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Barocksynagoge Suche nach dem Inventar

Grün wuchert über das Areal. Pflanzen erinnern an die jüdische Gemeinde Halberstadts. Die Suche nach dem Inventar der Synagoge hat begonnen.

Von Sabine Scholz 07.07.2018, 06:00

Halberstadt l Uri Faber steht vor riesigen Fotos. Nachdenklich schaut er auf die Schwarzweißaufnahmen. Im Fenster über dem Thoraschrein zu erkennen sind die zehn Gebote. „Fünf für das Verhalten gegenüber Gott, fünf für das gegenüber anderen Menschen“, sagt der Berliner und erklärt, wie das zusammenhängt. Faber ist Judaist, unterstützt seit Jahren die Arbeit der Moses-Mendelssohn-Akademie in Halberstadt. Seit einem dreiviertel Jahr ist Faber nun schon intensiv auf der Suche. Auf der Suche nach dem, was die Schwarzweißfotos zeigen: Die prachtvolle Ausstattung der großen Synagoge Halberstadts.

„Das war ein Baudenkmal europäischen Ranges“, sagt Faber, der gemeinsam mit dem Halberstädter Tom Pürschel einen kommentierten Katalog der Ausstattung erstellen soll. Das Projekt, gefördert vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste, ist auf zwei Jahre angelegt, deshalb sind alle Beteiligten optimistisch, dass die Finanzierung auch für das zweite Jahr erfolgen wird.

Diese Fragen interessieren Faber in diesem Augenblick wenig. Er zeigt auf einem der großformatigen Abzüge, die an den Wänden hängen, einen großen Kerzenleuchter. Doch der sieht völlig anders aus als die anderen silbernen Kandelaber. „Das haben selbst Experten noch nie zuvor gesehen“, berichtet Faber, der gerade von einer Tagung mit anderen Wissenschaftlern zurück ist. „Dieses Ritualgerät gab es offenkundig wirklich nur in Halberstadt.“

Wozu es diente, kann Faber erklären, aber zuvor weist er auf den großformatigen Abzug eines um 1930 entstandenen Bildes der Halberstädter Malerin Käthe Lipke. Hier wird die Farbigkeit des Innenraums sichtbar. Und wie schriftliche Quellen bestätigen, hat Lipke gemalt, was sie sah. Rosa Marmor für eine Balustrade, blauer Alltagsvorhang am Thoraschrein, purpurrote Glasschale auf diesem seltsamen Leuchter. „Hawdala“, sagt Uri Faber, „genutzt wurde das für Hawdala.“ Das sind die zeremoniellen Handlungen zum Ausgang des Schabbats. Dabei werden Fackeln, verkörpert durch geflochtene Kerzen, in Wein gelöscht, der zuvor aus einer Schale übergelaufen ist. „Deshalb gibt es neben Halterungen für Kerzen auch diese Schalen, in die der Wein überlaufen kann“, sagt Faber und zeigt auf tellerförmige Elemente des Leuchters.

Der ist prachtvoll gearbeitet, so wie alle anderen Leuchter auch. Und beim genaueren Hinschauen entdeckt Akademie-Direktorin Jutta Dick, dass die silbernen Kronleuchter der Synagoge nicht wie lange Zeit vermutet aus Polen stammen, sondern aus Norditalien.

Ein Bildvergleich mit Fotos der heute im Isreal-Museum in Jerusalem zu sehenden Ausstattung der Synagoge aus Vittorio Veneto in der Nähe von Venedig bestätigt die Vermutung, zeigt die gleiche Handschrift. Ein anderer historischer Fakt stützt diese These. Berend Lehmann, unter anderem Hofjude bei August dem Starken, war nicht nur oft nach Norditalien gereist, er kaufte in den Werkstätten dort häufig ein. So ist zu vermuten, dass zum Beispiel die Samtvorhänge vor den riesigen Fenstern der Halberstädter Synagoge aus eben jenem hochwertigen Stoff gefertigt waren, den Lehmann auch für den sächsischen Hof geordert hatte. Samt, so fein gearbeitet, dass Licht hindurchscheinen konnte.

Die Synagoge war ein Gesamtkunstwerk. Baulich wie in ihrer Ausstattung. Und weil Berend Lehmann zeitlebens das Wohnrecht in Dresden verwehrt blieb, engagierte er sich für die jüdische Gemeinde der Stadt, in die einst seine Eltern gezogen waren. Sie kamen von Essen nach Halberstadt. Hier stiftete Berend Lehmann Tonziegel für die bis dahin strohgedeckten Fachwerkhäuser, hier ließ er die große Synagoge bauen, stiftete ein Rabbinerseminar. In dem hat heute die Moses-Mendelssohn-Akademie ihren Sitz, zu der auch das Museum gehört, das Lehmanns Namen trägt und im Haus der einstigen Gemeindemikwe untergebracht ist. Gezeigt werden können bislang im Museum keine Ausstattungsstücke der Barocksynagoge. „Wir wissen nicht, was mit den Großteil der Ausstattung nach der Pogromnacht 1938 geschah“, sagt Faber.

In der Reichspogromnacht wurde die Synagoge nicht angezündet, da die sie umschließenden Fachwerkhäuser gefährdet gewesen wären. Stattdessen erließ am 18. November 1938 der Oberbürgermeister der Stadt Halberstadt eine Verfügung zum Abriss der Synagoge, der am 19. November begann. „Dafür muss die Synagoge leer geräumt worden sein“, sagt Faber. Da die jüdischen Männer in Haft oder abgeschoben worden waren, erfolgte die Räumung durch eine bisher unbekannte Stelle. Bis heute ist der Verbleib des Inventars unbekannt.

Bei der Suche nach Stücken aus Halberstadt könnte das aktuelle Forschungsprojekt helfen. Viele Museen haben begonnen, ihre Sammlungsbestände zu durchforsten und zu fragen, woher die Objekte stammen. Provinienzforschung nennt sich das. Oft stellen Häuser Objekte unklarer Herkunft ins Internet, suchen nach Quellen. „Wenn unser Katalog erstellt ist, können wir so vielleicht etwas finden. Es steht ja nicht ,Halberstadt‘ drauf“, sagt Faber.

Die Quellenlage zur Rekonstruktion der Ausstattung ist gut. Es gibt neben den 1920 entstandenen Fotos vom Innereren der Synagoge Versicherungsunterlagen zum unbeweglichen Inventar, das machte rund die Hälfte der Versicherungssumme von 8000 Talern aus. Eine enorme Summe damals. Es gibt zahlreiche Schriftstücke mit akribischen Beschreibungen, es gibt Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, die Einzelheiten der Ausstellung schildern, es gibt die Ausführungen des damaligen Gebietskonservators Doering, es gibt Rechnungen Halberstädter Silberschmiede. Eine belegt für die Synagoge die Fertigung von Bechern, Pokalen und anderem.

Auch das Archiv der Jüdischen Gemeinde Halberstadt ist eine wesentliche Quelle geworden. Es befindet sich heute als einer der größten und wertvollsten Bestände in den Archiven der Nationalbibliothek Israels. Dank der finanziellen Förderung durch das Land Sachsen-Anhalt konnte dieser Bestand digitalisiert werden und kann nun für die Forschung vor Ort genutzt werden.

Die Spurensuche wird also weitergehen. Und wer weiß, vielleicht hat die Suche eines Tages Erfolg.