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Diakonie Viel Raum für eigene Kreativität

75 Menschen arbeiten in der Buchbinderei der Halberstädter Diakonie. Der Bereich wächst.

Von Sabine Scholz 12.07.2017, 09:00

Halberstadt l Unglasiert stehen Tassen, Schalen, Dekoelemente im Regal. Hauchzarte und federleichte Keramik, die in Zupftechnik entstand, Gegenstände, die gegossen, Tassen, die in Wulsttechnik gefertigt wurden. Der nächste Brenngang wird vorbereitet, noch ist Platz für Neues. Almut Junge und Susan Knopf bemalen mit feinen Pinseln Töpferwaren. Es ist ruhig in dem hellen Raum im Gewerbegebiet am Sülzegraben, ein Teil der Belegschaft macht Mittag.

Die Töpferei gehört zur Buchbinderei, was auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun hat. Aber im Laufe der Jahre hat sich gezeigt, dass zum einen die Mitarbeiter Freude am Töpfern haben und zum anderen die Produkte auch gefragt sind in der Region. „Am besten gehen unsere offenen Herzen, sagt Ute Vanhöfen schmunzelnd und zeigt eine herzförmige weiße Schale, deren Rand an zwei Seiten fehlt. Mit Kerzen, Efeuranke und Blumen seien diese Herzen ein beliebtes Dekorationselement auf Hochzeitstischen, berichtet die Bereichsleiterin.

Sie betreut auch den Berufsbildungsbereich in ihrem Haus. Hier testen neue Mitarbeiter, welche Arbeiten ihnen liegen, welche Arbeitsbedingungen sie brauchen. Denn in der Buchbinderei sind Menschen mit seelischen und psychischen Erkrankungen tätig. Die Palette ist breit gefächert, von manisch-depressiv bis schizophren, von Burnout bis zu Folgen von Schlaganfall oder Suchtbiografie. „Die Gruppenleiter müssen einen Überblick über die Krankheitsbilder haben und sich darauf einstellen“, sagt Ute Vanhöfen.

Aber die Krankheit steht nicht im Vordergrund, sondern die gemeinsame Arbeit. Es wird geschaut, wer lieber alleine arbeitet, wer sich in einer Gruppe wohlfühlt. Und beim Testen dessen, was als Tätigkeit gut geeignet ist, kam irgendwann das Töpfern mit ins Spiel.

Die Mitarbeiter kommen in unterschiedlichen Lebensaltern in die Buchbinderei. „Die Alterstruktur hier reicht von ganz jung bis 63 Jahre. Ein Mitarbeiter kam zu uns, da war er schon 58. Und auch er durchlief erstmal den Berufsbildungsbereich, obwohl er ja viele Jahre in seinem Beruf tätig war“, berichtet die Hauschefin. Doch in der Werkstatt werden die Karten neu gemischt.

„Im Grunde ist fast jedes Jahr eine Gruppe dazugekommen“, sagt Vanhöfen. Während der medizinische Fortschritt, Früherkennung und Frühförderung bei Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen oft dafür sorgen, dass die Betroffenen gut ins „normale“ Berufsleben integriert werden können, steige die Zahl an seelischen und psychischen Erkrankungen. „Das sind keine Modeerscheinungen“, sagt Vanhöfen. „Wir sind voll belegt bis unters Dach“. Dabei ist die Buchbinderei erst 2014 in das neue Objekt umgezogen. Damals war das alte Objekt mit 40 Arbeitsplätzen zu klein geworden, weil 14 neue Mitarbeiter dazukommen sollten. Inzwischen sind es 75 Mitarbeiter.

Viele entdecken ihre Kreativität in der Werkstatt, so wächst die Produktpalette von Töpferei und Buchbinderei. Deren Hauptgeschäft ist zwar nach wie vor das Binden von Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten. Aber auch die Reparatur von in die Jahre gekommenen Büchern ist gut nachgefragt. „Wir beraten die Kunden natürlich, und weil wir jetzt im Stadtzentrum den Mittendrin-Laden haben, können wir diese Beratung jeden zweiten Donnerstag im Monat von 14 bis 16.15 Uhr im Laden anbieten, dann müssen die Leute nicht mehr zu uns rauskommen“, sagt Ute Vanhöfen.

Die Fachleute können einschätzen, wie hoch der Aufwand ist, ein altes Buch neu zu binden, ihm einen neuen Einband zu gönnen oder Reparaturen auszuführen. Dabei wird versucht, vieles an alten Elementen zu übernehmen. Wie bei dem alten Kochbuch, das auf dem Tisch von Gruppenleiterin Lisa Behrens liegt. Hier wurden die Innenseiten der Buchdeckel kopiert und diese Kopien wieder eingeklebt, damit die grafischen Elemente nicht verloren gehen. Im Druckraum stehen alte Pressen neben einem modernen Drucker, in Setzkästen liegen unterschiedlich große Buchstaben für die Prägestempel. Es duftet nach Leim, Farbe und Papier.

Die Buchbinderei ist auch eine Papierwerkstatt im weiteren Sinne. So entstehen Einschulungs- und Hochzeitsboxen, werden Kalender hergestellt oder Alben angefertigt. Es gibt Karten und Klemmmappen, Notizbücher und Blöcke mit besonderem Einband, Tischkärtchen und Menükarten für besondere Familienfeiern und vieles mehr. Tagungshotels sind Kunden der Werkstatt ebenso wie Privatleute.

Regelmäßig ist der Halberstädter Kunstmaler Klaus Kuhn zu Gast in der Werkstatt und malt mit interessierten Mitarbeitern. Die farbenfrohen und ansprechenden Bilder zieren die Wände der Werkstatt. Oder Kalender, die Alexander Piechotta zusammenstellt. Auch Flyer gestaltet der 40-Jährige, der Spaß am Gestalten hat und gerade das Layout für die Karten zum Aktionstag für ein barrierefreies Halberstadt im September entwirft.