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Einsatzleiterin 42-Jährige dirigiert die Harzer Polizisten

Anja Hempel hat 1993 den Dienst bei der Landespolizei Sachsen-Anhalt begonnen. Mittlerweile koordiniert sie Einsätze im gesamten Harzkreis.

Von Dennis Lotzmann 19.02.2016, 00:01

Halberstadt l Es ist die berühmte Konjunktiv-Frage: Was wäre, wenn ...? Was wäre, wenn Anja Hempel 1993 keine Kurskorrektur in ihrem Leben vollzogen hätte? Dann würde die junge Frau aus Westerhausen heute wohl Grundschüler unterrichten und ihnen das A und O in Deutsch, Mathe und Sport mit auf den Weg geben. Sehr wahrscheinlich irgendwo in Deutschland und eben nicht in ihrer geliebten Harzer Heimat. Deshalb die jähe Wendung vor mittlerweile 23 Jahren.

„Eine Zeitungsanzeige ließ meinen alten Kindheitstraum – Polizistin – wieder wach werden“, verrät sie. Der Rest ging in den Nachwendejahren ruck, zuck. Anja Hempel brach ihr Lehramtsstudium in Köthen ab, schlüpfte in die Polizei-Uniform und war „in dem Job gelandet, den ich eigentlich schon immer machen wollte“. Nachdem sie sich im Streifendienst die ersten Sporen verdient hatte, folgten bis 1996 ein dreijähriges Studium an der Polizei-Fachhochschule in Aschersleben und dann eine Bilderbuch-Karriere im gehobenen Dienst.

Binnen zwei Jahrzehnten sammelte die 42-Jährige nicht nur Erfahrung in verschiedenen Revieren und Polizeibereichen im gesamten Harz, sondern erarbeitete sich mit Zuverlässigkeit und Ehrgeiz drei weitere Silbersterne und stieg zur Hauptkommissarin auf. Heute gehört sie zu den Führungskräften im Polizeirevier Harz – Anja Hempel ist eine von insgesamt sechs LEvD, genauer: sie ist die einzige LEvD‘in, wie sie lächelnd betont.

Die Abkürzung steht für „Leitender Einsatzbeamter vom Dienst“. Was polizeilich-kompliziert klingt, beschreibt Reviersprecher Uwe Becker mit einfachen Worten: „Unsere LEvDs in der Einsatzführungsstelle managen das gesamte operative Geschehen, bei ihnen laufen alle Fäden zusammen.“

Unterstützt von je einem Beamten als Sachbearbeiter im Hintergrund, lastet große Verantwortung auf dem Sextett. Bei größeren „Lagen“ wie schweren Unfällen und Unglücken, Bränden oder gar Amokläufen übernehmen sie die Koordination vor Ort. Sie sind dann nicht nur Ansprechpartner für andere Retter und Helfer, sondern müssen binnen kürzester Zeit Entscheidungen treffen: Gehen wir mit unseren Beamten sofort in ein Objekt rein oder rufen wir ein Spezialeinsatzkommando hinzu, könnte eine typische Frage lauten.

In solchen Momenten – gerade kommt die Meldung von zwei herrenlosen Koffern in der Halberstädter Rathauspassage in die Harzer Einsatzführungsstelle rein – sind Nerven und Routine gefragt: Einfach nur vergessen oder steckt doch mehr dahinter? Klärt sich die Sache auf oder müssen wir evakuieren und unsere Experten für solche Fundstücke ranholen? Insbesondere in Zeiten mit steigender Terrorgefahr wischt niemand bei der Polizei einen solchen Fund einfach beiseite. Diesmal aber folgt die Entwarnung prompt: Als die ersten Einsatzkräfte in der Rathauspassage ankommen, outen sich die Eigentümer.

Die 42-Jährige, bestätigen LEvD-Kollegen, sei eine der Jüngsten im Team, habe aber Erfahrung und die nötige Routine, um solche Situation professionell zu meistern. Auf ihre Kollegin – „unser Nesthäkchen“, wie ein LEvD verschmitzt einwirft – lassen die fünf anderen Einsatzleiter nichts kommen: „Die steht hier voll ihren Mann.“ „Oder ihre Frau“, wie Anja Hempel in solchen Momenten zu sagen pflegt.

Was nicht überrascht. Nach 23 Dienstjahren ist sie dienstlich rundum fit. Früher auch als Sprecherin der ehemaligen Polizeidirektion Halberstadt tätig gewesen, lieferte sie vor zwei Jahren beim Hochwasser in Ilsenburg Medienvertretern via Telefon druckreife Lageberichte – kurz, prägnant und eben professionell. Unvergessen bleibe ihr der Einsatz nach einem Überfall auf eine Gaststätte in Blankenburg. Dank couragierter Zeugen konnten die eingesetzten Beamten beide Täter schnappen.

„Schön sind Happyends, wenn man Opfern das gestohlene Auto oder – wie im Fall Blankenburg – die Beute zurückgeben kann“, sagt sie. Wichtig seien aber auch das Abschalten und die Distanz zu schlimmen Einsätzen. „Ich mag den Job, weil jeder Tag neue Überraschungen und Herausforderungen bringt. Und weil ich nach der Schicht einen Strich ziehen kann und alles abgearbeitet habe.“ Die LEvDs managen stets die ersten Aktionen, danach übernehmen die Kollegen in den Sachgebieten.

Hängt die Uniform im Schrank, nutzt die 42-Jährige die Heimfahrt für eine persönliche Manöverkritik: Ist alles optimal gelaufen? Perfekte Teamarbeit sei entscheidend – nur so funktioniere Polizeiarbeit gut, betont sie. Spätestens am Ortseingangsschild aber wechselt sie endgültig den Job – „dann führe ich ganz erfolgreich ein kleines Familienunternehmen“, sagt sie lachend.

So ganz ohne Polizei geht es bei der sportbegeisterten Westerhäuserin aber auch daheim nicht. Ihr Partner ist ebenfalls Polizeibeamter. Und der zehnjährige Sohnemann hatte zeitweilig schon mal einen ganz klaren Berufswunsch: Polizist.