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Coronavirus So sehen Harzer Berater das Steuerhilfegesetz

Die Änderung der Umsatzsteuer in Deutschland wirft viele Fragen auf. Das spüren besonders die Steuerberater - auch im Harz.

Von Julia Bruns 15.06.2020, 01:01

Ballenstedt/Ilsenburg/Halberstadt l Die Umsatzsteuer wird sinken. Und das soll vor allem den Verbrauchern zugute kommen, wie Bundeswirtschaftsminister Olaf Scholz (SPD) Anfang Juni im Fernsehen verkündete. Das „Zweite Corona-Steuerhilfegesetz“ ist am Freitag im Bundeskabinett verabschiedet worden. Schon die reine Ankündigung des Papiers löste eine Anfragewelle aus, die vor allem eine Branche zu spüren bekam: Die Steuerberater.

„Jeden Tag erreichen uns Anrufe und E-Mails zu dem Thema“, sagt Sven Rüger. „Vor der Corona-Krise haben wir unsere Mandanten beraten, nachdem ein neues Gesetz verabschiedet wurde, manchmal auch erst Wochen später. Jetzt melden sich die Mandanten mit Beratungsbedarf in der Entwurfsphase eines Gesetzes. Das ist neu.“ Und das habe einen einfachen Grund, wie der Ilsenburger Steuerberater erläutert: „Die Unternehmen müssen sich auf die veränderten Steuersätze längerfristig einstellen. Es muss schließlich vom ersten Tag an laufen.“

Die Anpassung, die Scholz auf den Weg gebracht hat, soll bereits zum 1. Juli 2020 in Kraft treten. Dann sinkt der Regelsatz von 19 auf 16 Prozent. Für Umsätze, die zu einem verminderten Satz versteuert wurden, zahlt der Verbraucher künftig statt sieben Prozent lediglich fünf Prozent. Das ist zum Beispiel bei Lebensmitteln der Fall.

Am meisten profitieren die Gastronomen: Bereits im Mai hat das Kabinett eine Umsatzsteuersenkung für den Verzehr an Ort und Stelle von 19 auf sieben Prozent auf den Weg gebracht, der Bundesrat stimmte am 5. Juni zu. Durch die erneute Senkung auf fünf Prozent wird die Steuer für Speisen in Restaurants im Vergleich um satte 14 Punkte herabgesetzt.

Die neuen Steuersätze von fünf und 16 Prozent gelten bis zum 31. Dezember 2020. Einzige Ausnahme: Für die Gastronomie ist für Speisen, die im Haus verzehrt werden, dann wiederum der verminderte Steuersatz von sieben Prozent gültig – und das sogar bis zum 30. Juni 2021.

Dreimal – zum 1. Juli 2020, zum 1. Januar und zum 1. Juli 2021 – müssen also Restaurant-Besitzer ihre Kassensysteme umstellen, sagt Gerhard Meffert, Steuerberater aus Ballenstedt. „Das freut die Steuerberater und die Prüfer. Ich habe einen vollen Terminkalender. Es sind viele Kleinigkeiten und ein sehr hoher Verwaltungsaufwand“, macht er deutlich. Mit seinen Mandanten habe er in den letzten Wochen ein Wechselbad der Gefühle durchlebt.

„Es waren turbulente Zeiten und es sind immer noch turbulente Zeiten“, sagt Antje Müller über die Zeit seit Mitte März. „Was die Bundesregierung auslobt und lostritt, müssen wir umsetzen.“ Gerade die angekündigte Umsatzsteueränderung habe ihr schlaflose Nächte beschert. „Ich bin extra wach geblieben, um es im Fernsehen zu verfolgen. Als Herr Scholz das verkündet hat, war für mich die Nacht vorbei“, sagt sie. Warum? „Prinzipiell ist die Senkung ein geeignetes Mittel, um die Konjunktur wieder anzuregen. Aber es muss umsetzbar sein und es muss beim Endverbraucher ankommen.“ Und beide Aspekte bezweifelt sie.

Vor allem aufgrund des immensen Verwaltungsaufwands. „Die Unternehmer müssten jetzt anfangen, Buchhaltungssysteme und ERP-Systeme umzustellen und Waren umzupreisen, damit zum Monatswechsel alles richtig ausgepreist ist und im Kassensystem korrekt verarbeitet wird“, erläutert sie. Gut zu tun hätten insofern vor allem diejenigen, die die Buchungssysteme programmieren und pflegen. „Das ist aus meiner Sicht ein immenser Aufwand für so einen kurzen Zeitraum“, sagt sie.

Wie viel Verwirrung die Ankündigung auslöste, merke sie an der enormen Zahl der Nachfragen. Goldene Zeiten für Steuerberater? „Nein, wir können diesen zusätzlichen Aufwand nicht eins zu eins in Rechnung stellen“, sagt Antje Müller. „Das geht nicht. Das wäre in diesen Zeiten nicht fair unseren Mandanten gegenüber.“

Sie erinnert an die letzte Änderung des Steuersatzes. Sie erfolgte zum 1. Januar 2007 von 16 auf 19 Prozent. „Es wurde ganz lange vorher kommuniziert“, blickt sie zurück. „Die Finanzverwaltung hat damals in einem Anwendungsschreiben, das vier Monate vor Eintritt der Änderung veröffentlich wurde, die Fragen geklärt.“ Die Änderung der Sätze sei ein sensibles Thema, auf das Unternehmen sich vorbereiten müssten. Zwei Wochen, die jetzt noch verbleiben, reichten vielen nicht.

Dauerverträge wie Mietverträge müssten geändert werden. „Sonst gilt weiter der alte Steuersatz“, sagt Gerhard Meffert. Auch müssen beispielsweise Handwerker genau im Blick haben, wann sie eine Leistung erbracht haben. Wer im Juni gearbeitet hat und dies im Juli in Rechnung stellt, muss nach dem alten Satz abrechnen. „Kompliziert wird es, wenn man nicht genau abgrenzen kann“, erklärt Antje Müller. „Stellen Sie sich mal einen Hausbauer vor: Der fängt im Juni an und wird im November fertig. Wenn man abgrenzbare Teilleistungen hat, wird es sportlich.“

Doch auch ohne Hausbau kann es komplex werden. „Nehmen wir eine Pension, die Frühstück anbietet“, erläutert Sven Rüger. „Für das Frühstück nimmt man fünf Euro – bisher war darin ein Mehrwertsteuersatz von ausschließlich 19 Prozent enthalten. Ab 1. Juli soll dieser bei fünf Prozent liegen, aber nur für den Anteil der Speisen. Intern muss der Pensionsbetreiber folgendes abrechnen: Kaffee und O-Saft waren mit 19 Prozent zu versteuern – ab 1. Juli sind es dann 16 Prozent. Das Brötchen war wiederum mit 19 Prozent versteuert worden, nun sind es ab 1. Juli fünf Prozent.“

Wie wirkt sich solch eine Steuersenkung auf die Verbraucher aus? „Grundsätzlich belastet die Umsatzsteuer nur den Endverbraucher, weil sie in Unternehmen durchgereicht wird. Der Endverbraucher soll nun entlastet werden. Das wird einigen Bereichen klappen, in anderen nicht“, meint Rüger. Ein positives Beispiel seien die Wohnungsnebenkosten wie Strom, Wasser, Arbeiten durch Hausmeisterdienstverträge. „Da wird sich die gesunkene Umsatzsteuer bei den Mietern bemerkbar machen“, schätzt er. Gerhard Meffert vermutet, dass es auch bei Autos oder im Großhandel von Lebensmitteln etwas ausmachen kann. „Allerdings wird in der Automobilbranche sowieso bald eine Preisschlacht ausgetragen“, sagt er.

Den Ansatz, dass durch eine Senkung die Nachfrage angekurbelt wird, hält Antje Müller grundsätzlich für richtig. „Der Grundgedanke ist super. Aber Herr Scholz hat gesagt, er hat etwas auf den Weg gebracht, von dem alle profitieren – aber auch nur, wenn die Mehrwertsteuersenkung an den Endverbraucher weitergegeben wird. Ich glaube nicht, dass jeder davon profitieren wird“, sagt sie. „Wenn die Unternehmer zum Beispiel ihre Waren nicht umpreisen, haben sie eine größere Gewinnmarge.“

Besonders Gaststätten würden ihre Karten nicht zigfach neu drucken, sagt auch Sven Rüger. „Die Preise werden in vielen Restaurants gleich bleiben, auch wenn die Steuer um 14 Prozentpunkte sinkt“, vermutet er.

Gerhard Meffert findet indes, die Bundesregierung verfolge eine veraltete Strategie. „In der Lehre der Makroökonomie geht man davon aus, dass ein neues Gleichgewicht durch einen günstigeren Preis entsteht“, sagt er. Das bedeutet, dass Leute, die bisher nicht bereit waren, ein bestimmtes Gut zu konsumieren, es zu einem geringeren Preis kaufen würden – die Nachfrage steigt. Er hält diese Sicht für überholt.

„In neueren Ansätzen kommt es auf etwas anderes an: auf die Erwartungen und Ängste der Menschen. Der mathematische Ansatz selber greift zu kurz“, ist sich Meffert sicher. Müssen Verbraucher aufgrund von Kurzarbeit sparen, kaufen sie zurückhaltender. „Es ist eine psychologische Frage: Was machen die Leute mit drei Prozent mehr? Wenn die Menschen pessimistisch sind, bringt es gar nichts.“

Immerhin – keiner der Berater hat einen Mandanten in der Krise aufgrund von Insolvenz verloren. „Im Moment laufen sehr viele Hilfsprogramme, die Unternehmen erfahren viel Unterstützung. Weitere neue Programme befinden sich in Vorbereitung und werden betroffene Unternehmen auch in der zweiten Jahreshälfte unterstützen“, sagt Sven Rüger.