel. Die zwölfjährige Genthinerin spielt schon ihre vierte Saison. Wagner nennt sie „ein Naturtalent.“ Die kleine Darstellerin verkörpert in diesem Jahr den Schlippel: „Ja, ich fühle mich sehr wohl auf der Bühne. Mein Traumberuf? Natürlich Schauspielerin.“

Erstmals dabei ist die neunjährige Laura Krause. Nicht nur dabei, sondern gleich mit einer Textrolle ausgestattet: „Sie übt zuhause fleißig und ist mit großer Freude bei der Sache“, erzählt Mutti Nicole. Wagner verknüpft die Alten und Jungen zu einem harmonischen Schauspiel-Netzwerk, das manchmal auch die ulkigsten Blüten treibt.

Das betrifft zum Beispiel Elke Hinze, die seit einigen Monaten nicht mehr Hinze heißt, sondern Lilie. Genau wie das Stück, in dem sie die Rolle der Frau Hartenstein verkörpert. Frau Hartenstein gehört im Gegensatz zu ihrer Darstellerin nicht zu den sympathischsten Zeitgenossen. Vor zwei Jahren spielte sie die Regentrude, eine liebe, nette Dame: „Aber viel wohler fühle ich mich in der Rolle des Bösen. Da ist Frau Hartenstein genau das richtige Kaliber.“ Obwohl sie schon viele Jahre dabei ist, fehlt noch eine Rolle in ihrer Darsteller-Historie: „Ich durfte noch nie eine Prinzessin spielen.“ Und Rita Wagner stimmt sogleich mit ein: „Ich auch nicht.“

Es sieht also so aus, als ob es für Regisseur Jürgen Wagner im kommenden Jahr neue Herausforderungen geben wird.