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Ausstellung Zur Meinungsbildung gehört Information

Bis zum Ende des Monats ist eine Ausstellung „GEDULDET - Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt“ in der Martinikirche zu sehen.

Von Gerald Eggert 07.10.2015, 23:01

Halberstadt l In der Martinikirche ist am Dienstagabend die Ausstellung GEDULDET - Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt“ eröffnet worden. „Damit möchte unsere Landtagsfraktion auf die schwierigen Lebensbedingungen von Flüchtlingen und MigrantInnen in Sachsen-Anhalt aufmerksam machen“, sagte Sören Herbst, flüchtlingspolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Sachsen-Anhalt.

Die 13 Tafeln im Kirchenraum mit den Fotos von Kathrin Königl und Rolf Bräuchle ermöglichen den Besucherinnen und Besuchern einen Einblick in den Alltag von Flüchtlingen in sachsen-anhaltischen Unterkünften – ein Alltag der organisierten Desintegration. Sie mahnen zudem, Lösungen zu finden.

„Jetzt kommen Menschen zu uns. Das sollten wir als ein Geschenk verstehen und uns dafür einsetzen, dass sie hier ihre Wünsche und Ziele verwirklichen können.“

Sören Herbst, stellvertretender Fraktionsvorsitzender Bündnis90/Die Grünen im Landtag Sachsen-Anhalt

„Wir beschäftigen uns bereits seit Jahren mit dem Thema“, sagte Herbst und verwies darauf, dass die Bilder nicht erst jetzt, sondern schon vor etwa zweieinhalb Jahren entstanden sind. Die Situation der Unterbringung von Geflüchteten habe sich seitdem im wesentlichen nicht verändert.

„Schon seit 20 Jahren werden sie in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, wo sie sowohl gesellschaftlich, als auch örtlich isoliert sind. Auch in Halberstadt liegt die Erstanlaufstelle in einer Randlage, weitab vom Zentrum der Stadt“, so der Bündnisgrüne. Er nannte seine Partei eine treibende Kraft, die die Situation seit Jahren ändern und dafür sorgen will, dass Geflüchtete dezentral in Wohnungen untergebracht werden.

„Für Sachsen-Anhalt ist es eine riesige Chance, dass Sie zu uns kommen“, wandte er sich an die anwesenden Flüchtlinge. Seit 25 Jahren habe das Land mit der Abwanderung zu kämpfen. „Jetzt kommen Menschen zu uns. Das sollten wir als ein Geschenk verstehen und uns dafür einsetzen, dass sie hier ihre Wünsche und Ziele verwirklichen können.“

Mit der Fotoausstellung wolle seine Partei die Bürger auf die schwierigen Lebensbedingungen von Flüchtlingen und MigrantInnen aufmerksam machen, sie interessieren und zum Nachdenken anregen darüber, nicht ob diese Menschen bei uns leben, sondern wie sie bei uns leben.

Die Qualität der Unterbringung müsse dringend verbessert werden. „Wir wollen, dass sie Bürger von Deutschland werden, eine Wohnung und Arbeit bekommen“, sagte Herbst zu den Flüchtlingen. „Uns verbindet viel mehr, als uns trennt. Seien Sie herzlich willkommen in Sachsen-Anhalt.“

Pfarrer Harald Kunze machte auf die Bedeutung der Martinikirche als Ort der Redefreiheit und auf die Situation im Herbst 1989 aufmerksam, als unter dem Dach dieser Kirche Menschen zusammenkamen, die sich kritisch mit der Situation im Land auseinandersetzten und letztendlich zu den Veränderungen beitrugen. „Zur Meinungsbildung gehört auch Information“, sagte Kunze, „deshalb hoffe ich, dass viele Halberstädter sich in der Ausstellung informieren, sich in offenen und fairen Gesprächen unterhalten und nach Lösungen suchen.“

Über seine Flucht aus Syrien sprach Muhannad Ghadir. Der 23-Jährige stand kurz vor Abschluss seines Masterstudiums der englischen Literatur, als er seine Heimat verließ und eine lange und beschwerliche Reise auf sich nahm. Diese führte ihn über den Libanon in die Türkei, wo er zehn Tage auf die Überfahrt nach Lesbos wartete, dort weitere zehn Tage verbrachte, bevor er sich über Athen Richtung Mazedonien aufmachte. An der Grenze griff ihn die Polizei auf und schickte ihn zurück nach Griechenland. Über einen anderen Weg erreichte er Ungarn, dann Österreich und schließlich Deutschland. „Nach 25 Tagen fiel die Angst von mir ab“, sagte der junge Mann. Nach kurzen Aufenthalten in Hamburg und der ZASt Halberstadt lebt er jetzt in Dessau in einer Wohnung und hilft den Bündnisgrünen aufgrund seiner sehr guten Sprachkenntnisse bei Übersetzungen und anderen Tätigkeiten. Noch in diesem Monat wird er einen Deutschkurs belegen und im nächsten Jahr sein Studium wieder aufnehmen. „Ich danke allen, die mir geholfen haben.“

„Nach vielen negativen Berichten in sozialen Netzwerken wollte ich mir selbst ein Bild über die Situation der Flüchtlinge machen und besuchte gemeinsam mit einer Freundin die ZASt“, berichtete Bianca Feldheim. Sie hat inzwischen mit Freunden die Initiative „Menschlichkeit“ gegründet, die unter anderem Spenden sammelt, Begegnungen von Deutschen und Ausländern zum Kennenlernen organisiert und in der ZASt hilft. „Wir knüpfen ein Netzwerk, das dazu beitragen soll, die Situation für die Flüchtlinge und für die Mitarbeiter in der Einrichtung zu verbessern“, sagte die Halberstädterin. Als aktuelles Projekt benannte sie eine Hompage und eine App, die mit Unterstützung der Hochschule Harz erstellt werden und Flüchtlinge mehrsprachig mit den wichtigsten Informationen versorgen sollen.

Die Ausstellung in der Martinikirche ist bis zum 30. Oktober zu sehen und kann montags bis sonnabends von 10 bis 17 Uhr sowie und sonntags von 11 bis 17 Uhr besichtigt werden.