Corona-PandemieSo reagiert der Harz auf den neuen Lockdown
Ab 2. November bleiben Restaurants, Hotels, Theater und Kinos geschlossen. Überstehen Einrichtungen im Harz den erneuten Lockdown?
Wernigerode/Halberstadt l Die Fußgängerzone ist belebt. Touristen schießen vor bunten Fachwerkhäusern Erinnerungsfotos – wer weiß schon, wann sie das nächste Mal Gelegenheit dazu bekommen? Auch in und vor den Restaurants in Wernigerode herrscht Betrieb. Noch. Ab Montag, 2. November, bietet sich in den Städten des Harzes ein anderes Bild. Reisen, Essengehen sowie der Besuch von Kultur- und Freizeiteinrichtungen hat sich dann erledigt. Für mindestens vier Wochen. So sieht es der Teil-Lockdown vor, den Bund und Länder am Mittwoch, 28. Oktober, zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen haben.
„Ich habe geahnt, dass es so kommt, aber gehofft, dass sich Sachsen-Anhalt aufgrund der im Vergleich niedrigen Fallzahlen dagegen entscheidet“, sagt Derk Bartel, Geschäftsführer des Halberstädter Freizeit- und Sportzentrums (FSZ). Die Zeitspanne, bis der Lockdown light (englisch für leicht) eintritt, sei zu knapp bemessen. „In wenigen Tagen müssen wir den Betrieb runterfahren, die Mitarbeiter informieren und das Arbeitsamt kontaktieren.“
Rund 80 Angestellte hat das FSZ, die beinahe komplett in Kurzarbeit geschickt werden müssen. „Lediglich der Friseur- und der Fußpflegebereich dürfen noch offen bleiben.“ Zudem müsse die Technik weiterlaufen. „Man kann bei einem Schwimmbad nicht einfach die Tür abschließen und gut ist“, erläutert der Geschäftsführer. „Für unsere Mitarbeiter, aber auch für unsere Kunden, ist die Situation bedrückend“, sagt Barthel. Gerade erst habe sich die Lage, zum Beispiel im Sea-Land, stabilisiert. „Wir waren wieder bei 85 bis 90 Prozent der Besucherzahlen im Vergleich zum Vorjahr. Das ist echt schade“, so Derk Barthel.
Zahlen, von denen der Kinobetreiber in Wernigerode nur träumen kann. „Im Oktober lagen wir bei etwa 45 Prozent“, sagt Andreas Adelsberger. Unzufrieden sei er damit nicht. „Mehr wäre angesichts der Kapazitätsbeschränkungen gerade nicht möglich gewesen.“ Er habe nicht damit gerechnet, dass seine „Branche erneut gebeutelt“ werde. „Die Verbände haben gute Konzepte aufgestellt, die wir umgesetzt haben.“ Dennoch sei das Geschäft nach dem ersten Lockdown im Frühjahr nur sehr schleppend in Gang gekommen. Und nun die erneute Schließung – besteht da die Gefahr, dass die Volkslichtspiele gar nicht mehr öffnen werden? „Nein, wir werden das Kino halten“, verspricht Adelsberger. Das sei jedoch nur dank starker Partner möglich.
Auf die kann Steffie Reinhardt nicht bauen. Die Stapelburgerin ist Solo-Selbstständige, betreibt seit fünf Jahren ein Tattoo-Studio. Dass sie dieses erneut schließen muss, während Friseure geöffnet bleiben dürfen, verstehe sie nicht. „Ich bin fassungslos. Ich habe nie gehört, dass Tattoo-Studios ein Infektionsherd sind“, sagt sie. Immerhin waren Einmalhandschuhe und Desinfektion schon lange vor Corona in der Szene gang und gäbe. „Viele haben noch einmal aufgerüstet, sich mit Masken ausgestattet und arbeiten nur auf Termin.“ Sie habe das Gefühl, dass die Tattoo-Branche von der Politik übersehen und nicht ernst genommen werde. „Ich hoffe, dass sich unsere Verbände stark machen und eine Lösung gefunden wird“, betont Steffie Reinhardt. Nicht nur ihr eigenes Schicksal bedrücke sie. „In den Hotels und Gaststätten wurde so viel für den Infektionsschutz getan, ich kann nicht verstehen, dass auch die wieder schließen müssen.“
Der Wernigeröder Hotelier Christian Wieland geht noch einen Schritt weiter. „Ich verspreche mir von den Maßnahmen nicht wirklich eine Verbesserung der Infektionslage. Es musste etwas passieren, das ist richtig, aber ich denke nicht, dass das der richtige Weg ist.“ Er erläutert: „Die Gastronomie ist nachweislich nicht schuld an Ansteckungen. Was soll also eine Schließung ändern?“
Ende November, zum Start des Weihnachtsmarktes, sei der „Weiße Hirsch“ am Wernigeröder Marktlatz ausgebucht gewesen, Familien- und Firmenfeiern standen für die nächste Zeit im Reservierungsbuch, kommende Woche waren Seminare und Tagungen gebucht. Nun habe er kaum Zeit, den Telefonhörer aus der Hand zu legen angesichts der vielen Stornierungen. Zudem führe er Gespräche mit Lieferanten, um Bestellungen abzusagen.
Gut gefüllt sind die Kühlschränke und Lager dennoch. „Das ist das kleinere Problem, wenn ich überlege, dass ich fast 50 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken muss.“ Zumal er die Hoffnung habe, dass sich die Vorräte bis zur Schließung noch minimieren. „Ich kann nur jedem empfehlen, am Wochenende essen zu gehen“, sagt er lachend. Galgenhumor. Wie Wieland sagt, glaube er nicht, dass ein Weihnachtsmarkt in Wernigerode stattfinden kann. „Ein Jahr ohne kriegen wir auch mal hin. Wichtiger ist es, dass die Leute aber trotzdem den Einzelhandel in ihrer Stadt nutzen.“ Denn der habe es schwer, auch wenn die Geschäfte nicht schließen müssen. „Wenn die Touristen fehlen, fehlen die Einnahmen.“ Wenn dann auch die Einheimischen lieber online bestellen, werde das die Fußgängerzone Wernigerodes nachhaltig zum Negativen verändern.
Nur wenige Meter vom „Weißen Hirsch“ entfernt, steht das „Café am Markt“ von Michael Wiecker. „Aufgrund der Dinge, die wir uns haben einfallen lassen wie Plexiglasxcheiben zwischen den Tischen, wäre eine Schließung der Restaurants nicht notwendig gewesen“, ist er überzeugt. Die Stimmung unter seinen Mitarbeitern sei betrübt. „Das Geschäft ist wieder so gut angelaufen, gerade wird fleißig für Weihnachten produziert – und nun müssen sie wieder in die Kurzarbeit“, berichtet der Gastronom. 34 Angestellte und acht Lehrlinge zählt sein Unternehmen.
Die Azubis bekommen in der kommenden Wochen eine Sonderaufgabe. „Es wird wieder einen Außerhausverkauf geben“, kündigt Wiecker an. „Aber mal ehrlich, ohne Gäste und nur mit Einheimischen, wird es schwierig.“
Dennoch werde mit einigen Konditoren weiter Gebäck, Schokolade und Co. für das Weihnachtsgeschäft produziert – denn die Hoffnung darauf habe Wiecker, der für die CDU im Stadtrat sitzt, noch nicht aufgegeben. „Die Leute mussten dieses Jahr schon auf so viel verzichten, wenn jetzt auch noch der Weihnachtsmarkt gestrichen wird, was bleibt denn dann noch?“
Für ihn persönlich gebe es im November zumindest zwei Lichtblicke. „In der nächsten Woche sind wir für das Catering für das TV-Format ‚Hochzeit auf den ersten Blick‘ zuständig, das in Wernigerode gedreht wird“, verrät der Konditormeister. Zudem erfülle er sich einen Traum, indem er das Café aufwendig renovieren lässt. „Im Mai haben wir Jubiläum. Vor 40 Jahren habe ich zusammen mit meinem Vater das Café eröffnet.“ Das wolle er mit einer neuen, modernen Ausstattung feiern. Ein Plan, was auch seinen Mitarbeitern Zuversicht geben dürfte.
Die möchte auch Pierre Zimny als Geschäftsleiter dem Team der Halberstädter Zuckerfabrik vermitteln. „Wir versuchen alles Mögliche, dass alle Bereiche wieder öffnen können“, betont er. Neben dem Kino sind das ein Fitnessstudio, ein Hotel, eine Bowlingbahn und ein Restaurant. Fast alle Einrichtungen müssen ab Montag geschlossen werden, Kurzarbeit für rund 60 Mitarbeiter. „Teil-Lockdown? In unserem Fall ist es ein Lockdown zu 95 Prozent“, sagt Zimny. Lediglich das Hotel „Ambiente“ dürfe für Geschäftsreisende oder Monteure geöffnet bleiben, nicht aber für Urlauber. „Das sind fast 100 Buchungen, die wir für November stornieren müssen“, berichtet Zimny. Ob die vom Bund versprochenen finanziellen Hilfen die Ausfälle kompensieren, hält Zimny für fraglich. „Beim ersten Lockdown gab es auch viele Versprechen, aber die Hürden waren dann doch sehr hoch.“
Besonders hart sei der Einschnitt, der vom diesmaligen Lockdown verursacht wird, im Kino-Bereich. „Im November hätte die Schulkino-Woche stattgefunden. Dann sind immer rund 3000 Schüler aus dem ganzen Landkreis Harz und der Börde bei uns zu Gast“, berichtet der Betreiber. In diesem Jahr habe das Team die Veranstaltung auf zwei Wochen ausdehnen wollen, damit an den einzelnen Tagen nicht zu viele Personen gleichzeitig im Gebäude sind und Corona-Abstandsregeln eingehalten werden können. Diese Pläne seien nun hinfällig. Dabei habe die Branche dieses Jahr ohnehin schon sehr zu kämpfen gehabt, nicht nur wegen der ersten Schließung. „Coronabedingt wurden viele Blockbuster verschoben“, erläutert Zimny.
Während Premieren im Kino also dieses Jahr eher die Ausnahme bildeten, gab es auf den Bühnen des Nordharzer Städtebundtheaters einige zu sehen. So hat das Kammerballett in dem Stück „Nach(t)raum“ seine Erfahrungen mit der Pandemie vertanzt. Am 18. November sollte zudem zum Beispiel die neue Inszenierung „Rotkäppchen“ erstmals im Großen Haus in Quedlinburg gezeigt werden – doch auch diese Premiere muss nun verschoben werden.
Theater sind explizit in der neuen Ordnung erwähnt, Museen stehen dagegen nicht in der Auflistung. Und so ist sich Heineanums-Chef Rüdiger Becker noch gar nicht sicher, ob er in der kommenden Woche Besucher in dem Vogelkunde-Museum am Domplatz empfangen darf. „Ich gehe nicht davon aus“, sagt er bedauernd. „Am Montag trifft sich der Pandemie-Stab der Stadt Halberstadt, danach haben wir Gewissheit.“ Glücklich sei er nicht über eine Schließung. „Das ist eine Abwärtsspirale. Wo kein Geld eingenommen werden kann, wird auch kein Geld investiert“, befürchtet er. „Aber wir müssen es hinnehmen, wie es ist."