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Altstadt Sanierung nach 42 Jahren an der Startlinie

In Osterwieck ist nun nach Jahrzehnten der Weg bereitet, um das Fachwerkobjekt "Tanne" sanieren zu können.

Von Mario Heinicke 04.04.2020, 15:21

Osterwieck l 29 Jahre währt jetzt die geförderte Osterwiecker Altstadtsanierung. Und in all den Jahren hatten die Stadtväter den Fokus in besonderer Weise auf drei Objekte gelegt: den Schäfers Hof, den Bunten Hof und die „Tanne“. Letztere wurde dabei sogar gern als „Filetstück der Altstadt“ bezeichnet. Aus städtebaulichen Gründen und wegen ihres Wertes als Denkmal.

Matthias Gunnemann, der über das Sanierungsbüro der Bremer BauBeCon fast die ganzen Jahre die Osterwiecker Altstadtsanierung begleitet hat und heute deren Prokurist ist, verweist auf die Länge des Objektes, das den Großteil der Straßenfront zwischen Neukirchenstraße und Nikolaistraße einnimmt.

Denn die „Tanne“ ist nicht nur ein Haus. Den Hausnummern nach handelt es sich um vier Gebäude – die Rosmarinstraße 7 bis 10. Dennoch hat das Objekt keine vier Eingänge. Tatsächlich sind es aber nur drei Gebäude, noch dazu aus verschiedenen Bauzeiten.

Die Nummer 7 zum Beispiel umfasst nur das schmale Torhaus, 1596 errichtet, welches zusammen mit dem Nachbarteil Nr. 8 aus dem Jahr 1614 das besonders Wertvolle an der „Tanne“ ausmacht. An der Fassade befinden sich Fächerrosetten und Inschriften. Jedes Brüstungsfeld besitzt ein anderes Ornament. An der Hausecke hängt vom oberen Stockwerk sogar ein Kopf mit Bart herab.

„An der Fassade des Hauptgebäudes kann man vieles finden und bewundern, was damalige Schnitzkunst vermochte“, stellte einst der Osterwiecker Heimatforscher Theo Gille über diesen Renaissancebau fest.

Aber auch im Innern ist in der „Tanne“ etwas Besonderes zu finden. Die Schmuckfassade der Nr 7. bildet sich in den Innenräumen der Nr. 8 ab. Das Haus ist seinerzeit nur angebaut worden.

Der Name „Tanne“ geht auf ein Gasthaus zurück, was es nach Theo Gilles Forschungen und denen seines Vaters Fritz Gille schon im 17. Jahrhundert gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Alma Alper die letzte Gastwirtin. Danach wurde das Objekt Wohnheim für die Osterwiecker Baufachschule sowie von 1962 bis 1977 Stadt- und (ab 1975) Zentralbibliothek. Seit 1978 steht die „Tanne“ leer.

Über die Geschichte des „Gasthofs zur Tanne“, der in seiner Geschichte wegen seines Anstrichs wohl auch „Grüne Tanne“ hieß, ist viel geforscht, geschrieben und festgehalten worden.

Die neuesten Erkenntnisse der Bauforschung hatten Claudia Hennrich und Kollegen vom Deutschen Fachwerkzentrum 2105 in ihrem Buch „Osterwieck entdecken – bewahren – erleben“ aufgeschrieben.

Dr. Hans-Hartmut Schauer, nach der Wende Gebietskonservator beim Landesamt für Denkmalpflege, hatte schon zu DDR-Zeiten als Bezirkskonservator die Osterwiecker Altstadt betreut und 1997 in einem Buch über die Fachwerkstadt natürlich auch die Baugeschichte der „Tanne“ beleuchtet.

Was die grüne Fassadenfarbe betrifft, war diese wohl erst einige Jahrzehnte nach der Erbauung aufgetragen worden. Ursprünglich war das Fachwerkholz naturfarben, ergab eine Untersuchung 1985.

Nach Auskunft des mit der Sanierung beauftragten Architekten Helmut Urbisch sei die künftige Farbgebung noch nicht festgelegt. Aber die Richtung gehe tendenziell zum Grün. Letztendlich sollen darüber Eigentümer und Denkmalbehörden einvernehmlich entscheiden.

Schauer hatte auch festgehalten, was die Stadt Osterwieck zu DDR-Zeiten trotz ihrer bescheidenen Möglichkeiten für den Denkmalschutz geleistet hat. So wurde im Herbst 1978 eine fünfköpfige Denkmalpflegebrigade gebildet, die sich auch der „Tanne“ annahm. Deren Dach galt bereits seit 1971 als baufällig. Später gab es Überlegungen, Teile des Hauses, darunter die Tordurchfahrt, abzubrechen und den Rest zu einem Gästehaus auszubauen. Wozu es nicht kam. Aber es wurden jüngere Hofgebäude abgebrochen.

1980 konnte die Denkmal-brigade eine abzustürzen drohende Hauswand des Renaissancegebäudes instandsetzen. 1988 waren Sicherungsarbeiten über der Tordurchfahrt notwendig. Dort hatte Hausschwamm mehrere Deckenbalken befallen.

Als nach der Wende 1991 die Altstadtsanierung anlief, erhielt die „Tanne“ Priorität – über alle die Jahre bis in die Gegenwart. Während seitdem der Bunte Hof vollständig und der Schäfers Hof teilweise saniert worden konnten, gelang das mit der „Tanne“ bisher nicht. Obwohl es mehrere Anläufe gab.

Jürgen Schimkowiak, damals im Bauamt der Stadt tätig, erinnert sich an mehrere Interessenten und Konzepte in den 1990er Jahren, die aber vor allem am Geld scheiterten. Zwei Eigentumswechsel von der Stadt zu Unternehmern erfolgten in den 2000er Jahren. Aber auch sie schafften es nicht, die hohen Kosten trotz Förderung zu bewältigen.

Denn bei der Berechnung der Finanzierung wird immer von einem Eigenkapital von 15 Prozent ausgegangen, erklärt Stadtsanierer Matthias Gunnemann. Bei den jetzt kalkulierten 3,4 Millionen Euro Baukosten sind das rund eine halbe Million Euro, die ein Investor an Eigenmitteln besitzen müsste.

2018 ging die „Tanne“ an die städtische Osterwiecker Wohnungsgesellschaft (WGO), die mit ihrem neuen Konzept kürzlich vom Landesverwaltungsamt die Bestätigung erhielt, dass es tragfähig ist.

Hier sollen nun insgesamt neun Wohnungen entstehen. Es wird von der Investitionssumme das mit Abstand größte Sanierungsvorhaben seit 1991 in der Altstadt. Um den Finanzbedarf zu prüfen, benötigten die Landesbehörden daher rund eineinhalb Jahre.

Aktuell werden die Ausschreibungen vorbereitet, berichtet WGO-Geschäftsführer Silvio Erdmann. Gebaut werden soll in mehreren Abschnitten. Am Anfang steht eine Sicherung der Bausubstanz, besonders der Dachkonstruktion. Dies ist dringend nötig. Denn seit 42 Jahren steht die „Tanne“ nun leer, der Zustand ist extrem schlecht.

Die Formulierung „es ist fünf vor zwölf“ wurde schon vor zwei Jahren verwendet.