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Fachmediziner Verzweifelte Suche nach Augenarzt-Termin

Eine 80 Jahre alte Frau hat nach einer Augen-OP verzweifelt einen Augenarzt gesucht. Die augenärztliche Versorgung im Harz ist angespannt.

Von Dennis Lotzmann 26.11.2015, 00:01

Halberstadt/Wernigerode l Was Helmut Herrmann in den vergangenen Wochen erleben musste, hat den 82-jährigen Halberstädter einigermaßen sprachlos gemacht. Der Versuch, für seine zwei Jahre jüngere Frau Irmgard nach einer Augen-Operation bei einem niedergelassenen Facharzt einen Termin zur Nachsorge zu finden, blieb trotz aller Mühen erfolglos. Das Ehepaar war in jene missliche Situation geraten, weil ihre bisherige Augenärztin – Dr. Amrei Müller aus Halberstadt – ihre Praxis im Herbst geschlossen hatte. „Ich habe überall herumtelefoniert und nichts erreicht“, berichtet ihr Mann. Entweder hätten die Augenärzte die Aufnahme als neue Patientin abgelehnt oder auf einen sogenannten Selbstzahler-Termin verwiesen. Jene Selbstzahler-Termine, mussten die beiden betagten Kassenpatienten erfahren, sind quasi Privatsprechstunden. Dabei bieten Ärzte ihre Leistungen gesetzlich Krankenversicherten gegen Barzahlung an.

Ein Trend, der nach Recherchen der Volksstimme im Kommen ist – vor allem bei Augenärzten. Das belegen nicht nur Klagen von Lesern, sondern auch Versuche, einen Termin für eine augenärztliche Routineuntersuchung zu bekommen: In diesem Jahr gebe es für Kassenpatienten keine Termine mehr, für 2016 würden in Kürze einige vergeben. Ansonsten bleibe ja noch die Selbstzahler-Sprechstunde, hieß es.

Der Trend zu jenen Selbstzahler-Sprechstunden ist nicht neu. Schon vor gut 15 Jahren gab in Aschersleben ein Augenarzt seine Kassenzulassung zurück, um sich fortan allein zahlenden Patienten zu widmen. Jener Arzt begründete das mit Budget-Engpässen. Weil sein Honorar-Topf nach zwei Monaten leer sei, müsse er im dritten Quartalsmonat praktisch unentgeltlich arbeiten. Und das, so der Mediziner, mache schließlich kein Mensch.

Ein Beispiel, das Schule machte. Insbesondere Augenärzte begrenzen die Zahl ihrer Kassenpatienten, um das Honorar-Budget nicht zu überziehen. Wer nicht schon Stammpatient ist, hat folglich kaum Chancen, einen Termin zu bekommen. Es sei denn, er greift zum Portemonnaie.

Zwar hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) nach Angaben eines Sprechers wegen jenen Privatbehandlungen bislang kaum Beschwerden erhalten. Gleichwohl zieht Sprecher Bernd Franke mit Blick auf die augenärztliche Versorgung der Kassenpatienten im Harz ein ernüchterndes Fazit.

Seit der Praxisaufgabe von Amrei Müller habe sich die ohnehin „angespannte Situation“ gerade in Halberstadt weiter verschärft. „Einen Nachfolger haben wir für diese Praxis nicht gefunden.“ Konsequenz: Müllers einstige Patienten hängen in der Luft. Gegenwärtig habe die KVSA deutschlandweit eine Sicherstellungspraxis für Augenheilkunde in Halberstadt ausgeschrieben. Darüber hinaus werde eine Nebenbetriebsstätte mit Mindestumsatzgarantie offeriert. Dies könne als Zweitpraxis für einen andernorts tätigen Augenmediziner interessant sein.

Gegenwärtig seien im Harz-Kreis zehn Kassen-Augenärzte mit insgesamt elf Versorgungsaufträgen zugelassen. Die Differenz entstehe, weil einige Ärzte wohl schon mit Nebenbetriebsstätten arbeiten, so Franke. „Alles in allem liegt der Versorgungsgrad bei Augenärzten im Harz bei 90,5 Prozent.“ Zum Vergleich: Erst bei 110 Prozent Regelversorgung gebe es Zulassungsbeschränkungen. Aktuell sind nach Franke zufolge 2,5 Augenarzt-Stellen im Harz unbesetzt.

Den chronischen Mangel an Augenärzten hat die Volksstimme erst im September thematisiert. Damals hatten Leser die mitunter weiten Wege zum Bereitschaftsarzt kritisiert. Auch hier waren unbesetzte Stellen ursächlich. Deshalb vergrößerten die verbliebenen Mediziner den Dienstradius Quedlinburg-Halberstadt-Wernigerode um den Einzugsbereich Aschersleben-Staßfurt-Bernburg. So wurde der gänzliche Wegfall des augenärztlichen Notdienstes verhindert.

Mit Blick auf reguläre Arzttermine soll sich die Situation für Patienten ab 23. Januar 2016 verbessern. Dann greifen Vorgaben des Versorgungssicherungsgesetzes. Inhalt des sperrig klingenden Papiers: Finden Patienten mit Überweisung keinen Facharzt, können sie sich an die Landes-KV wenden. Dort muss binnen einer Woche ein Termin in den nächsten vier Wochen gefunden werden. Andernfalls müssen Termine in Kliniken vergeben werden.

„Wir werden fristgerecht eine Terminservice-Stelle einrichten“, verspricht Bernd Franke. Wie die Vorgaben in der Praxis umgesetzt werden können, vermag er nicht zu sagen. Eines aber sei klar: „Wir können nur Termine vergeben, wenn diese bei den Ärzten bestehen.“ Und noch etwas ist klar: Die im Gesetz eingebaute Notoption einer Klinikbehandlung würde bei Augenärzten im Harz nicht greifen. Es gibt weder im Halberstädter Ameos-Klinikum noch im Harzklinikum diese Fachärzte.

Für Irmgard Herrmann hat sich derweil doch noch eine Lösung gefunden: Der Wernigeröder Augenarzt Dr. Ulrich Hufenbach, der sich schon bei der Thematik Bereitschaftsdienst gegen Selbstzahler-Sprechstunden ausgesprochen hatte, hielt sein Versprechen, weitere Patienten aufzunehmen. Die 80-Jährige erhielt in seiner Praxis noch in diesem Jahr einen Nachsorge-Termin.

Bernd Franke hat zumindest eine kleine Erfolgsmeldung parat: In Amrei Müllers Halberstädter Praxis soll voraussichtlich ab Januar ein Augenarzt im Rahmen der Nebenbetriebslösung zeitweise tätig werden.

Die KVSA im Internet: www.kvsa.de; Patiententelefon: (03 91) 6 27-65 36

Mail: patientenservice@kvsa.de