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Brandschutz Nachwuchssorgen bei der Feuerwehr

Nicht einmal ein Prozent der Wernigeröder engagiert sich in der freiwilligen Feuerwehr. Zu wenig - betonen die Kameraden.

Von Sandra Reulecke 13.10.2016, 01:01

Wernigerode l Zu wenig Nachwuchs bei der Freiwilligen Feuerwehr Wernigerode? Ein Fotoshooting der Kameraden lässt anderes vermuten: Aktive haben sich mit ihren Kindern ablichten lassen. Aber der Eindruck täuscht, sagt Feuerwehrfrau Claudia Stenschke. Mit dem Bild wollen die ehrenamtlichen Brandschützer zeigen, dass sie zu jeder Zeit ihre eigenen Kinder und Familien zurücklassen, um im Ernstfall das Leben anderer zu retten, erklärt die Wernigeröderin. Das Foto sei ein Appell an die Bürger, Mitglied der Feuerwehr zu werden.

Die Zahlen sprechen für sich: Ausgehend von einer Einwohnerzahl von 35 041 sind lediglich rund 0,4 Prozent der Wernigeröder Mitglied in den freiwilligen Wehren. In der Stadt Wernigerode sind es nur 25 Personen. 2014 haben sich Minsleben und Reddeber zu einer Wehr zusammengeschlossen, weil sich nach dem Rückzug des Reddeberaner Feuerwehr-Chefs kein Nachfolger fand.

Marco Söchting, stellvertretender Satdtwehrleiter, betont, dass das Problem landes- und bundesweit besteht. In einigen Orten werden sogar Werbekampagnen gestartet und Stellenanzeigen geschaltet, um Bürger für die freiwillige Feuerwehr zu begeistern.

Woran liegt das fehlende Engagement? Für Wernigerode sieht Söchting einen Hauptgrund: „Es gibt den Irrglauben, wir hätten eine Berufsfeuerwehr, die jederzeit einsatzbereit ist. Die Leute verstehen nicht, warum sie dann in die freiwillige Feuerwehr eintreten sollten.“ Richtig sei, dass es eine hauptberufliche Wachbereitschaft gibt. „Aber die Kameraden sind nur zu sechst.“ Völlig unzureichend, um allein den Brandschutz abzusichern.

Marco Söchting befürchtet zwar nicht, dass das Bestehen der freiwilligen Stadtwehr gefährdet sei, sieht aber Handlungsbedarf. Besonders im Alter zwischen 30 und 50 fehlen Kameraden. Mögliche Ursache: In diesem Alter stehen Karriere und Familiengründung mehr Vordergrund als soziales Engagement. „Aber das sind Ausreden. Alle Aktiven bei uns sind berufstätig und viele ebenfalls Eltern“, sagt Marco Söchting. Der zweifache Vater wisse, dass es wichtig sei, dass Familie und Freunde hinter den Ehrenamtlern stehen.

Jedoch haben die Kameraden schon Gegenteiliges zu spüren bekommen. Es gibt Streit mit dem Partner, wenn für einen Einsatz die Verabredung platzt. Bekannte belächeln das Engagement, weil es so viel Zeit kostet, ohne entlohnt zu werden. Und es gibt das Klischee von der Party-Feuerwehr, die sich nur zum Trinken trifft, berichtet Stadtjugendwart David Hellmund.

Seit dem Sommer hat sich dieses Bild jedoch ein wenig gewandelt, sagt Claudia Stenschke. „Wegen der Dauereinsätze bei den Waldbränden und eines Hausbrandes in der Innenstadt ist vielen wieder ins Bewusstsein gerückt, dass es eine freiwillige Wehr gibt und wie wichtig sie ist.“ Über soziale Medien wie Facebook hätten die Kameraden viele Anfragen zu ihrer Arbeit erhalten.

Sogar fünf Feuerwehrmänner auf Probe haben sich gefunden. Die Wernigeröder im Alter zwischen 20 und Mitte 30 nehmen seit August an Dienstabenden teil und müssen Lehrgänge absolvieren. „Wir sind sehr froh über diesen Zuspruch“, sagt Marco Söchting. „Es gehört viel Ehrgeiz und Durchhaltevermögen dazu, sich als Erwachsener das ganze Wissen anzueignen.“

Deshalb setzen die Kameraden in Wernigerode und den Ortsteilen auf die Jugendarbeit. In allen Wehren gibt es eine Abteilung für zehn- bis 17-Jährige, berichtet David Hellmund. Die schwierigste Aufgabe sei, Jugendliche zu halten. Ausbildung, Studium, Schulstress und die erste Liebe seien die häufigsten Gründe, warum sie aussteigen.

Grundsätzlich sei er zufrieden mit den Mitgliederzahlen beim Nachwuchs. Aber zum Vergleich: Als der heute 36-Jährige Marco Söchting 1993 der Jugendwehr beitrat, waren es rund 50 Jugendliche, heute sind es acht. „Das Angebot ist größer. Es gibt viele Vereine und Freizeitmöglichkeiten“, mutmaßt der Wernigeröder.

Um Mädchen und Jungen noch eher – und möglichst ein Leben lang – für das Ehrenamt zu begeistern, wurde eine Kinderfeuerwehr gegründet. Sie hat ihren Sitz zwar in Silstedt, aber es sind Mädchen und Jungen ab dem sechsten Lebensjahr aus dem gesamten Stadtgebiet willkommen. Auch gibt es Überlegungen, ob sich eine engere Zusammenarbeit mit Schulen anbietet, so David Hellmund. Es sei nie zu früh, Kindern zu zeigen, warum sich die Mitgliedschaft bei der Feuerwehr lohnt. „Die Kameradschaft untereinander wiegt mehr, als eine Freundschaft. Man wird nie allein gelassen“, betont der Jugendwart. „Und man kann stolz auf sich sein, weil man anderen hilft.“