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Existenzgründer Nordlichter hauchen Dorfkneipe Leben ein

Eine junge Familie wagt in Benzingerode einen Neuanfang: Sie öffnet zum 1. April die Dorfkneipe und schließt eine Lücke.

Von Sandra Reulecke 09.03.2017, 16:14

Benzingerode l Mehr als 50 Feiern stehen im Kalender, 60 Reservierungen für den 1. April. Dabei können die Gäste nicht wissen, was sie erwartet. Es wird der erste Tag sein, an dem sich die Türen „Zum Lindenhof“ in Benzingerode wieder öffnen – genau drei Jahre nach der Schließung der Gaststätte im Wernigeröder Ortsteil.

„Die ersten Anfragen kamen schon, bevor wir eine eigene Festnetznummer hatten“, berichtet Mareike Wartenberg. Die Resonanz freue sie, gleichzeitig habe sie Respekt vor der hohen Erwartungshaltung.

Mit ihrem Mann Ronny wird die 31-Jährige die Gaststätte betreiben – und die Einwohnerzahl Benzingerodes erhöhen. Die Söhne Robert und Matthias sowie Kevin Trümper, der sie in der Küche unterstützen wird begleitete das Paar im Januar von Amrum in den Harz.

Auf der Insel absolvierten beide eine Lehre in der Gastronomie, dort lernten sie einander kennen und lieben. Seit 2011 betrieben sie ein eigenes Restaurant. „Ein Mietobjekt. Wir haben mit dem Gedanken gespielt, ein eigenes zu kaufen“, sagt Ronny Wartenberg.

Wieso im Harz und nicht im Hohen Norden? „Wir haben in Wernigerode Urlaub gemacht und fanden es toll“, berichtet er. Der 33-Jährige ist in Brandenburg aufgewachsen, dennoch kennt er den Vorharz. „Meine Tante wohnt in Böhnshausen. Ich habe sie oft besucht.“ Zudem seien die Kaufpreise auf Amrum hoch. „Und wir wollten unsere Freiheit zurück. Auf der Insel ist man immer auf Fähren angewiesen“, berichtet Wartenberg. Also startete er eine Internetrecherche für Objekte im Harz.

Er wurde fündig: Erich und Hannelore Mooshake aus Benzingerode suchen seit 2013 Nachfolger. „Unser Wunsch war es, im laufenden Betrieb zu wechseln. Aber wir haben niemanden gefunden“, erinnert sich Hannelore Mooshake. Doch mit 65 Jahren und nach 30 Jahren und vier Monaten als Gastronomen sei es 2014 Zeit geworden, in den Ruhestand zu gehen.

Der Entschluss fiel nicht leicht: Seit 1907 gehörte der Gasthof der Familie von Erich Mooshake. Die Eheleute haben viel in die Instandhaltung des etwa 2000 Quadratmeter großen Geländes – inklusive Saal, Hof, Privatwohnung und Pensionszimmern investiert. Und über mangelnde Nachfrage hätten sich Gaststätten-Betreiber nicht beschweren können.

Umso wichtiger sei es ihnen gewesen, dass ein Nachfolger ihr Lebenswerk in ihrem Sinn fortführt. „Es gab Interessenten, aber wenig vernünftige. Wir wollten, dass der Ort profitiert“, so Hannelore Mooshake. Jahrzehntelang war die Kneipe an der Kirche Dreh- und Angelpunkt des Dorflebens. Vereinsveranstaltungen wurden ausgerichtet. Familienfeiern fanden statt. „Von der Taufe bis zur Beerdigung haben wir die Leute begleitet“, sagt die 67-Jährige mit etwas Wehmut.

Sie und ihr Mann seien froh, dass nun die Wartenbergs ihre Nachfolge antreten. „Wir haben volles Vertrauen und werden ihre Dienste in Anspruch nehmen – wenn Erich dieses Jahr seinen 70. Geburtstag feiert“, verrät sie.

Dabei war es zunächst nicht sicher, dass das junge Ehepaar nach Benzingerode zieht – zumindest nicht für Mareike Wartenberg. „Die Fotos im Internet haben mir nicht gefallen“, gesteht die gelernte Hotelfachfrau. „Aber als ich das Haus dann in Realität gesehen habe, war ich begeistert.“ Das war im Januar 2016. „Man hat gleich gesehen, dass es gut gepflegt wurde, obwohl es leerstand.“

Trotzdem stecken die Unternehmer nach gut einem Jahr Planung nun mitten in den Renovierungen. „Wir wollen einiges verändern – aber nach und nach“, kündigt Ronny Wartenberg an. So sollen zum Ende des Jahres unter anderem neue Waschräume entstehen. Auch die Gästezimmer werden renoviert.

Dafür hat das Herzstück der Gaststube, der Tresen, schon ein neues Äußeres erhalten. Und während seine Frau die Sitzbänke mit Leder bezieht, steht der Koch in der Küche – um Fliesen zu kleben. „Wir versuchen, möglichst viel selbst zu machen.“

Ronny Wartenberg freue sich, bald wieder am Herd zu stehen. „Die Karte wird groß, die Gerichte gut bürgerlich“, kündigt er. Er lege Wert auf frische Speisen – Fertigsoßen und Tiefkühlkost kommen nicht in seine Küche. „Ich rühre Kräuterquark und Dressings an, sogar die rote Bete legen wir selbst ein“, sagt er. Wie es sich für jemanden von der Insel gehört, soll es mehr Fischgerichte geben. „Aber auch Wild und was gerade Saison hat.“

Zunächst wird an sechs Tagen die Woche – dienstags bis sonntags – mittags und abends geöffnet. „Aber wir sind flexibel und werden uns danach richten, wo die Nachfrage hingeht“, sagt Mareike Wartenberg. Sie freue sich darauf, mit Gästen ins Gespräch zu kommen – denn obwohl sie gebürtig aus Berlin stammt, mag sie die dörfliche Idylle. Dazu gehören auch die Veranstaltungen der Vereine. „Der Karnevalsclub hat schon Interesse bekundet – aber sie müssen uns helfen“, sagt sie lachend. Von der Küste kenne sie nur „Karnevalsflüchtlinge“.

Wie Fasching in Benzingerode gefeiert wird, können sie bald von Ortsbürgermeister Gert Schlegel (parteilos) erfahren. Er will sie bald willkommen heißen, kündigt Schlegel an. „Die Schließung der Kneipe hat eine große Lücke hinterlassen. Im Ortschaftsrat war es mehrmals Thema, wie es weitergehen soll“, sagt er. „Wir sind froh, dass es nun weitergeht und was man so hört, hat die Familie die Unterstützung der Benzingeröder sicher.“ Spätestens am Eröffnungstag wird Schlegel die Wartenbergs persönlich kennenlernen – der Ortschaftsrat hat einen Tisch für den 1. April bestellt.