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Zast Flüchtlingsstrom: Minister dankt Harzern

Da die Anlaufstelle für Asylsuchende überfüllt ist, werden immer mehr Flüchtlinge im gesamten Kreis untergebracht.

Von Dennis Lotzmann 17.09.2015, 01:01

Harz-Kreis/Halberstadt l Die Welle von Flüchtlingen, die in Deutschland Asyl suchen und hier bleiben wollen, stellt auch die Verantwortlichen im Harz-Kreis vor immer größere Herausforderungen: Die bislang einzige Zentrale Anlaufstelle für Asylsuchende (ZASt) Sachsen-Anhalts in Halberstadt ist mit aktuell rund 2500 Menschen so voll wie noch nie zuvor. Um auf den ungeahnten Zustrom der Flüchtlinge zu reagieren und die Menschen im Rahmen der Möglichkeiten unterzubringen, wird im gesamten Kreis nach weiteren Unterkünften gesucht. Und die werden mitunter extrem kurzfristig und binnen Stunden belegt. Aktuell sind laut Innenministerium neben den 2500 Menschen in der ZASt weitere rund 500 Flüchtlinge im Harz-Kreis untergebracht. Zahlen, die sich praktisch täglich ändern.

Speziell die Einquartierung in der Fläche sorgt in den Städten und Gemeinden auch für Diskussionen und Kritik. Die Einheimischen, so die Beobachtung der Verantwortlichen und die Signale aus den Kommunen, sind nach wie vor mehrheitlich offen, verständnisvoll und hilfsbereit. Mitunter gibt es jedoch Unmut, weil man sich überfahren fühlt und vor vollendete Tatsachen gestellt sieht.

Kritik, die Innenminister Holger Stahlknecht durchaus nachvollziehen kann, wie er am Mittwochabend gegenüber der Volksstimme sagte. Der CDU-Politiker wirbt jedoch um Verständnis für die aktuelle Situation und dankt den Harzern: „Wir stehen vor einer außergewöhnlichen Situation, die wir alle gemeinsam meistern müssen. Dabei sind sehr kurzfristige Entscheidungen einfach unvermeidbar.“

So wie am Dienstag: Flüchtlinge, die mit dem Zug von München nach Berlin unterwegs waren, zogen bei Bitterfeld-Wolfen und Dessau mehrfach die Notbremse, um ihre Flucht auf eigene Faust fortzusetzen. Da sie in Sachsen-Anhalt strandeten, landeten sie nach Recherchen der Volksstimme in der ZASt-Außenstelle in Quedlinburg.

Die Unterkunft in der früheren Landes-Fachschule für Gartenbau sollte nach den ursprünglichen Plänen erst im Oktober mit rund 160 Flüchtlingen belegt werden. Nun hat die Realität die Pläne zur Makulatur werden lassen. Wann die Erweiterung auf 260 folgt – ursprünglich geplant ist sie für November – und ob es dabei bleibt, ist offen.

Zuletzt hatte das Innenministerium am Dienstag die eigenen Vorgaben hinsichtlich der Unterbringungen außer Kraft gesetzt. Nun können bis auf Weiteres mehr als vier Personen pro Zimmer in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden.

„Wir versuchen alles, um die Menschen rechtzeitig vor dem Winter in festen Häusern unterzubringen“, so Stahlknecht. „Weil der Zustrom mittlerweile so stark ist, müssen wir sehr schnell handeln.“ Konsequenz: Bürgerversammlungen wie vor Wochen wegen der ZASt-Außenstelle in Quedlinburg sind kaum noch machbar.

„Wir streben an, die hauptamtlichen Bürgermeister rechtzeitig und mit Vorlauf zu informieren“, sagte Stahlknecht und räumte ein, dass auch dieses Ansinnen mitunter nicht gehalten werden könne. „Ich hoffe dabei auf Verständnis – im Moment fahren wir alle nur auf Sicht.“ Um so mehr dankt der Innenminister den Harzern für „die enorme Hilfsbereitschaft und Toleranz“.

Derweil rückt auch die dauerhafte Unterbringung von Flüchtlingen im Harz näher. Bislang sind die Menschen in der ZASt und deren immer zahlreicheren Außenstellen im Harz nur Gäste auf Zeit. Nach den Asylregeln werden sie nach der Erstregistrierung auf die Kreise und Städte im gesamten Land aufgeteilt. Der Harz ist bislang wegen der Existenz der ZASt von der dauerhaften Unterbringung während des mehrmonatigen Asylverfahrens und darüber hinaus befreit. Ein Privileg, das mit Inbetriebnahme weiterer Zentraler Anlaufstellen im Land ab 2016 wegfallen soll.

Ein Termin, der vor dem Hintergrund des aktuellen Zustroms nun wohl Makulatur ist: „Wir richten mehrere größere Unterkünfte im Land ein“, so Stahlknecht mit Blick auf das Maritim-Hotel in Halle, das seit gestern ebenfalls belegt wird, oder auf die Liegenschaften des Flughafens in Cochstedt. „Angesichts dieser Entwicklung werden wir bald auch an einer dauerhaften Unterbringung im Harz-Kreis nicht mehr vorbei kommen.“ Einen konkreten Zeitpunkt wollte Stahlknecht nicht nennen.

Signale, die Landrat Martin Skiebe nicht überraschen. „Ich bin Realist genug, um zu sehen, dass es keinesfalls beim Zeitplan bis zum Sommer 2016 bleibt“, so der CDU-Politiker am Mittwochabend. Skiebe arbeitet bereits seit Monaten gemeinsam mit den hauptamtlichen Bürgermeistern an der Vorbereitung für die künftige Situation. Nach mehreren Treffen seien wichtige Punkte festgezurrt. „Die Bereitschaft, sich in die Hilfe einzubringen und sie zu unterstützen“, sieht Skiebe bei den Kommunalpolitikern flächendeckend.

Obendrein soll im nächsten Kreistag eine Vorlage eingebracht werden, um die nötigen Rahmenbedingungen abzustecken. „Ich möchte in dieser Situation nicht nur die Bürgermeister mitnehmen, sondern auch die Kreistagsmitglieder und natürlich die Bürger.“

Der Kreistag hatte vor wenigen Tagen faktisch einstimmig eine Erklärung verabschiedet und sich damit offen und solidarisch mit den Flüchtlingen gezeigt. Dem sollen nun weitere Taten folgen. „Wir sind mit Hochdruck dabei, uns vorzubereiten. Wir brauchen aber noch etwas Zeit.“

Die dauerhafte Unterbringung ist aus Sicht vieler Harzer, die sich schon jetzt engagiert in die Flüchtlingshilfe einbringen, auch eine Chance. Bislang sei oft auch die sehr kurze Verweildauer der Menschen ein Hemmnis, um Integration und beispielsweise Deutschkurse voran zu bringen, heißt es bei Helfern.

Derweil wird nun in der ZASt versucht, die Fähigkeiten und Qualifikationen der Flüchtlingen gezielt zu erfragen und zu nutzen. Dabei kooperieren Innen- und Sozialministerium, die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die ZASt. Das gemeinsames Ziel: Beruflichen Kompetenzen von Asylsuchenden mit längerfristiger Bleibeperspektive als Beitrag zur Fachkräftesicherung früh zu erfassen.

Im Rahmen des Projektes „Willkommen sein in Sachsen-Anhalt. Berufliche Kompetenzen erkennen und nutzen“ sind zunächst ein Vermittler und ein Sprachmittler der zuständigen Arbeitsagentur bis Ende 2016 direkt in der ZASt Halberstadt tätig. Ihre Ergebnisse sollen bei der Verteilung innerhalb Sachsen-Anhalts berücksichtigt werden.

Schritte, die Stahlknecht begrüßt: „Teilhabe am Arbeitsmarkt ist maßgeblich für eine gelingende Integration.“ Arbeitsminister Norbert Bischoff (SPD): „Eine schnelle Integration auf dem Arbeitsmarkt ist ein Beitrag, um mögliche Ängste und Vorbehalte in der Bevölkerung aufzubrechen.“