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Harz Grauer Putz macht Fachwerk Platz

Die schönen Seiten des Westendorfs 56 in Halberstadt kommen wieder ans Tageslicht. Ein Team von Baufachleuten setzt das Haus instand.

Von Jörg Endries 01.02.2021, 05:00

Halberstadt l Ein unscheinbares Dasein führte bis vor Kurzem das Fachwerkhaus Westendorf 56 in Halberstadt. Äußerlich ließ nichts darauf schließen, dass das Gebäude überhaupt auf eine mehrere Jahrhunderte alte Baugeschichte zurück blicken kann beziehungsweise ein Fachwerkhaus ist. Unter einer grauen Putzschicht verbarg sich die Holzkonstruktion. Eigentümer Martin Witschaß entschloss sich, die schönen Seiten des Wohnhauses wieder ans Tageslicht zu befördern.

„Seit fast 90 Jahren befindet sich das Haus in Familienbesitz. Wir haben das Dach bereits erneuern lassen und in den 1990er Jahren erhielt es neue Fenster“, informiert Martin Witschaß. Dank einer Förderung, bei deren Vermittlung sich dankenswerterweise die Stadt Halberstadt engagierte, habe sich die Familie dazu entschlossen, das Haus nun komplett zu reparieren. Dafür nahm sich Martin Witschaß ein Team von Fachleuten zu Seite. Dazu gehören der Bauingenieur Frank Müller sowie die Handwerker Jerome Mikulla und Tommy Zuther.

Die freigelegte Fachwerkkonstruktion ist bereits teilweise erneuert, mit Leinölfarbe gestrichen, und die gemauerten Gefache neu verputzt worden. „Farbe und Putz haben wir selbst hergestellt“, berichten Jerome Mikulla und Tommy Zuther. Dank des Einsatzes nachhaltiger Baustoffe wie zum Beispiel Sandmuschelkalk, Pflanzenfasern und Leinsamenfarbe habe man auf Chemie verzichten können. Außerdem sei eine neue Dämmung erfolgt.

„Mit dem Vintagecharakter der Fassade wollen wir betonen, dass jedes Jahrhundert seit dem Bau des Gebäudes Spuren hinterlassen hat. Die wollen wir bewusst zeigen“, betont Bauherr Martin Witschaß.

Probleme mit dem Echten Hausschwamm oder mit Insektenbefall habe man Gott sei Dank im Westendorf 56 nicht gehabt.

„Das Gebäude ist aller Wahrscheinlichkeit im 18. Jahrhundert erbaut worden. Darauf lassen barocke Teile schließen, auf die wir bei den Arbeiten gestoßen sind“, attestiert Bauingenieur Frank Müller. Eine sogenannte dendrologische Untersuchung des Holzes würde absolute Gewissheit über das Baujahr bringen. Die bräuchte man jedoch nicht und sei daher auch nicht vorgesehen. Zumal das Haus selbst kein Denkmal sei, allerdings gemeinsam mit anderen Fachwerkhäusern unter Ensembleschutz steht.

Erste Baupläne für das Gebäude stammen aus dem Jahr 1896. „Immer wieder stoße ich bei Haussanierungen und Reparaturen in Halberstadt auf Pläne aus dieser Zeit. Das hat einen ganz konkreten Hintergrund, so der Bauingenieur. In der Zeit von etwa 1890 bis um die Jahrhundertwende hielten in Halberstadt mit dem Verlegen eines Abwasserkanalnetzes in vielen Wohnhäusern die ersten Wasserklosetts Einzug“, berichtet Frank Müller. Das sei damals auch im Westendorf 56 geschehen.

Die nächsten Pläne würden aus der Zeit von 1938 bis 1944 stammen. In dieser Zeit erhielt das Haus den grauen Putz, unter dem das Fachwerk verschwand. Das sei vielerorts so passiert. Der Bauingenieur weiß auch warum: „Es war billiger als die Holzkonstruktion zu bearbeiten. Auf der anderen Seite bewahrte der Putz das Fachwerk vor Wettereinflüssen und großen Beschädigungen“, so Frank Müller. Aus diesem Grund haben sich die Hölzer noch in einem ganz guten Zustand befunden. „Wir mussten nur relativ wenige Teile erneuern. Sogar die Zier – Schnitzwerk auf dem Querbalken zwischen dem Ober- und Mittelgeschoss – sei fast vollständig erhalten geblieben. Nur einige Teile musste man erneuern.

Insgesamt sollen im Westendorf 56 fünf Wohnungen entstehen, berichtet Martin Witschaß. Mit der Fertigstellung des Hauses rechnet er im kommenden Jahr. Es gebe noch einiges zu tun.