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Ausstellung Knast-Kunst ziert Flur im Rathaus

Es sind besondere Bilder, die gerade in Halberstadt zu sehen sind. Ihre Macher sind nicht berühmt, aber berüchtigt - und sitzen im Knast.

Von Sandra Reulecke 26.05.2016, 11:17

Halberstadt l Wenn auch teils grellbunte Farben verwendet wurden, Fröhlichkeit strahlen die Malereien, die derzeit Wände des Halberstädter Rathauses zieren, nicht aus. Handwerklich sind die Malereien ebenfalls nicht perfekt. „Diese Bilder atmen Gefängnis“, bringt es Karl Anton auf den Punkt.

Der 63-Jährige weiß, wovon er spricht. Heute als freischaffender Künstler und Autor in Leipzig tätig, hat er selbst „30 Jahre lang abgesessen und ist jetzt seit 13 Jahren aus dem Knast entlassen“, sagt er scherzhaft. Er war keineswegs kriminell – vielmehr leitete er die ehemalige Justizvollzugsanstalt (JVA) in Halberstadt.

In dieser Position brachte er vor 25 Jahren Farbe in das Leben der Häftlinge. Er gab ihnen die Möglichkeit, sich kreativ mit ihren Taten, Ängsten und Hoffnungen auseinanderzusetzen. Diese Idee hat der Landesverband für Kriminalprävention und Resozialisierung aufgegriffen und daraus die „Malgalerie“ entwickelt. Einige der dort entstanden Bilder sind in diesem Monat und im Juni im Rathaus zu sehen.

Die Malgalerie, ein freiwilliges Angebot für Häftlinge, ist keine reine Beschäftigungstherapie, betont Karl Anton. „Gefühle zu zeigen bedeutet im Gefängnis, Schwäche zu zeigen, und die kann man sich im Gefängnis nicht erlauben. Der Malzirkel ist der einzige Ort, an dem die Männer Gefühle zulassen können“, erläutert er.

Aus seiner Zeit als Gefängnis-Leiter erinnert er sich an zahlreiche Geschichten. „Zum Beispiel gab es einen Häftling – groß, bullig, mit Glatze – der unzählige kleine Herzchen auf ein Seidentuch malte“, berichtet Anton. Das Tuch sollte ein Geschenk für die Freundin werden. Der Mann habe unheimliche Angst gehabt, dass sie ihn verlässt, solange er im Gefängnis sitzt.

Um diese Seiten der Inhaftierten zu zeigen, stellt der Landesverbandes für Kriminalprävention und Resozialisierung die Malereien der Häftlinge aus. „Für die Gesellschaft steht immer die Straffälligeit im Fokus. Es gerät in Vergessenheit, dass der Täter ebenfalls ein guter Künstler, talentierte Maurer oder liebevoller Ehemann war“, betont Jennifer Schmidt vom Landesverband zur Ausstellungseröffnung in Halberstadt.

Das Zeigen der Bilder hat einen weiteren Hintergrund: „Es soll helfen, dass Gefangene nach ihrer Entlassung freundlicher von der Gesellschaft aufgenommen werden“, so Jennifer Schmidt. Sie mahnt: „Resozialisierung bleibt ein leeres Wort, wenn sich die Gesellschaft verschließt.“

Dies kann Kerstin Geisenhahn nur bestätigen. Seit 13 Jahren leitet die Sozialarbeiterin einen Kreativkurs in der JVA Volkstedt. „Resozialisierung liest sich im Gesetzestext leichter, als es in der Realität umsetzbar ist.“ Die ehemalige Grundschullehrerin betont, dass der Vollzugsalltag, den sie kennengelernt hat, nichts mit dem zu tun hat, was im TV gezeigt wird. Und sie habe in ihrem Job gelernt, hinter die Fassade zu schauen. „In den Kreativkursen zeigt sich, dass man es mit ganz anderen Menschen zu tun hat, als es auf den ersten Blick scheint.“

Kerstin Geisenhahn hofft, dass durch öffentlich gezeigten Bilder die Betrachter den Menschen hinter der Straftat wahrnehmen. „Hinter jedem Gefangenen stehen Schicksale, sie haben Gefühle. Auch sie haben Familien.“

Mit der Ausstellung möchte Edith Gehrmann auch Jugendliche für die Situation von Häftlingen sensibilisieren. Als Mitglied im Landesverband für Kriminalprävention und Resozialisierung und im Vorstand des Straffälligenhilfevereins Hoffnung e.V. hat sie die Ausstellung initiiert. Unter Telefon (0 39 41) 60 05 97 könne Führungen für Schulklassen vereinbart werden.