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Urteil Bewährungsstrafen für zwei Jerichower

Männer haben eine 15-Jährige über Monate erpresst und gedroht, sie auf dem Straßenstrich zu verkaufen. Zwei Täter kommen aus Jerichow.

Von Ingmar Höfgen 12.05.2020, 23:01

Jerichow/Potsdam l Zwei Männer aus Jerichow sind vom Landgericht Potsdam im Zusammenhang mit einem erpresserischen Menschenraub gegen eine Minderjährige aus Rathenow zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Tobias R. muss für ein Jahr in Haft, wenn er die umfangreichen Bewährungsauflagen verletzt, verkündete das Gericht am Montag; das Urteil ist noch nichts rechtskräftig. Bereits im August 2019 war Dominik D. zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt.

Damit ist eine hinter der Landesgrenze geschehene Tat vom November 2018 abgeurteilt worden, die Eltern schaudern lassen dürfte. Ein Mädchen, zu Beginn noch 14 Jahre alt, wird in Rathenow über Monate von einem nicht viel älteren Jungen erpresst. „Du gibst mir das Geld, sonst war’s das für Dich“, taucht zum Beispiel über WhatsApp auf ihrem Handy auf. Dass sie sterben würde, ihrer Familie etwas passieren würde, oder dass um die Ecke seine Leute stünden – die Drohungen klingen für das Mädchen ernst. Anfangs zahlt sie 100 Euro „Schutzgeld“, später sogar 350 Euro – insgesamt mindestens 1500 Euro.

An diesem Geschehen waren die Jerichower D. und R. nicht beteiligt, wohl aber am Schlusspunkt der Erpressungs-Reihe im November 2018, den die Staatsanwaltschaft als erpresserischen Menschenraub angeklagt hat. Da steigt die 15-Jährige, von drei älteren Jungs und Männern mehr oder weniger bedrängt, in Rathenow in ein Auto. Dominik D. ist der Fahrer des nicht zugelassenen Wagens und hat keinen Führerschein, Tobias R. der Beifahrer, der ihr den Sitz des Dreitürers nach vorn klappt, damit sie hinten einsteigen kann. Neben ihr sitzt ihr Erpresser, der Haupttäter. Er ist jetzt 17 Jahre alt, im Juni 2019 erhielt er vom Amtsgericht Rathenow für die fortgesetzten Erpressungen und andere Taten eine zweijährige Jugendstrafe auf Bewährung.

Im Auto muss das Mädchen ihr Handy ausschalten. Dann fahren die Vier in Richtung Brandenburg/Havel, mehr als 15 Minuten lang. Das Ziel soll Berlin sein. Dort wolle man sie auf den Straßenstrich bringen. Aber wenn das Mädchen 1500 Euro zahlt, dann würde das Auto umkehren, verspricht der jugendliche Haupttäter, der schon vorher Geld von ihr erhalten hatte. Das Mädchen sagt es zu, das Auto wendet. Sie geht in ihr Haus, kommt aber nicht mehr raus – sondern vertraut sich schließlich ihren Eltern an. Geld bekommen die Männer nicht mehr von ihr.

Dass das Mädchen an jenem November-Sonntag überhaupt aus dem Haus ging, lag wohl an einem anderen Jungen. Der verabredete sich mit ihr, immer wieder, und lockt sie so aus dem Haus. Manchmal treffen sie sich, aber an jenem Tag wartet der Lockvogel nicht vor der Tür. Auch er ist noch minderjährig und vom Amtsgericht Rathenow zu sechs Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Allerdings sprach ihn das Gericht frei, das Mädchen an jenem Tag herausgelockt zu haben. Gemeldet hat er sich bei dem Mädchen seitdem nicht mehr. Warum, das kann er vor Gericht nicht erklären.

Wie groß der Anteil von Tobias R. ist, blieb am Montag offen. Er erklärt, dass er erst auf der Fahrt mitbekommen haben will, worum es geht. Dann habe er D. gebeten zu wenden. Das sei auch später passiert. Unternommen habe er nichts, nicht nachgefragt, nicht protestiert, nicht die Polizei geholt. „Ich wollte mich da raushalten“, sagte der 33-Jährige mehrfach, der mit Abstand der Älteste und Kräftigste der vier Auto-Insassen war.

Auch sonst sagte er offenbar nichts, vor allem nicht in Richtung des Mädchens. Die Staatsanwältin beschrieb ihn schließlich als „stillen Diener“. Das Mädchen wiederum sagte aus, er sei hinter ihr gelaufen, als sie von ihrem Haus zum Auto ging. Alle drei kannte sie zumindest vom Sehen aus Rathenow. Am Ende stellt das Gericht fest, dass R. nur Helfer und nicht Mittäter beim erpresserischen Menschenraub war, der außerdem ein minderschwerer Fall sei.

Alle bereits Verurteilten mussten am Montag noch einmal vor Gericht aussagen. Das Besondere: Als Angeklagte durften sie lügen und schweigen, als Zeugen dürfen sie es nicht mehr. Klar wird dabei: Der Haupttäter sowie der Jerichower Dominik D., der das Auto fuhr, haben das Geld erpresst, um sich Drogen zu kaufen. Sie konsumierten Cannabis, Kokain, Amphetamin, über die Tage verteilt, mehrere Jahre. Jetzt spielte ihr Gedächtnis angeblich nicht mehr mit beim Erinnern. Bodo Wermelskirchen, der Vorsitzende Richter, erinnert sie immer wieder daran, dass sie ihr Gedächtnis anstrengen müssen und sonst ihre Bewährung auf dem Spiel stehe. Danach fällt ihnen tatsächlich auch immer etwas mehr ein, nicht nur zur Autofahrt. „Ich wusste einfach, sie hat Geld, und ich wollte das Geld für meinen Drogenkonsum“, sagt der 17-Jährige.

Auch das Mädchen und ihr Vater erinnerten sich am Montag noch einmal an den November 2018. Dass ihre Tochter sich veränderte, es in der Schule nicht mehr so lief, hatten die Eltern gemerkt. Und: Viel hätte nicht gefehlt, und sie hätte auch nach der angst-einflößenden Autofahrt noch einmal Geld übergeben. Die Täter texteten sie immer wieder an, während sie im Haus war. Weil sie schlecht gelaunt war und das Handy immer wieder brummte, schnappte sich der Vater schließlich das Telefon und las die Chats. Dann kam die Geschichte von der monatelangen Erpressung langsam heraus. Insgesamt übergab sie mindestens 1500 Euro. Das Geld will die Familie von den Tätern aus Rathenow zurückfordern.

Nach dem relativ milden Urteil kam Tobias R. aus der Untersuchungshaft in Wulkow (Brandenburg) sofort frei. Dort saß er seit Februar 2020. Weil er ohne festen Aufenthalt war und man ihm die Anklage nicht zustellen konnte, wurde er per Haftbefehl gesucht. Der heute 33-Jährige, der oft auf Montage gewesen sein will, muss sich demnächst beim Landkreis Jerichower Land melden, um 120 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Eine weitere Bewährungsauflage ist, dass er die Unterhaltsverpflichtungen für sein Kind in naher Zukunft erfüllt. Das Gericht rechnete ihm an, dass er bisher straffrei war.