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Ausstellung Tunnelblick ermöglicht Zeitreise

Jeder kennt sie, die Tassen und Gläser, die es als Souvenir gibt. Was mancher als Nippes abtut, hat Wert. Ein Blick nach Halberstadt.

Von Sabine Scholz 03.07.2018, 06:00

Halberstadt l Dunkelblauer Samt und die richtige Beleuchtung verleihen selbst Alltagsgegenständen den Hauch großer Schätze. Was sie auch sind, die Tassen, Biergläser, Pfeifenköpfe und Ziergefäße, die in den Glasvitrinen stehen. Hervorgeholt aus den Depotschränken des Städtischen Museums und denen, die Volker Bürger zuhause hat. Denn der Stadtratspräsident ist „Schuld“ an der aktuellen Sonderausstellung „Halberstadt auf Glas und Porzellan“ des Museums.

Anlass war eine Tasse im Büro von Simone Bliemeister. Eine, mit einem Werbeaufdruck einer Halberstädter Firma. Normales Gebrauchsgeschirr für die einen, besondere Objekte für den Anderen. „Brauchst Du die noch?“, fragte Bürger, der als Vorsitzender des Geschichtsvereins regelmäßig in den Büros der Museumsmitarbeiter anzutreffen ist. Simone Bliemeister verneinte und erfuhr, dass Bürger Glas und Porzellan mit Halberstadt-Motiven sammelt. Seit vielen Jahren. So entstand die Idee für die aktuelle Sonderausstellung.

„Das Museumsteam hat viel Mühe in die Ausstellung gesteckt“, sagt Bürger beim Rundgang. Denn seine Sammlerstücke sind um solche aus dem Museumsdepot ergänzt, thematisch sortiert, es wurde Informationsmaterial zusammengestellt, beschriftet, drapiert.

Auf diese Weise entführen die Stücke auf eine Zeitreise, sie spiegeln Stadtgeschichte und Wirtschaftsgeschichte, Alltagsleben der Menschen. Manches erscheint heute seltsam, wie die Barttasse, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Mode kam. Ein dicker Porzellanpott mit einem Steg im oberen Drittel. „Der sollte verhindern, dass die Bartwichse vom aufsteigenden Dampf aufgelöst wird und der sorgfältig gezwirbelte Schnauzer Schaden nahm“, berichtet Bürger.

Vom Alltagsleben berichtet auch eine kleine Menagerie, die kleinen Schälchen für Salz, Pfeffer oder Essig und Öl sind heute aus der Mode gekommen, so wie die Barttasse.

Doch nicht nur aus der Kaiserzeit finden sich Porzellane. Da stehen Biergläser, die zu Halberstädter Sommerfesten herausgegeben wurden, Tassen von den Weihnachtsmärkten. So mancher wird sich bei ihrem Anblick an die Feste erinnern.

Firmen warben und werben auf Bechern und Gläsern. Manche existieren noch, andere sind längst Erinnerungen an vergangene Unternehmensvielfalt. Wie das kleine Senffässchen, das Volker Bürger in den Händen hält. Seine jüngste „Eroberung“. Die Firma Förster wirbt darauf – für „echte Halberstädter Bockwurst“. Heute würden Halberstädter Würstchen meist nur noch mit dem Namen Heine in Verbindung gebracht, doch offenkundig gab es zahlreiche andere Wurstproduzenten, neben Christian Förster gab es auch einen Fleischer Fricke, der ebenfalls „echte Halberstädter“ produzierte. „Markengefechte sind also nichts Neues“, sagt Volker Bürger. „Es war eine große Firma, die haben damals mehr Werbung gemacht als Heine.“

Noch etwas anderes erzählt das kleine Fässchen, das mit Deckel und Porzellanlöffel verkauft wurde. Nachhaltigkeit ist heute ein verbreitetes Schlagwort. Die Altvorderen redeten nicht davon, sie praktizierten sie. Denn das Porzellangefäß wurde garantiert immer wieder neu mit Senf gefüllt – im Laden.

Dass er sammelt, sei Zufall. „So etwas entwickelt sich, es nimmt sich ja niemand vor: So, ab heute sammlest du das oder das.“ Zum Leidwesen seiner Frau, wie Bürger schmunzelnd verrät, pflegt er seine Sammelleidenschaft, besucht Floh- und Trödelmärkte. Dabei habe er mittlerweile einen „Tunnelblick“ entwickelt, wie er berichtet. Er scannt die Tische, wo unterschiedlichste Dinge angeboten werden, werde er meist fündig. „Die gut sortierten Händler kann ich gleich aussparen“, so Bürger, „da finde ich nix“. Sammeln ist wie auf die Jagd zu gehen, wenn der Jagdtrieb erstmal erwacht ist, lässt man sich kaum ablenken.

Seine Liebe zur Geschichte, und speziell die zur Stadtgeschichte, verdanke er seiner Großmutter, erzählt der Naturwissenschaftler.

Die Vorfahren kamen um 1860 aus Pansfelde nach Halberstadt, seine Urgroßeltern betrieben eine Schmiede in der Braunschweiger Straße. Da wurden Pferde beschlagen, Autofedern geschmiedet und anderes mehr. „Ein idealer Spielplatz für einen Jungen“, sagt Bürger rückblickend. Er war oft an den Wochenenden bei den Großeltern und am Sonntagnachmittag, wenn es zurück zu den Eltern ging, spazierte seine Großmutter mit ihm durch die Straßen, berichtete von der Stadt und ihrer Geschichte, kannte noch aus Vorkriegszeiten zahlreiche Kaufmanns- und Handwerkerfamilien, berichtete von ihrer eigenen Kindheit in der Altstadt. Es blieb viel hängen bei dem wissbegierigen Jungen. Namen wie Dehne, Woolnough, Kranz und Schraube waren ihm geläufig,

Nun tauchten solche Namen auf Gläsern und Tassen, auf Tellern und Vasen auf. Eine Besonderheit der Ausstellung sind alte Pfeifenköpfe, groß und prachtvoll gearbeitet. Sie sind ein Stück Militärgeschichte Halberstadts, denn viele der Veteranen, die in Halberstadts Regimentern dienten, schafften sich solche Erinnerungsstücke an.

Die Ausstellung ist auch ein Ausflug in die Designgeschichte. Man erkennt, wann welche Gläser gerade in Mode waren. Wobei angesichts der Mangelwirtschaft in der DDR wohl eher davon auszugehen ist, dass gerade ein Betrieb wieder eine bestimmte Konsumgüterproduktion auf den Markt gebracht hatte.

Zwischen aufwändig gravierten Glaspokalen und schlichter Massenware steht auch ein Tonkrug. Keramik? Die hat weder mit Glas noch mit Porzellan zu tun. Aber der eine musste nun doch mit in die Ausstellung, erklärt Volker Bürger. Denn der Bempel stellt den Bezug zur zweiten Sonderausstellung her, die in den Räumen des Städtischen Museums untergebracht ist. „Der Krug wurde 1994 herausgegeben und erinnert an den Fund des Plateosaurus 1904 hier auf Halberstädter Areal“, sagt Volker Bürger. Das vollständige Skelett des Urzeitriesen ist im Innungssaal des Museums ausgestellt und gehört zur aktuellen Sonderschau des Heineanums.

Die Ausstellung „Halberstadt auf Glas und Porzellan“ ist bis zum 26. August zu sehen; Öffnungszeiten des Museums, Domplatz 36: dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.