1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Manöverkritik nach Tragödie in Halberstadt

Betreutes WohnenManöverkritik nach Tragödie in Halberstadt

Der Brand mit einem Toten in einem Wohnhaus Halberstadt hat eine technische Ursache. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln.

Von Dennis Lotzmann 22.01.2019, 00:01

Halberstadt l Die Brandkatastrophe am Freitagabend in der Heinrich-Julius-Straße in Halberstadt ist laut Polizei auf einen technischen Defekt im Elektrobereich zurückzuführen. Nach Angaben von Reviersprecherin Ulrike Dallmann-Wagner brach die Feuertragödie – wie bereits am Freitag vermutet – in der Wohnung einer 88-Jährigen aus. Aber: Eine elektrische Heizdecke, wie zunächst schon vielfach über Gerüchte verbreitet, habe der auf Brandermittlungen spezialisierte Kripobeamte „als Zündquelle ausgeschlossen. Es wird eine elektrotechnische Zündquelle in Form einer Mehrfachsteckdose angenommen, welche markante Fehlerstellen anzeigte“, so die Polizeioberkommissarin.
Parallel zur Suche nach der Brandursache hat die Staatsanwaltschaft in Halberstadt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um die genaue Todesursache eines 70 Jahre alten Mieters zu klären. Der Mann war am Freitagabend bei der Evakuierung aus seiner Wohnung in der sechsten Etage kollabiert, alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.
Ursächlich könnte die Rauchgaseinwirkung gewesen sein. Da der Mann nach Informationen der Volksstimme unter Kreislaufproblemen litt, könnte aber auch hier die Ursache liegen.
„Wir haben die Obduktion beantragt“, so der Chef der Strafverfolgungsbehörde, Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck. Wenn sich daraus ein konkreter Ansatzpunkt ergäbe, könnten weitergehende Ermittlungen folgen, so Roggenbuck. Und: „Im Moment gibt es kein Ermittlungsverfahren gegen eine bestimmte Person.“
Dafür große Betroffenheit auf allen Seiten: bei den direkten Nachbarn, im Umfeld des Hauses, bei der Wohnungsgesellschaft HaWoGe als Vermieter und beim Diakonischen Werk als Servicedienstleister für die Senioren-Betreuung. Und auch bei der Feuerwehr. Gestandene Feuerwehrleute wie Bodo Fuckert, am Freitag Einsatzleiter, oder Jörg Kelle, Abteilungsleiter Feuerwehr in der Stadtverwaltung, waren am Montag noch sichtlich betroffen. Schon lange habe es bei Bränden in Halberstadt glücklicherweise keine Toten mehr gegeben – und nun so etwas.
Kernfrage bei der ersten internen Manöverkritik: Warum konnte es in einem Gebäude mit Senioren zu einem so verheerenden Vollbrand mit extremer Rauchgasentwicklung kommen? Weil bauliche Vorschriften für Alten- und Pflegeheime, die genau das verhindern sollen und im günstigen Fall auch können, für eine derartige Nutzungsform nicht gelten würden, so Jörg Kelle.
Konkret: In Pflegeheimen müssen Türen so breit sein, dass Pflegebetten hindurch passen. Die Fluchtwege müssen mit Rauchmeldern ausgestattet werden, um Gefahren akustisch zu signalisieren. Bei Neubauten sind Rauchabzugsanlagen Vorschrift. Für die Feuerwehr müssen Rettungspläne vorliegen. Vorzugsweise gibt es zentrale Schließsysteme mit Generalschlüsseln, um den Rettern ohne Zeitverzug den Zugang zu allen Räumen zu ermöglichen.
„Das Problem ist, dass all diese Vorgaben für eine solche Wohnform nicht gelten. In der Heinrich-Julius-Straße – das sind normale Wohnungen, da gibt es deutlich weniger Vorschriften“, so Kelle. „Zur Form des betreuten Wohnens sagt das Baurecht nichts, das ist gewissermaßen ein rechtsfreier Raum.“
Mit fatalen Folgen, die am Freitagabend auf drastische Weise deutlich geworden seien, wie Kelle berichtet: Hochbetagte Bewohner hätten teilweise im Rollstuhl aus dem Haus getragen werden müssen. Tragetücher kamen zum Einsatz. Mitunter hätten körperlich stark eingeschränkte, zugleich aber gewichtige Menschen evakuiert werden müssen. Eine Extremaufgabe für die Wehrmitglieder. Die Wehren mussten mehrere Wohnungstüren aufbrechen, weil unklar war, ob sich dahinter noch jemand aufhält. Und über allem die Frage: Wo zieht der tödlich-gefährliche Rauch hin, wo ist der Fluchtweg sicher?
„Wir hatten es da nur mit Unbekannten zu tun“, so die Bilanz von Kelle und Einsatzleiter Fuckert. Hilfreiche Rauchmelder habe es nur in den Wohnungen gegeben – so wie es vorgeschrieben ist. Und noch ein Aspekt ist aus Sicht der Wehrleute elementar: In öffentlichen Einrichtungen oder Pflegeheimen müssen Elektrogeräte regelmäßig geprüft werden – in normalen Privatwohnungen wie in der Heinrich-Julius-Straße nicht. Ein mit Blick auf die nun festgestellte Brandursache dramatischer Fakt.
Eines betont Kelle aber auch: „Der HaWoGe kann kein Vorwurf gemacht werden. Die haben gemacht, was sie machen mussten.“ Aus seiner Sicht müssten die Vorschriften entsprechend angepasst und verschärft werden. Der Kontakt zur HaWoGe sei in dieser Frage gut und substanziell. „Wir wollen uns in absehbarer Zeit mit der Geschäftsleitung zusammensetzen und schauen, ob im Detail Lösungen möglich sind.“
HaWoGe-Chefin Beate Grebe bestätigt derartige Absprachen. Es gebe noch keinen Termin, aber wir werden uns treffen. „Es geht darum, die Tragödie zusammen mit der Feuerwehr auszuwerten.“
Bei aller Tragik gibt es auch Lob seitens der Feuerwehr für die HaWoGe. Die Zusammenarbeit mit der Wohnungsgesellschaft, aber auch mit dem Diakonischen Werk, habe tadellos funktioniert. Als das Feuer aus war, haben Elek-triker und Handwerker sofort begonnen, die aufgebrochenen Wohnungen zu sichern. „Dieses perfekte Zusammenspiel habe ich selten erlebt“, so Bodo Fuckert.