1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Die Bücher-Ärztin aus Halberstadt

Gleimhaus Die Bücher-Ärztin aus Halberstadt

Die Rettung wertvoller Bücher und Briefe stand im Gleimhaus im Mittelpunkt. Papierrestauratorin Stefanie Volmer sprach über ihre Arbeit.

Von Renate Petrahn 21.07.2018, 04:00

Halberstadt l Geht es um die Sammlungen des Gleimhauses, dann kommt die Sprache bald auf die Restaurierung des Schriftgutes und auf präventive Konservierung für nachfolgende Generationen.

Stefanie Volmer ist seit 2012 so eine Art Ärztin für die Bewahrung der rund 12.000 Bücher vom 15. bis zum frühen 19. Jahrhunderts und der annähernd 10.000 Briefe in einem der ältesten deutschen Literaturmuseen.

Im Rahmen der Reihe Hof­abend bei Gleim sprach die Restauratorin am Donnerstag zum Thema: Papier, Klebstoffe, Leder – Einblick in die Materialvielfalt der Papierrestaurierungswerkstatt.

Materialien, die in Abhängigkeit von der Art der Alterungsprobleme der historischen Originale ausgewählt werden, um diese zu beheben oder zumindest zu verlangsamen, so Volmer.

Neben Gebrauchsschäden oder chemischen Schäden (Brandschäden, Stockflecken, Tintenfraß - die Tinte zersetzt das Papier) ist der Zerfall der seit Mitte des 19. Jahrhunderts industriell gefertigten Papiere eine Mega – Herausforderung. Das Problem: diese Papiere sind aufgrund ihres herstellungsbedingten Säuregehalts nur begrenzt haltbar. Begegnet wird dieser komplizierten Situation durch Massenentsäuerung.

Umgeben von allerlei Behältnissen von zunächst unbekannten Inhalts, unterschiedlichsten Papier- und Lederqualitäten, Leinengewebe, Lederstücke, Töpfchen mit Farbpigmenten, pflanzlichen Klebstoffen, Gelatine, ­Weizenstärke und vieles mehr führt Stefanie Volmer die Zuhörer in ihr umfangreiches ­Aufgabengebiet ein. Ein Gebiet, das nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch viel Geduld erfordert.

Während die Verwendung von Gelatine und ­Weizenstärke, bekannt als Verdickungsmittel aus der eigenen Küche als nicht allzu spektakulär empfunden wurde, fanden hingegen die Informationen über die Verwendung von Japanpapier und Störleim das besondere Interesse der zahlreichen Zuhörer. Anhand von Beispielen erläuterte die Restauratorin, wie Japanpapier, im konkreten Fall vom Papiermaulbeerbaum (Kozo), genutzt wird, um Lücken im Papier und Fehlstellen zu beheben oder auszugleichen.

Ebenfalls aus Japan kommt „Funori“, eine Rotalge, die als Festigungsmittel zur ­Papierrestaurierung und Konservierung eingesetzt wird. Ebenso exotisch ist die Verwendung von Störleim, dessen Grundsubstanz getrocknete Fischblasen des Hausens ist. Denn eigentlich kennt man den Fisch mehr im Zusammenhang mit ­ausgesprochen wohlschmeckendem Kaviar. Der Störleim dient dazu, ­Pergamenteinbände zu kleben. Diese und viele andere Informationen machten aus dem Vortrag im Handumdrehen einen Dialog zwischen Restauratorin und Zuhörern. Zumal die Materialien selbst in Augenschein genommen werden konnten, was den Reiz der Veranstaltung erhöhte. Ja, es wurden sogar Stimmen nach einem Hobbykurs für Buchrestaurierung laut.

Die Dienste von Stefanie Volmer können nicht nur öffentliche Einrichtungen, sondern auch Privatpersonen in Anspruch nehmen. ­Angesichts des Arbeitsanfalls müssen jedoch lange Wartezeiten in Kauf genommen werden. Erst nach dem 300. Geburtstag von Gleim im kommenden Jahr scherzte ­Gleimhausdirektorin Dr. Ute Pott.

Wer zeitnah einen ganz persönlichen Beitrag zum Erhalt des wertvollen ­Buchbestandes leisten will, kann das über eine Buchpatenschaft tun. Eine Entscheidung, die gerade im Europäischen Kulturerbejahr 2018 zum Schutz von „zerbröselndem Erbe“ durchaus überlegenswert ist.