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Veranstaltung Erinnerung an das Leid der Vertrieben

Aus Anlass des Gedenktages für Flüchtlinge und Vertriebene gab es im Genthiner Kreismuseum eine Veranstaltung mit Zeitzeugen.

Von Mike Fleske 22.06.2017, 06:00

Genthin l „Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat war, ist und bleibt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, machte Wolfgang Ermisch während seines Vortrages deutlich. Der Mützeler Ortschronist gestaltete gemeinsam mit Museumsleiterin Antonia Beran einen Abend, an dem insbesondere an das Schicksal der Sudentendeutschen erinnert wurde.

Wolfgang Ermisch ging in seinen Ausführungen darauf ein, dass deren Vertreibung nicht erst eine Folge des Zweiten Weltkrieges war, sondern sich Ressentiments bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgebaut hätten. Speziell im Sudetenland sei die bereits 1918 geplante Vetreibung der Deutschen aus deren fast 1000-jähriger Heimat mit aller Grausamkeit durchgeführt worden.

Die Sudentendeutschen waren 1919 zu Bürgern der Tschecheslowakei geworden. Ermisch erinnerte vor allem an die von Edvard Beneš erlassenen Dekrete, in deren Folge 1946 mehr als zwei Millionen Menschen ausgesiedelt wurden. Bereits vorher hatte es zum Teil gewaltsame Übergriffe auf die deutsche Zivilbevölkeung gegeben. Ermisch erinnerte dabei unter anderem an das sogenannte Massaker von Aussig, bei dem Menschen von der dortigen Elbebrücke gestoßen und im Wasser beschossen worden waren.

Aber auch wenn die Vertreibung mit weniger Gewalt abliefen, waren sie für die Betroffenen schockierend. „Meine Eltern mussten nach Aufforderung innerhalb von zwei Stunden ihre Sachen packen und ihr Haus verlassen“, erinnerte sich eine Zeitzeugin während der Veranstaltung im Kreismuseum. In Viehwaggongs sei man in Richtung Westen gebracht worden. Aufnahmeländer waren die spätere Bundesrepublik und die spätere DDR. Schlimme Überfahrten seien es gewesen, erinnerten sich Anwesende der Veranstaltung.

„30 Menschen waren im Waggong, es gab einen Eimer für die Notdurft, in der Nacht hielt der Zug und die verstorbenen wurden rausgeworfen“, erzählt eine Genthinerin, die damals ein zwölfjähriges Mädchen war. Die Erinnerung an diese Zeit habe sie nie losgelassen, um mit ihrer Vergangenheit umgehen zu können, habe sie mit dem Schreiben begonnen und dabei auch Gedichte verfasst.

„Wir sind in Kirchmöser angekommen und wurden rasiert und desinfiziert, meine Großmutter hat sich so geschämt, weil sie sich ausziehen sollte und hat das nicht verkraftet“, erinnerte sich eine Besucherin, die damals ein Kind war. Mit den Großeltern und ihrer Mutter sei sie nach Gladau gekommen. „Dort hatten wir ein Zimmer mit einem Bett, einem Tisch und vier Stühlen.“ Erwünscht seien die Ankömmlinge nicht gewesen. „Wir waren als Flüchtlinge lange nur unter uns.“ Über ihr Schicksal durften die Vertriebenen in der DDR nicht reden. „Wir waren Umsiedler.“

Ein anderer Anwesender erinnerte sich, dass seine Familie damals bei einem Bauern in Tucheim untergebracht war. „Meine Mutter arbeitete auf dem Hof, um für die Familie etwas Essen zu bekommen.“ Es sei ein karges, entberungsreiches Leben gewesen und doch keimte auch Hoffnung auf. Antonia Beran erläuterte, dass die Neuankömmlinge in der neuen Heimat blieben und sich beim Wiederaufbau des zerstörten Landes einbrachten.

 „Oft haben die Vertriebenen auch Einheimische geheiratet und so gab es nach dem erfahrenen Leid auch so etwas wie eine Aussöhnung im Kleinen.“ Um den nachfolgenden Generationen das Thema näher bringen zu können, möchte die Museumsleiterin Zeitzeugengespräche führen. „Wir wollen die Erinnerungen der Menschen festhalten und damit eine Möglichkeit zur Beschäftigung mit den Schicksalen geben.“