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Geschichte Eintauchen in jüdische Familiengeschichte

Wo und wie lebten früher Juden in Halberstadt? Dieser Frage konnten Neugierige nachgehen.

Von Gerald Eggert 12.11.2018, 09:00

Halberstadt l Nachdem die Premiere des Projektes „Offene jüdische Häuser“ zum Tag des offenen Denkmals 2017 viele Neugierige in einst von jüdischen Familien bewohnte Häuser gelockt hatte, war es nicht verwunderlich, dass einer erneuten Einladung wieder viele Halberstädter folgten.

Darüber war insbesondere Jutta Dick, die Direktorin der Moses-Mendelssohn-Akademie erfreut. Sie begrüßte neben den Halberstädtern diesmal ganz besonders Nachfahren von einst in Halberstadt ansässigen jüdischen Familien im voll besetzten Veranstaltungsraum der Klaussynagoge.

Bevor Jutta Dick alle auf den Weg zu mehreren Programm­orten schickte, widmete sich Theaterintendant Johannes Rieger den Aufzeichnungen von Ernst Frankl. Im Frühjahr 1968 hatte der Sohn von Philipp Frankl, der von 1908 bis 1939 Stiftsrabbiner an der Klaus war und dort mit seiner Familie im ersten Stock wohnte, nach 35 Jahren erstmals wieder seine Geburtsstadt besucht.

Sehr ausführlich hatte er später seine Spurensuche beschrieben und Eindrücke formuliert, auf die Geschichte der Halberstädter jüdischen Gemeinde zurückgeschaut und über das Schicksal seiner Familie berichtet.

Philipp Frankl, war mit Frau Bella 1937 nach Palästina ausgereist, kehrte aber ein Jahr später aus Sorge um die jüdische Gemeinde nach Halberstadt zurück. 1938 zog die Familie zu Tochter Charlotte nach Holland, wo alle 1942 verhaftet und in Konzentrationslager deportiert wurden. Philipp Frankl wurde in Buchenwald ermordet, seine Frau überlebte Auschwitz, seine Tochter Theresienstadt.

Johannes Rieger las außerdem noch aus dem Roman „Melnitz“ von Charles Lewinsky. Der Schweizer Schriftsteller erzählt darin die fiktive Geschichte einer in der Schweiz lebenden jüdischen Familie über vier Jahrzehnte nach. Im Kapitel „1937“ wirkt Sohn Ruben als Rabbiner in Halberstadt. In Deutschland ereilt ihn und die seinen das gleiche Schicksal wie Millionen Juden, er wird in einem Konzentrationslager ermordet.

Nach der feierlichen Eröffnung zogen die Besucher ausgerüstet mit einem kleinen Stadtplan individuell los, die Orte zu besuchen, an denen jüdische Familien gewohnt hatten. Das war zum Beispiel in der Bakenstraße 22, wo sich einst die „Fell- und Talghandlung“ von Gustav Ney befand. Hier informierte Noga Zohar zu den Familien Ney und Heynemann (Lederwarengeschäft in der Dominikanerstraße). Zu den Besuchern zählte auch Henning Rühe. Er war nicht nur an der jüdischen Geschichte interessiert, sondern stattete bei der Gelegenheit seinem Geburtshaus einen Besuch ab. Als Zweijähriger war er mit seiner Familie 1947 weggezogen. In Erinnerung geblieben sind ihm allerdings die vielen Ratten, die von Rohhäuten und Fellen geradezu angezogen wurden.

Für das benachbarte Haus Bakenstraße 28 hatte deren Eigentümer des hervorragend sanierten Gebäudes zwar die Genehmigung erteilt, dort über die Kaufmannsfamilie Jakob Brecher zu informieren. Doch die Bewohner hatten das Plakat „Hier wohnte...“ entfernt, was Jutta Dick sehr bedauerte. Kurzfristig, aber noch rechtzeitig und ganz offiziell abgesagt wurde die Veranstaltung zur Bäckerei Schlössinger (Grudenberg 14) im Hotel „Am Grudenberg“. Sie werde im nächsten Jahr nachgeholt, hieß es dort.

Großes Interesse fand wie schon vor wenigen Monaten am Tag des offenen Denkmals das Haus Grudenberg 7. Das Haus ist in jüngster Zeit in den Fokus gerückt, weil dort internationale Seminarteilnehmer des Projektes „Integrativer Ort Bau-Denkmal“ unter Anleitung von Experten des Deutschen Fachwerkzentrums Quedlinburg mit umfangreichen Arbeiten beschäftigt sind, das über 300 Jahre alte Gebäude vor dem baulichen Verfall zu retten und deren bauliche Geschichte durch die Restaurierung wieder erlebbar zu machen. Immerhin handelt es sich um das ehemalige Wohnhaus des Probstes und der Ordensmitglieder des Johannis-Stiftes, das sich seit 1854 in Besitz der Familie Strube befindet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wohnte Rabbiner Dr. Auerbach im Obergeschoss und im 20. Jahrhundert betrieben die Gebrüder Sally und Samuel Sondheim in den ehemaligen Lagerräumen des Seitenflügels ein Farben- und Tapetengeschäft.

Über den Stand der Arbeiten, Herangehensweisen, Entdeckungen und Zukunft des Gebäudes sprachen unter anderem Claudia Hennrich, Geschäftsführerin des Deutschen Fachwerkzentrums, und Restaurator Oliver Raupach mit den Besuchern.