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Batsheva Dagan Holocaust-Überlebende in Halberstadt

Batsheva Dagan erlebte die Judenverfolgung, verbrachte 20 Monate im KZ Auschwitz. Sie sprach in Halberstadt mit Kindern.

Von Gerald Eggert 21.10.2017, 04:00

Halberstadt l Trotz ihres hohen Alters reist Batsheva Dagan zwei- bis dreimal im Jahr nach Deutschland, um jungen Leuten Rede und Antwort zu stehen. Diese sollen aus dem Mund einer Zeitzeugin erfahren, was geschehen ist, was nicht vergessen werden und nie wieder geschehen darf. „Fragt heute, denn heute gibt es noch Zeugen (...) morgen wird es nur Literatur sein“ formulierte sie in einem ihrer Gedichte.

„Fragt heute!“, forderte die 92-Jährige auch die Mädchen und Jungen der vierten Klassen der Halberstädter Miriam-Lundner-Grundschule auf. Diese ließen sich nicht lange bitten und stellten eine Vielzahl Fragen. „Auch wenn ich schon so oft über meine Erlebnisse während der Zeit des Zweiten Weltkrieges erzählt habe, fällt es mir doch nie leicht“, gestand die Frau, ging auf die Fragen ihrer jungen Zuhörer ein und sprach über ihre eigene Lebensgeschichte.

Sie erzählte von ihren Eltern und acht Geschwistern, die in Lodz lebten, von ihrem Schicksal als Juden, von den Repressalien schon vor und nach Ausbruch des Krieges, von der Übersiedlung in das örtliche Ghetto, von der Festnahme und Überführung ihrer Eltern ins Konzentrationslager (KZ).

Sie selbst, damals hieß sie noch Izabela Rubinstein, floh nach Deutschland, wurde jedoch verhaftet und kam ins Gefängnis. Von Mai 1943 bis Januar 1945 durchlebt sie die Hölle von Auschwitz. „Doch ich habe auch dort die Zeit genutzt, um zu lernen. Obwohl das nicht erlaubt war. So wie zuvor im Ghetto. Wir hatten keinen Lehrer, kein Buch, keinen Stift. Man musste alles im Kopf behalten. Ich habe im Lager viele Sprachen gehört und mich für Französisch entschieden. Das konnte ich irgendwann fließend sprechen“, berichtete sie und sagte, dass man, wenn man lernen will, überall lernen könne.

Kurz vor Kriegsende trieben die Nazis viele Häftlinge gen Westen. Die junge Frau kam nach Ravensbrück, von dort nach Malchow und wurde schließlich am 2. Mai 1945 auf dem Todesmarsch befreit. Die damals Neunzehnjährige ging zunächst nach Belgien und siedelte bald darauf nach Palästina über. Dort nahm sie den hebräischen Namen Batsheva Dagan an.

Sie wurde Psychologin, Erzieherin und Dozentin in der Lehrerausbildung und verschrieb sich dem Kampf gegen das Vergessen. So veröffentlichte sie zum Thema Shoah (hebräisch für Holocaust) mehrere Bücher mit eigenen Gedichten und Texten, darunter auch Kinderbücher.

Eines davon heißt „Chika, die Hündin im Ghetto“ und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Es handelt von dem fünfjährigen Mikasch und seinen Eltern, die im Ghetto leben mussten. Seine Hündin ist der einzige Lichtblick für ihn in dieser Zeit, den er nicht verlieren wollte. Doch Haustiere werden den Juden verboten ...

Die emotionale Geschichte diente als Vorlage für einen Animationsfilm, den sich die Kinder anschauten. Es herrschte Stille im Raum, auch als der Streifen längst zu Ende war. Die Geschichte zeigte große Wirkung bei den Kindern, die im Anschluss weitere Fragen stellten.

Sie habe schon als Kind gern geschrieben, erzählte Batsheva Dagan und verwies auf mehrere Bücher, die sie im Laufe ihres Lebens verfasst hat.

Ein neues Werk stehe kurz vor der Vollendung, verriet sie. Die Kinderbücher habe sie geschrieben, weil Kinder neugierig seien und Wissen in die Zukunft tragen. „Ihr seid die bislang jüngste Klasse, die ich besucht habe“, sagte die 92-Jährige, „ihr habt mich erstaunt mit eurem Wissen, begeistert mit euren vielen Fragen und eurer gesunden Neugier.“ Sie lobte die Ruhe und Aufmerksamkeit. Das alles zeuge davon, dass „ihr keine kleinen, sondern schon große Kinder seid“. Das freute auch Klassenlehrerin Anja Dill und Schulleiter Sebastian Lütgert, die die Schüler auf diese Begegnung gut vorbereitet hatten.

Als Batsheva Dagan darum bat, dass jeder seinen Wunsch für die Zukunft aufschreiben soll, bekam sie alsbald viele Zettel. Darauf wurde vielfach der Wunsch nach Frieden formuliert. Jana schrieb, dass es nie wieder Krieg geben dürfe und dass jedes Kind ein Haustier und Spielzeug haben dürfe. Alexander meint, dass jeder seinem Glauben nachgehen soll. „So etwas darf nie wieder geschehen“, äußerte Katja. Und Lelia wünschte, „dass Sie noch einmal zu uns kommen“.

Bevor der Gast aus Israel mit viel Beifall und zwei Liedern verabschiedet wurde, bekamen die Kinder noch einen guten Rat mit auf den Weg: „Ihr habt immer eine Wahl zwischen Gut und Böse. Jede Stunde und überall. Es hängt von euch ab, wie ihr entscheidet. Ich wünsche euch immer eine gute Wahl.“

Für die Schule übergab Cornelia Habisch von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt, welche die Botschafterin für ein friedliches Zusammenleben begleitete, einen Stapel Exemplare des Buches „Chika, die Hündin im Ghetto“.