1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Fund zwischen zwei Lehmwänden

Geschichte Fund zwischen zwei Lehmwänden

In Halberstadts Bakenstraße wurde das Geschäftsbuch eines Halberstädter Juden aus dem 18. Jahrhundert entdeckt.

Von Sabine Scholz 13.01.2016, 00:01

Halberstadt l „Es war gut verpackt in mehrere Lagen Papier und eine Hülle“, erinnert sich Axel Schreiber. Gemeinsam mit seiner Frau Yvonne hatte der Halberstädter bei der Sanierung des Hauses Bakenstraße 55 zwischen zwei Lehmwänden das Päckchen entdeckt und geborgen. „Dann hatten wir das Buch fast ein Jahr zuhause bei uns. Wir sahen es uns an und dachten uns schon, dass es ziemlich alt sein müsste“, erzählt Schreiber. Die unbekannte Schrift erinnerte ihn an Hebräisch und so sprach er vor Kurzem Jutta Dick an. „Sie sollte da mal reingucken“, sagt Schreiber.

Die Direktorin der Moses-Mendelssohn-Akademie Halberstadt tat das gemeinsam mit Uri Faber. Und sie stellten fest, dass das schmale, auf den ersten Blick unscheinbare Büchlein, das Geschäftsbuch eines jüdischen Händlers war. Der hatte mit Wollwaren wie Strümpfen und Mützen gehandelt. In dem Büchlein notierte er seine Verkäufe.

Ein Eintrag ist besonders schön gestaltet. Ein Handel an Purim. „Zu Purim Geschäfte zu machen, soll Glück bringen für das ganze Jahr“, erklärt Jutta Dick. In dem Fall hatte der Händler dicke Socken verkauft.

Beim Durchblättern des relativ gut erhaltenen Papierbündels fanden sich lose eingelegt oder mit Stecknadeln auf die Seiten geheftete kleine Zettel. Pfandleihbriefe. Und auf einem von diesen der Name des Händlers, des Pfandgebers und eine Jahreszahl. Ein Isaak Melcher bescheinigt darin einem Johann Zabel, dass dieser 1749 eine Uhr wieder eingelöst hat.

„Melcher scheint nebenbei auch Pfandleiher gewesen zu sein“, sagt Jutta Dick, aber Genaueres lasse sich wohl erst sagen, wenn man das Geschäftsbuch intensiv durchgearbeitet habe. „Es ist in hebräischer Schreibschrift verfasst, die lässt sich nicht ganz so einfach lesen.“ Dass der Händler in Halberstadt tätig gewesen sein muss, lässt sich in den Judenlisten nachprüfen, die Brigitte Radtke und Regina Meyer ehrenamtlich in mühevoller Kleinarbeit ins heutige Deutsch übertragen und digitalisiert haben.

Diese Judenlisten sind eine Art Melderegister. Die jüdische Gemeinde musste der Kriegsdomäne, also der preußischen Regierung, nicht nur melden, wer zu ihrer Gemeinde gehörte, sondern auch über dessen Status- und Besitzverhältnisse Auskunft geben sowie Steuern abführen.

„In den Listen taucht ein Schutzjude namens Isaak Melcher in den Jahren 1743 und 1744 auf. Vorher nicht und auch hinterher nicht wieder, jedenfalls was wir bis jetzt gefunden haben“, sagt Brigitte Radtke. „Isaak Melcher war 1743 bereits 70 Jahre alt und ein sogenannter Jude zweiter Klasse, also ein armer Jude. Er hatte vier Töchter und war zu diesem Zeitpunkt schon 42 Jahre lang verheiratet.“

Das Buch ist für Jutta Dick ein ganz besonderer Fund. „Bislang haben wir bis auf vier alte Leinengeschirrtücher keine gegenständlichen Zeugen des jüdischen Alltags- und Geschäftslebens aus Halberstadt selbst. Unsere Exponate im Berend-Lehmann-Museum stammen zwar von Familien, die in Verbindung mit Halberstadt stehen, aber nicht aus Halberstadt selbst. Zum 15-jährigen Bestehen des Museums in diesem Jahr wollen wir die Dauerausstellung überarbeiten. Schwerpunkt soll die Berufsstruktur der Juden im 17. und 18. Jahrhundert sein. Da wäre so ein Geschäftsbuch in der Ausstellung toll“, sagt Jutta Dick. Schließlich waren Kleinwarenhandel und Hausiergeschäfte der Hauptbroterwerb der Juden damals.