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Wildgans Wie Amy zu Auguste wurde

Die Wildgans Auguste ist derzeit in Genthin ein Star. Doch wie kam die Gans eigentlich zu den Menschen?

Von Simone Pötschke 08.11.2020, 00:01

Genthin l Die Wildgans Auguste, die seit den Sommermonaten das Schulgelände der Genthiner Grundschule Mitte als ihren Lebensmittelpunkt entdeckt hat, ist enttarnt. Denn bei Auguste, deren Lebensrhythmus sich zunehmend am Alltag der Grundschule Mitte ausrichtet, handelt es sich eigentlich um Amy, deren Verbleib von ihrem Ziehvater Sven Grütter aus Mützel längst in der freien Wildbahn vermutet wurde. Er irrte, denn weit ist Amy nicht gekommen, sie zieht offensichtlich die Sesshaftigkeit in Genthin vor.

Die doppelte Identität der Graugans flog nach der Berichterstattung im Genthiner Rundblick am Dienstag auf. Er sei sehr überrascht gewesen, Amy wiederentdeckt zu haben, schrieb Sven Grütter in einer E-Mail noch am späten Dienstagabend an die Redaktion.

Die Geschichte Amys belegt die Annahme von Schul-Hausmeister Ralf Geue, wonach das Wildtier bereits von Menschen geprägt gewesen sein muss. Anders ließe sich nicht erklären, dass der tierische Gast der Schule jegliche Scheu vor Menschen vemissen ließ und sogar den Kontakt zu den Schülern sucht.

Amys oder Augustes Geschichte begann im April vergangenen Jahres auf einem Acker bei Blumenthal, einem Ortsteil der Stadt Burg, als der Sohn Sven Grütters ein einzelnes, gräuliches Gänseei fand. Verlassen und ohne die Spur eines Hinweises auf ein dazugehöriges Nest. Zurückgelassene Eier sind bei Zugvögeln wie den Graugänsen eigentlich nichts Ungewöhnliches, meistens werden sie jedoch zur leichten Beute für den Fuchs oder den Waschbären. Davon blieb dieses Ei verschont.

„Spaßeshalber“, schreibt Sven Grütter, hätte er jedoch das Ei nach Mützel mitgenommen und es in den Brutschrank gelegt. „Ohne Hoffnung, dass aus dem Ei wirklich ein Küken schlüpfen würde.“ Der Spaß bekam jedoch nach nur wenigen Wochen, Anfang im Mai, ein flauschiges Antlitz, als ein Graugans-Küken schlüpfte, dem die Familie später den Namen Amy verlieh.

In der Natur brütet ein Graugans-Weibchen 28 Tage, bis ein Küken, ein sogenanntes Gössel, das Licht der Welt erblickt. Dass es sich dabei um kein gewöhnliches Gans-Küken handelt, das der Familie unterkam, war für Sven Grütter leicht am gefleckten Flaum und am dunklen Schnabel des Gössels zu erkennen. Das kleine Waisenkind wuchs völlig unproblematisch im Hause Grütter zunächst mit zwei gleichaltrigen Hausgans-Küken auf. Von Anfang an habe allerdings festgestanden, dass das Wildgans-Küken in die Freiheit ausgewildert werden sollte, berichtet Sven Grütter.

Das geschah im August vergangenen Jahres in Parey am Kiesloch. „Wir hatten uns für diesen Ort entschieden, weil sich hier viele von Amys Artgenossen aufhielten“, blickt Sven Grütter zurück. In der Hoffnung, Amys weiteres Schicksal weiter verfolgen zu können, wurde Amy mit zwei blauen Ringen an den Beinchen beringt.

Das war eine gute Entscheidung, wie sich schon wenige Monate später herausstellen sollte. In diesem Jahr, schrieb Sven Grütter, habe die Tochter der Familie am Elbe-Havel-Kanal ein Foto von einer zahmen Gans mit einem blauen Ring machen können. „Es war für uns sehr überraschend, sie wiederzusehen. Wir waren aber auch glücklich, dass sie den ersten Winter trotz aller Gefahren gemeistert hat“, freute sich Sven Gütter.

Ob Amy wirklich wie die meisten ihrer Artgenossen die kalten Monate in ihrem Winterquartier in Nord- und Mitteleuropa verbracht hat, oder lieber solo daheim am Kanal geblieben ist, lässt sich wohl nicht mehr klären.

Bei wärmeren Wintern und einem reichlichen Nahrungsangebot bleiben die Wildgänse schon mal zuhause, weiß auch Hausmeister und Jäger Ralf Geue. Dass die „schuleigene“ Wildgans auch jetzt keine Lust zum Abflug ins Winterquartier zeigt, überrascht ihn deshalb nicht. Obwohl die Graugans und ihre ganze Geschichte schlechthin eine liebenswürdige Überraschung für die ganze Schule bleibt.

Ob die Wildgans dabei Amy oder Auguste heißen sollte, ist vermutlich nicht nur für Ralf Geue völlig nebensächlich. „Nennen wir sie doch einfach Amy Auguste“, schlägt er deshalb vor.