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Archäologie In die Stadtgeschichte vertieft

Archäologiestudent Tobias Schoo erforscht Grabungsfunde, die im Städtischen Museum Halberstadt schlummern.

Von Sandra Reulecke 08.01.2017, 05:37

Halberstadt l Vorsichtig nimmt Tobias Schoo die Tongefäße in beide Hände. Beinahe ehrfurchtsvoll dreht und wendet er sie, beschaut sie von allen Seiten. „Die helleren stammen etwa aus dem 13. Jahrhundert, die dunklen sind vielleicht noch älter", informiert der Archäologe Frieder Kunkel seinen jungen Kollegen. Die Krüge wurden bei Grabungen am Halberstädter Holzmarkt gefunden, etwa dort, wo heute die Straßenbahn fährt. Die Gefäße gehören zu einem wahren Schatz, der sich im Magazin des Städtischen Museums Halberstadt befindet.

Unter dem Dach, in einem schmalen Raum stehen Dutzende Regale. Diese sind bis unter die Fachwerkbalken mit Kartons in unterschiedlichen Größen, Helmen, Steinen und Krügen vollgestopft. Auch mehrere Tische sind belegt. Schier jeder Zentimeter des Raumes ist genutzt. Das ist der neue Arbeitsplatz von Tobias Schoo.

Er studiert Archäologie. Gerade ist er auf der Zielgerade für den Masterabschluss. Anschließend strebt er einen Doktortitel an. „Es klingt abgedroschen, aber ich wollte schon immer Archäologe werden, seit meiner Kindheit“, bekennt der 24-Jährige.

Ob Indianer Jones diesen Berufswunsch bedingt hat – der berühmte Archäologie-Professor, der seit den 1980er Jahren spannende Schatzsuchen auf den Kino-Leinwänden erlebt? Die Arbeit eines realen Altertumsforschers hat jedoch nur wenig mit den Abenteuern des Filmhelden zu tun. „Es gehört viel Idealismus dazu“, berichtet Schoo. Er lacht. Und Geduld. Denn statt wie im Kinohit bestimmen nicht Verfolgungsjagden den Alltag, sondern akribische Kleinarbeit mit Millimeterpapier.

Funde, die bei Grabungen entdeckt wurden, werden in Datenbanken dokumentiert, um später ausgewertet werden zu können. Dafür ist es nötig, die Stücke zu zeichnen und zu fotografieren. „Aus den Ergebnissen kann dann interpretiert werden“, erläutert der Student. Vier Jahre lang wird er für seine Doktorarbeit auf diese Weise tief in die Geschichte Halberstadts eindringen – in die Geschichte einer Stadt, die er gerade zum ersten Mal besucht.

Der 24-Jährige stammt aus Nordhorn in Niedersachsen. In Münster hat er sein Bachlor-Studium absolviert, für den Master und die anschließende Promotion hat sich Tobias Schoo für Halle entschieden. „Darum wollte ich auch Thema in Sachsen-Anhalt für die Doktorarbeit wählen.“ Halberstadt sei ihm aus der Literatur bekannt. „Die Stadt ist ein großer Begriff in dem Fach.“

Kein Wunder. In und um das Stadtgebiet haben unzählige Grabungen stattgefunden und Funde aus den verschiedensten Epochen wurden freigelegt. „Seit dem 19. Jahrhundert wird in Halberstadt archäologisch gearbeitet“, informiert Museums-Direktor Armin Schulze. Laut Stadtchronik wurden 1899 sogar Saurierskelette am Kanonenberg entdeckt.

So weit will Tobias Schoo jedoch nicht zurück in die Geschichte gehen. Ihn interessiert vorrangig die Zeit des Mittelalters bis ins 13. Jahrhundert. Er wird Funde des Stadtgebiets einschließlich des Domplatzes untersuchen. Viele Funde. „Das ist ein kleiner positiver Aspekt im Negativen. Die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg bot Chancen für umfangreiche Archäologische Arbeiten“, erläutert Armin Schulze. Bei den Grabungen seien wahre Schätze entdeckt worden. Zum Beispiel ein Bergmanns-Humpen aus den 1570er Jahren. „Alles zu erforschen bedarf einer langwierigen wissenschaftlichen Arbeit, die Halberstadt allein nicht leisten kann“, so der Museumsdirektor. „Es sind unheimlich viele Kleinteile.“

Es wird die Aufgabe von Tobias Schoo sein, dieses Mosaik der Geschichte Stück für Stück zusammenzufügen – zumindest einen Teil davon. „Ich habe die Hoffnung, mehr darüber he-rauszufinden, was vor dem Bistum in Halberstadt war – einer Zeit, aus der schriftliche Quellen fehlen“, sagt Tobias Schoo. „Im besten Fall findet er den Nachweis, das Halberstadt zu der damaligen Zeit eine wichtigere Rolle gespielt hat als Magdeburg“, ergänzt Armin Schulze grinsend.

Was Tobias Schoo erforscht, soll in unregelmäßigen Abständen bekanntgegeben werden. „Die Erkenntnisse sollen für Bürger wie Touristen erfahrbar gemacht werden“, sagt Frieder Kunkel. Neben Pressemitteilungen seien deshalb auch Vorträge und eine Ausstellung geplant. „Wir haben in Halberstadt etwas Besonderes. Die geschichtliche Bedeutung der Stadt hat es verdient, bekannter zu werden“, betont Armin Schulz.